Früher konnte man sich im Sommer in den Urlaub verabschieden und wusste, dass in dieser Saure-Gurken-Zeit noch nicht einmal ein Sack Reis umfällt. Aber heute? Geopolitische Krisen in Nahost, im Gaza-Streifen und in der Ukraine, Vive la Trance politique in Frankreich, Deflationstendenzen in der Eurozone und Kratzspuren selbst in der bislang doch so teflonbeschichteten deutschen Volkswirtschaft. Urlaubsentspannung? Vielen Dank auch!
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Ukraine-Krise als Urlaubs-Ärgernis
Ich werde immer ungehalten, wenn ich Dinge nicht einschätzen kann. Und dazu gehört auch die Ukraine-Krise. Meine Freunde in den USA, die ich im Urlaub auch getroffen habe, bemängeln Demokratiedefizite in Russland. Damit haben sie völlig Recht. Aber in einem Land, das an der französischen Aufklärung nur geschnuppert hat, kann man sich nicht über Nacht eine Demokratie backen wie Donuts im Coffee Shop. Und Zar Wladimir Putin wird auch nur im Schneckentempo zum lupenreinen Demokraten. Und jetzt? Einfach auf den "bösen Iwan" einschlagen, gerne auch zum Zweck eigener geostrategischer Ambitionen der Amerikaner? Um eine im schlimmsten Falle militärische und damit auch wirtschaftspolitische Eskalation zu verhindern, wird der Westen nicht daran vorbeikommen, Kompromisse einzugehen: Die Ukraine wird weder EU- noch Nato-Land werden können. Die für Russland strategisch wichtige Krim wird als russisches Territorium vom Westen anerkannt werden müssen. Russland muss in der Ukraine handelspolitisch eingebunden, nicht ausgegrenzt werden. Ich weiß, für den Westen sind das richtig dicke Kröten. Die hat aber auch Putin zu schlucken: Militärische Hände raus aus der Ukraine und territoriale Integrität des Landes akzeptieren. Wie immer geht es in der Diplomatie um leben und leben lassen. Das alles hinzubekommen, habe ich mir im Urlaub gedacht, ist eine Herkules-Aufgabe. Das sollte nicht die Weltmacht machen. Das kann nur das über jahrhundertelang konflikt- und krisenerprobte Europa als Weltmacht der Diplomatie schaffen. Glück auf!
Auf Seite 3: Und wenn Du im Urlaub denkst, es geht nicht mehr, kommt ein geldpolitisches Lichtlein her
Und wenn Du im Urlaub denkst, es geht nicht mehr, kommt ein geldpolitisches Lichtlein her
Immerhin sorgte das Treffen der Notenbanker im amerikanischen Jackson Hole für Entspannung zum Urlaubsende. Zunächst wurde mir in der Rede von Amerikas Mutti Janet Yellen erneut klar, welche Ängste sie vor dem Anziehen zinspolitischer Daumenschrauben hat. Nicht auszudenken, wenn man das Pflänzchen der Konjunkturerholung zu früh dem Zins-Rasenmäher aussetzt.
Ihr Trauma ist die Zinserhöhungsorgie der Fed von 2004 bis 2006. Dabei ist zu bemerken, dass es nicht die Notenbankzinswende an sich war, die den weltweiten Aktienmärkten das Genick brach. Es war die Intensität der Zinssteigerungen von einem auf 5,25 Prozent. Denn damit wurde aus der steilen Zinsstrukturkurve - bei der die Renditen von länger laufenden US-Staatsanleihen höher als die US-Notenbankzinsen liegen und insofern ein investitionsfreundliches Zinsumfeld anzeigen - eine inverse. Damit war es nicht mehr attraktiv, kurzfristig teuer gewordenes Notenbankgeld in längerfristige Anlageformen wie Aktien, aber auch konjunkturstützende Investitionsgüter anzulegen.
Auf Seite 4: Und die Moral von der Geschicht‘, inverse Zinsstrukturkurven hat man lieber nicht
Und die Moral von der Geschicht‘, inverse Zinsstrukturkurven hat man lieber nicht.
Zwar wird Frau Yellen die Zinsen im Frühjahr 2015 erhöhen, aber eben wie eine pingelige Krämerseele darauf achten, dass die Zinsstrukturkurve steil bleibt. Ohnehin wird die Debatte über US-Zinserhöhungen teilweise hysterisch geführt. Zinserhöhungen sind auch Ausdruck einer stabilen Konjunktur, höheren Unternehmensgewinnen und damit fundamental gestützten Aktienmärkten. So zeigen die Zinserhöhungszyklen von 1999 und 2004 deutlich, dass verhaltene Zinssteigerungen mit steigenden Aktienkursen einhergehen. Man darf es nur nicht übertreiben und Frau Yellen wird nicht übertreiben.
Ich bin mir sicher, dass die Finanzwelt nach Beendigung moderater Zinserhöhungen Ähnliches sagen wird, wie das Kind mit gepflegten Zähnen beim Zahnarztbesuch: Mutti, es hat gar nicht wehgetan, er hat nicht gebohrt.
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Und bist du fiskalpolitisch nicht willig, brauche ich geldpolitische Gewalt
Unser Mario Draghi, die Vaterfigur der euroländischen Finanzwelt, hat mit seiner Rede in Jackson Hole die Hauptrolle übernommen. Zunächst befürwortete er zur Stärkung der Konjunktur mehr öffentliche Ausgaben, d.h. mehr Schulden in der Eurozone. Ihm ist zwar klar, dass er damit bei Frau Merkel auf Granit beißen wird. Aber so verschafft er sich ein geldpolitisches Alibi, um die fiskalische Konjunkturlücke zu schließen.
Draghi wusste aber auch die Situation zu nutzen. Als Anhänger der Spieltheorie beeinflusst er gerne die anderen Mitspieler an den Finanzmärkten. So ist er geschickt von seinem vorab veröffentlichten Redetext abgewichen. So etwas tun Notenbanker eigentlich nie. Ich erinnere mich an einen Vortrag von Alan Greenspan, bei dem er bemerkte, dass sein Redetext vorher an das Auditorium verteilt wurde, damit man auch ja kein Räuspern, kein Husten falsch interpretieren konnte. Wenn also Draghi abgewichen ist, kann man dies als klare Botschaft verstehen. Er ergänzte, in der Eurozone seien die Inflationserwartungen deutlich zurückgegangen und dass die EZB alle verfügbaren Mittel einsetzen werde, um dagegen vor zu gehen. Kann ein Notenbanker der Finanzwelt einen deutlicheren Wink mit dem Zaunpfahl geben, dass die EZB die Bazooka bereits geladen hat? Das war eine rhetorische Frage.
Und siehe da, Spieltheoretiker Draghi machte das Spiel an den Aktienmärkten. Bei einem DAX unter 9.000 haben wir es offensichtlich mit strategischen Kaufkursen zu tun.
Vielen Dank Mario, Du warst mein Urlaubs-Retter!
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.