Die laufende Fußballeuropameisterschaft trennt die Mannschaften in zwei Lager. Auf der einen Seite die Offensivspieler, auf der anderen die sogenannten Betonfußballer, die mit defensiver Taktik die Partie für sich entscheiden wollen. Beide Formationen finden sich auch an der Börse wieder. Hier stehen sich die Verfechter der Value-Strategie (defensiv) und Growth-Strategie (offensiv) gegenüber.

Zuletzt kam es bei den Anlagestilen zu einem Führungswechsel. Hatten 2014/2015 die substanzorientierten Titel gegenüber den Wachstumswerten das Nachsehen, kehrten sich die Vorzeichen im laufenden Jahr um. Während der MSCI-World-Value-Index in den ersten fünf Monaten um 3,1 Prozent nach oben sprintete, kam das Growth-Pendant lediglich um 1,1 Prozent voran. "Der volatile Jahresstart hat den Risikoappetit der Anleger gezügelt", erklärt Fondsmanager Andreas Humpe von Schleber Finanz-Consult den Wechsel.

Die Schwäche der chinesischen Wirtschaft, drohende Zinsanhebungen in den USA, ein möglicher Brexit sowie die anstehenden Wahlen in Übersee lassen die Spieler am Börsenparkett derzeit mit Vorsicht agieren. "In unsicheren Zeiten greifen Anleger gern auf Substanzaktien zurück, also jene Unternehmen, die über eine sehr gute Finanz- und Ertragslage verfügen", sagt Humpe. Der als "Vater der Wertpapieranalyse" bekannte Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Graham hat die hohen Erfolgschancen der Value-Aktien bereits in den 30er-Jahren publik gemacht. Er vertrat die Meinung, dass eine Aktie nur dann gekauft werden sollte, wenn sie unter ihrem fundamentalen Wert notiert. Damit Anleger sich eine Meinung über ein Unternehmen bilden können, entwickelte Graham die Fundamentalanalyse und verwendete Kennzahlen wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) oder die Dividendenrendite.

Value im Vorteil



"Eine isolierte Betrachtung einer Kennzahl ist aber nicht sinnvoll, der Erfolg zeigt sich in der Kombination der verschiedenen Bewertungskennziffern", so Portfoliomanager Humpe, "Value-Aktien werden in der Regel ohne Prämie gehandelt." Dies ist ein Grund dafür, dass diese vor allem bei fallenden Märkten Relative Stärke zeigen, denn aufgrund der niedrigeren Bewertung ist ihr Rückschlagsrisiko geringer. Historischen Daten zufolge zahlt sich die wertorientierte Anlagestrategie mehrheitlich aus. Beim Vergleich des MSCI World Value mit dem MSCI-World-Growth-Index schaffte der Value-Ansatz seit 2001 in neun von 16 Fällen eine Outperformance.

Researchexperte Alexander Ions von AXA Investment sieht vor allem kleinere Substanzwerte im Vorteil: "Ein valueorientierter Anlageansatz hat sich in der Vergangenheit oftmals als sehr profitabel bei globalen Small Caps erwiesen." Nach seinen Angaben waren in den vergangenen 25 Jahren die Titel, die nach einfachen Kriterien wie KGV, KBV oder Dividendenrendite ausgewählt wurden, in allen wichtigen Anlageregionen rund um den Globus erfolgreich. Für die Outperformance nennt Ions zwei Schlüsselfaktoren: "Zum einen sind günstig bewertete Firmen in ihrer Entwicklung wesentlich robuster als sie der Papierform nach erscheinen. Und zum zweiten ist das starke Wachstum hoch bewerteter Unternehmen oftmals nur von kurzer Dauer."

Aus dem deutschen Small-Cap-Bereich sind wir insbesondere für die Aktie von Einhell positiv gestimmt. Der Value-Titel notiert derzeit deutlich unter seinem Buchwert. Hinzu kommt, dass der Heimwerkerprofi auch solide und profitabel wächst. Von 2004 bis 2014 wies die Firma im Durchschnitt eine operative Marge von 4,3 Prozent aus. Dieses Niveau soll gehalten werden. Langfristig peilt Einhell eine Rendite zwischen vier und 4,5 Prozent an.

Aber auch unter den Bluechips wird man fündig. Deutlich unter Wert gehandelt wird BMW. Die Unsicherheiten auf dem chinesischen Automarkt setzten dem DAX-Mitglied zuletzt zu. Folglich haben sich die Bewertungskennziffern verbessert. Das 2017er-KGV liegt im einstelligen Bereich, die Dividendenrendite beträgt um die fünf Prozent (siehe Tabelle). Die Eigenkapitalrendite befindet sich mit 15 Prozent derzeit über dem Zehnjahresdurchschnitt von 13,2 Prozent des Autokonzerns.

Auf internationaler Basis wiederum macht vor allem Johnson & Johnson eine werthaltige Figur. Die Aktie zählt nicht nur zu den Schwergewichten des MSCI-World-Value-Index, der US-Mischkonzern ist auch das einzige Unternehmen weltweit, das von allen drei großen Ratingagenturen ein "Tripple A" erhalten hat. Das zeigt eindrucksvoll, wie gut es finanziell um den Konzern bestellt ist. Und das Geld wird immer mehr: In den vergangenen zehn Jahren stieg der operative Cashflow um knapp zwei Drittel auf 19,3 Milliarden US-Dollar. Auch 2016 läuft es rund. Nach einem guten Jahresstart hob Johnson & Johnson die Prognose fürs Gesamtjahr leicht an.



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Wachstum im Fokus



Bei der Growth-Strategie stehen nicht die vorhandenen Vermögenswerte eines Unternehmens im Vordergrund, es ist vielmehr der erwartete starke Anstieg von Umsatz und Gewinn. Anders als ihre Value-Pendants weisen Growth-Titel oft ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis auf. "Anleger vernachlässigen die Bewertung, im Zentrum steht die Fantasie für die künftige Entwicklung des Unternehmens", verdeutlicht Fondsmanager Humpe die Strategie. Diese Fantasie sorgt auch dafür, dass Growth-Aktien mit einer Wachstumsprämie gehandelt werden.

Ebenso wie der Value-Ansatz hat auch die Growth-Strategie eine lange Tradition. Selbst wenn historische Analysen zeigen, dass das Value-Investing aus Rendite- und Risikogesichtspunkten langfristig überlegen ist, kommt es immer wieder zu Phasen, in denen der Wachstumsansatz deutlich höhere Renditen erwirtschaftet. So zeigte der MSCI-World-Growth-Index in der Zeit nach der Finanzkrise eine klare Outperformance. In der jüngsten Vergangenheit war es das viele billige Geld der Notenbanken, das die Risikofreude der Anleger steigerte, und so floss vermehrt Kapital in die offensiv ausgerichteten Gesellschaften.

Zu 100 Prozent auf Wachstum getrimmt ist beispielsweise United Internet. Gründer und Vorstandschef Ralph Dommermuth hat den Neuen Markt überlebt und ist mit seinen Marken 1&1, Web.de und GMX auf einem beharrlichen Erfolgskurs. Allein in den vergangenen fünf Jahren konnte der Internetdienstleister seinen Gewinn je Aktie im Durchschnitt um 38 Prozent steigern. Das prozentual zweistellige Wachstum soll anhalten. Für 2016 und 2017 wird ein Plus von jährlich 19 Prozent erwartet. Mit einer jährlichen Gewinnsteigerung von 37 Prozent seit 2010 steht CTS Eventim Dommermuths Firma in nichts nach. Auch das künftige Wachstum ist mit jährlich 16 Prozent beachtlich. Beide Titel sind auf dem aktuellen Niveau ein klarer Kauf.

Dazu noch etwas Fusionsfieber



Jenseits der heimischen Landesgrenzen sind wir auf der Suche nach einer interessanten Growth-Aktie auf Gamesa gestoßen. Mit einem Plus von 8,5 Prozent seit Silvester schneidet der spanische Bluechip derzeit deutlich besser ab als der IBEX 35. Für die gute Performance ist nicht nur das starke Wachstum verantwortlich, auch schwingt in der Aktie Übernahmefantasie mit. Es laufen Spekulationen, dass Siemens seine Windkraftsparte mit der des Konkurrenten zusammenbringen möchte. Daraus entstünde der weltweite Branchenführer in diesem Bereich. Die Gamesa-Aktie ist für risikobewusste Anleger eine Wette wert.

Welcher der beiden Anlagestile in Zukunft vorn liegen wird, lässt sich nur schwer vorhersagen. Ein gut sortiertes Portfolio sollte allerdings sowohl Value- als auch Growth-Aktien beinhalten. In volatilen Zeiten raten wir, den wertorientierten Ansatz überzugewichten. Wer sich nicht auf Einzeltitel festlegen möchte, kann sich über ETFs beide Strategien ins Depot holen.