Merkel räumte ein: "Das ist eine Stunde der Demokratie, in der gibt es auch Niederlagen, und da gibt es nichts zu beschönigen." Die FDP und die Linkspartei empfahlen Merkel, als Konsequenz die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. Brinkhaus sagte, er werde eng mit der Kanzlerin und CDU-Chefin zusammenarbeiten.

Auch Merkel sicherte Brinkhaus ihre Unterstützung zu, trat aber nicht mit ihm gemeinsam vor die Presse. Sie wolle, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfolgreich weiterarbeite. "Und deshalb werde ich Ralph Brinkhaus, wo immer ich das kann, auch unterstützen." Für Brinkhaus, der auch von CSU-Chef Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unterstützt wurde, stimmten 125 Parlamentarier, für Kauder 112. Es gab zwei Enthaltungen. Brinkhaus sagte, er freue sich riesig über das Wahlergebnis und kündigte die schnelle Rückkehr zur Sacharbeit bereits am Mittwoch an.

Der Sturz des 69-jährigen Kauders gilt vor allem als Brüskierung Merkels, für die Kauder eine wichtige Stütze und Vertrauensperson war. Die Kanzlerin hatte in der Sitzung ebenso wie Seehofer nochmals nachdrücklich für den bisherigen und seit 13 Jahren amtierenden Fraktionschef geworben. "Das ist eine schwere Niederlage für Merkel und Seehofer", kommentierte ein Unions-Abgeordneter, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Auch die Opposition sieht den Ausgang der Wahl vor allem als Votum gegen die Kanzlerin. Die Fraktionschefs der AfD, Alexander Gauland und Alice Weidel, sprachen beide von einer "Merkeldämmerung". "Das ist ein politisches Signal der Erneuerung und andererseits der Verabschiedung von Frau Merkel", sagte FDP-Chef Christian Lindner. Er empfehle Merkel, die Vertrauensfrage zu stellen. Dafür sprach sich auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch aus. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, CDU und CSU sollten jetzt ihren gemeinsamen Kurs klären.

BRINKHAUS WILL SCHNELLE KONZENTRATION AUF SACHARBEIT



Brinkhaus, der den Wahlkreis Gütersloh vertritt, hatte vor wenigen Wochen überraschend seinen Hut in den Ring geworfen. Er hat sich als Finanz- und Haushaltsexperte der Fraktion einen Namen gemacht und präsentierte sich in den vergangenen Wochen als Alternative zu Kauder.

Nach seiner Wahl kündigte Brinkhaus eine schnelle Rückkehr der Fraktion zur Sacharbeit an. "Jetzt geht es darum, ganz schnell wieder an die Arbeit zu kommen." Er versprach zugleich eine gute Zusammenarbeit mit Merkel, auf die er sich freue. "Da passt zwischen uns kein Blatt Papier." Es werde eine "enge, vertrauensvolle Kooperation". Ihm sei es sehr wichtig, dass die große Koalition fortgeführt und der Koalitionsvertrag abgearbeitet werde. "Eins ist klar: Die Fraktion steht ganz fest hinter Angela Merkel." Zugleich zollte Brinkhaus seinem Vorgänger Kauder Respekt. Der 69-Jährige habe in der Sitzung für seine Leistung langanhaltenden Applaus erhalten.

KAUDER GALT VIELEN ALS ERFÜLLUNGSGEHILFE MERKELS



Schon bei seiner Wiederwahl nach der Bundestagswahl 2017 errang Kauder mit 77 Prozent ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis. Damals wurde dies noch als Frust über das schlechte Wahlergebnis gewertet sowie als versuchte Ohrfeige für die Kanzlerin.

Kauder haftete aber aus Sicht vieler Unions-Abgeordneten das Image an, er sei mehr Erfüllungsgehilfe der Kanzlerin als Chef einer selbstbewussten Unionsfraktion gewesen. Ganz bewusst hatte Brinkhaus bei seiner Kandidatur deshalb mehr Eigenständigkeit der Fraktion und neue Impulse angemahnt.

Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Gunther Krichbaum, sagte Reuters, die Wahl von Brinkhaus drücke den mehrheitlichen Wunsch der Fraktion aus, ein Signal des Aufbruchs zu senden. Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach sagte zu Welt-TV: "Die Kanzlerin wird sich sehr schnell mit ihm arrangieren." Der CDU-Politiker Armin Schuster warnte davor, Merkel weiter zu beschädigen und beim Wahlparteitag der CDU im Dezember eine weitere Revolution anzuzetteln. Seehofer rief via "Handelsblatt" die Regierungsparteien auf, nach vorne zu blicken und ihre Reformerfolge stärker zu betonen. "Das ist ein riesiges Problem, diese Selbstverzwergung schwächt die große Koalition und hilft nur der AfD."

Zu stellvertretenden Vorsitzenden wählte der CDU-Teil der Fraktion am Abend die Abgeordneten Stephan Harbarth, Carsten Linnemann, Nadine Schön, Hermann Gröhe, Johann David Wadephul, Arnold Vaatz, Katja Leikert und Gitta Connemann.

rtr