Der Sturm von Anhängern des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump auf das Kapitol in Washington hat an den Börsen nur kurzfristig für Irritationen gesorgt. Die Anleger konzentrierten sich vielmehr auf den formell bestätigten und gestärkten Wahlsieger Joe Biden. Der Demokrat kann nach dem Repräsentantenhaus nun auch mit einer Mehrheit in der zweiten Kongresskammer, dem Senat, praktisch durchregieren. Dies hatte die wichtigsten US-Indizes Dow Jones und den breiter gefassten S & P 500 zwischenzeitlich auf neue Höchstmarken getrieben. Unter den Gewinnern waren insbesondere Finanz-, Industrie- und Energiewerte.
"Der Markt ignoriert den Sturm auf das Kapitol, sieht ihn als letzten tragischen und verzweifelten Akt in der Amtszeit Trumps", sagte Donner-&-Reuschel-Chefvolkswirt Carsten Mumm. Die Marktteilnehmer fokussierten sich nun darauf, dass Biden mit der demokratischen Mehrheit in beiden Häusern den Weg rasch frei machen könnte für weitere Konjunkturhilfen im Kampf gegen die Corona-Krise und ihre wirtschaftlichen Folgen. "Außerdem rechne ich in diesem Szenario nicht mit einem deutlichen Linksruck", sagte Mumm.
Markus Schön vom Vermögensverwalter Schön & Co zeigte sich allerdings irritiert, dass die Börse Rekorde nimmt, während die US-Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert wird. "15 bis 20 Millionen Amerikaner sind jetzt für das demokratische System endgültig verloren. Das daraus resultierende Gefahrenpotenzial wird von den Aktienmärkten weggeblendet", sagt Schön.
Techaktien unter Druck
Mit den neuen Machtverhältnissen gerieten zudem Techaktien wie Facebook, Amazon, Apple oder Alphabet unter Druck, die unter Biden strenger reguliert werden könnten. "Die Demokraten werden jetzt Zähne bei den Techwerten zeigen", warnte Bank-of-America-Analyst Justin Post.
Der Sturm auf das Kapitol war der schwerste Angriff auf das symbolträchtige Gebäude seit 1814, als es die britische Armee in Brand steckte. Die Gewalteskalation sorgte an der Börse für teilweise kuriose Reaktionen. Die Aktie des Waffenherstellers Smith & Wesson etwa schoss um 18 Prozent in die Höhe. Hintergrund war die Erwartung, dass Amerikaner sich in großem Umfang mit Waffen eindecken könnten, weil sie mit einer Verschärfung der Waffengesetze durch die Demokraten rechnen.
Der bestätigte Wahlsieg Bidens wiederum beflügelte Spekulationen auf einen Umbau der US-Wirtschaft hin zu mehr Umweltverträglichkeit. Der Solarwerte-Fonds (ETF) von Invesco markierte ein Zwölfjahreshoch. Andere Anleger wetteten auf eine umfassende Legalisierung von Marihuana. Dadurch stieg der Indexfonds für Cannabis-Produzenten auf ein Elfmonatshoch von 17 Dollar.