Und dann liefert sie dem neben ihr stehenden ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine Beruhigungspille: "Ich bin sicher, dass auch jede weitere Bundesregierung in dem gleichen Geiste weiterarbeiten wird", sagt sie und spricht von einem "bilateralen Abschiedsbesuch".
Erkennbar versucht Merkel zum Ende ihrer Amtszeit in der Außenpolitik ihre wichtigen politischen Positionierungen der vergangenen 16 Jahre für die Zeit nach ihrem Abgang abzusichern. Dies gilt für die wenigen Reisen, die sie nach der Lockerung der Corona-Beschränkungen gemacht hatte - nach Frankreich, in die USA, nach Russland, nun in die Ukraine. Am kommenden Wochenende folgt dann Israel.
Merkel, die ihr Amt nach der Bundestagswahl am 26. September abgibt, vermittelt dabei jedes Mal den Eindruck, dass sie noch einmal ihre Grundphilosophie in Krisenherden untermauern will. Schon bei ihrem Treffen mit US-Präsident Joe Biden in Washington hatte Merkel die engen transatlantischen Beziehungen betont. "Ich möchte, dass das auch nach meiner Zeit als Bundeskanzlerin so bleibt. Ich glaube, mit diesem Besuch haben wir einige Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch Formate da sind, in denen man sich weiter austauschen kann", fügte sie hinzu - als ob sie Sorge hat, dass eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger die enge Kooperation infrage stellen könnte.
In Moskau klang sie trotz der völlig anderen Umstände nicht viel anders. Zwar fand sie sehr kritische Worte, forderte die Freilassung des Regimekritikers Alexej Nawalny und bedauerte in Anspielung auf den autoritären Kurs von Präsident Wladimir Putin, dass sich die politischen Systeme beider Länder in ihrer Amtszeit auseinanderentwickelt hätten. "(Aber) ich glaube, es gibt im internationalen Kontext keine Alternative - oder keine vernünftige Alternative - dazu, zu versuchen, miteinander zu reden, Argumente auszutauschen und dabei auch immer wieder dicke Bretter zu bohren", fügte sie in Moskau mit Blick auf den aus ihrer nötigen Dialog mit Russland hinzu, das sie in 16 Jahren Amtszeit immerhin 16-mal besucht hat.
Der Besuch in der Ukraine bildet nun den nötigen Gegenpart zu dem Putin-Treffen, weil die deutsche Ostpolitik spätestens seit dem Russland-Ukraine-Konflikt 2014 eine neue Komponente bekommen hat: Erstmals hatte die Bundesregierung damals die Rolle als zentraler Mittler in einem Krieg gespielt. Sieben Jahre später will Merkel angesichts einer festgefahrenen Lage in der Ostukraine retten, was zu retten ist. Sie müsse einräumen, dass man bei der Umsetzung des Minsker Abkommens nicht so weit gekommen sei, wie sie gehofft hatte, sagte sie in Moskau. "Trotzdem rate ich dazu, weiter zu versuchen, dieses Format sozusagen lebendig zu gestalten und es nicht in einer Sackgasse enden zu lassen, auch wenn es länger dauert, als wir das gehofft haben." Deshalb dringt sie in Kiew auf ein Gipfeltreffen im sogenannten Normandieformat mit den Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Ukraine - schon um Emmanuel Macron nach ihrem Abgang bei der Stange zu halten.
Tatsächlich lassen sich viele ihrer außenpolitischen Aktivitäten und zumindest die wenigen physischen Treffen mit diesem Wunsch erklären, ihr Vermächtnis zu retten - wenn es nicht gerade um akutes Krisenmanagement wie bei Afghanistan geht. Aber Merkel hatte auch noch ein Treffen mit den Regierungschefs der Westbalkan-Staaten organisiert, deren Heranführung an und in die EU ihr sehr wichtig ist. Kommenden Freitag empfängt sie mehr als ein Dutzend afrikanischer Präsidenten in Berlin. Und den neuen Präsidenten des Niger empfing sie sogar trotz ihrer Corona-Ängste im Kanzleramt zum Abendessen. Denn Niger als einer der ärmsten Staaten der Welt steht im Zentrum ihrer Bemühungen, die Migrationsströme Richtung EU stärker zu ordnen, weil hier einer der Transitroute nach Libyen verläuft. Von der litauisch-belarussischen Grenze über die Türkei bis Libyen sieht Merkel die Notwendigkeit, die EU-Außengrenzen wenn möglich durch eine Kooperation mit den Nachbarn und Transitländern zu schützen - die Machtübernahme der Taliban und die zu erwartenden Fluchtbewegungen aus Afghanistan verstärken dies noch. Deshalb sprach sie nach eigenen Angaben auch bei ihrem Treffen mit Putin über Libyen und forderte ihn auf, die russischen Söldner abzuziehen.
Kommendes Wochenende folgt dann das nächstes Reiseziel Israel. Auch hier will Merkel noch einmal einen Kern ihrer Außenpolitik unterstreichen: Die Sicherheit des jüdischen Staates gehört für sie ungeachtet aller politischen Differenzen etwa über die Siedlungspolitik in den palästinensischen Gebieten zur deutsche Staatsräson.
rtr