Die Grünen sehen das von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geführte Bundesfinanzministerium bei der Aufklärung in der Pflicht. Dem Ministerium ist die Finanzaufsicht BaFin unterstellt. "Die Bundesregierung hat es trotz Sondersitzungen, Nachfragen und vieler Gelegenheiten über Monate hinweg nicht geschafft, den Wirecard-Skandal umfassend und gründlich aufzuklären", kritisierte der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz in Berlin. "Es gibt weiterhin viele Fragen und Ungereimtheiten." Deshalb sei jetzt ein Untersuchungsausschuss nötig, für den FDP und Linke zuvor schon plädiert hatten. "Jetzt müssen zügig alle Fehler ans Licht kommen: Fehler, die auf falsche Strukturen, auf menschliches Versagen oder auf politisches Fehlverhalten zurückzuführen sind."
Die drei Fraktionen führten am Dienstag nach Angaben der FDP bereits erste Vorgespräche zum konkreten Untersuchungsauftrag. Dieser soll bis zum Dienstag nächster Woche ausformuliert werden. FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar hofft, dass der Untersuchungsausschuss noch im September starten kann. Linken-Politiker Fabio De Masi sagte, die drei Fraktionen seien bei der Problemanalyse nicht weit auseinander, weswegen es schnell gehen könne.
VORSITZ DÜRFTE AN DIE AFD GEHEN
Grüne, FDP und Linke kommen zusammen auf über 25 Prozent der Stimmen im Bundestag und können damit einen Untersuchungsausschuss erzwingen. Sie sind dabei nicht angewiesen auf die Stimmen der rechtspopulistischen AfD. Diese könnte dennoch den Vorsitz erhalten, da sie nach dem üblichen Prozedere im Bundestag beim nächsten Untersuchungsausschuss an der Reihe ist. Die AfD hätte damit das Vorschlagsrecht. Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, forderte gegenüber RTL den Ausschussvorsitz für seine Partei. Er brachte Kay Gottschalk ins Spiel, der Mitglied im Finanzausschuss des Bundestages ist. Dieser hatte sich am Dienstag auch für einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen.
Mit einem Untersuchungsausschuss können zusätzliche Akten eingesehen und weitere Zeugen befragt werden. Die Einsetzung ist ein klassisches Instrument der Opposition. In der Nachkriegszeit gab es Dutzende Untersuchungsausschüsse, oft zur Verteidigungspolitik und Korruptionsfällen, aber auch zu Katastrophen und Anschlägen. Finanzthemen sind dabei äußerst selten. 2016 und 2017 gab es einen Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Steuerbetrug. Viele Monate lange wurden rund 80 Zeugen befragt. Dennoch wurde die politische Verantwortung um die Dividenden-Steuertricks von Banken und Investoren nie vollständig aufgeklärt.
SCHÄRFERE REGELN FÜR AKTIENGESCHÄFTE VON BAFIN-MITARBEITERN?
Wirecard musste im Juni Insolvenz anmelden, nachdem Wirtschaftsprüfer in der Bilanz Luftbuchungen in Milliardenhöhe entdeckt hatten. Die Ermittler werfen Ex-Chef Markus Braun und anderen Managern vor, mindestens seit Ende 2015 die Bilanzsumme und den Umsatz durch Scheingeschäfte aufgebläht zu haben. Banken und Investoren seien um Milliarden betrogen worden. Teile des Unternehmens werden nun verkauft. Die Call-Center-Tochter in Leipzig wird etwa vom Münchener Fintech ID Now übernommen.
Für Unmut sorgten bei der jüngsten Sondersitzung des Finanzausschusses auch private Aktiengeschäfte von Mitarbeitern der BaFin. Die Regeln will die Regierung nun - anders als zunächst geplant - auf den Prüfstand stellen, wie aus einer schriftlichen Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Bayaz hervorgeht. Die geltenden Regelungen würden "aktuell überprüft, insbesondere im Hinblick auf mögliche Beschränkungen des Handels von Finanzinstrumenten beaufsichtigter Unternehmer durch BaFin-Beschäftigte".
Mitarbeiter der BaFin hatten in den Monaten vor der Wirecard-Pleite verstärkt mit Papieren des Zahlungsabwicklers gehandelt. "Das wirft kein gutes Licht auf die Finanzaufsicht", sagte Bayaz. BaFin-Chef Felix Hufeld habe sich hier aber im Finanzausschuss offen für härtere Regeln gezeigt. "Bei der Finanzaufsicht darf nicht mal der Verdacht eines Interessenkonfliktes aufkommen."
Die SPD kritisierte, der Bilanzskandal hätte deutlich früher auffliegen können. Die Anti-Geldwäsche-Einheit FIU habe Anfang 2019 zwei "werthaltige Meldungen" an das Landeskriminalamt Bayern übermittelt, sagte der Wirecard-Experte der SPD im Bundestag, Jens Zimmermann, unter Verweis auf Aussagen bei der Sondersitzung des Finanzausschusses am Montagabend. Dabei sei es auch um damalige Vorstände des Zahlungsabwicklers aus dem Münchner Umland gegangen, die an merkwürdigen Transaktionen beteiligt gewesen seien. "Die viel gescholtene Einheit des Zolls hat 2019 offenbar die heiße Spur auf diesen Fall gehabt." Die Hinweise seien dann aber versandet und nicht weiterverfolgt worden von der Staatsanwaltschaft in Bayern.
rtr