Dem Abwärtstrend der Versorger-Aktien können sich auch die Papiere der österreichischen Verbund AG nicht entziehen. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Verbund-Aktie rund 40 Prozent an Wert verloren. Charttechnisch befindet sie sich noch im freien Fall.

Zwar gewinnt das Unternehmen seine Energie hauptsächlich aus Wasserkraft und hat nicht mit den Altlasten des Atomausstiegs zu kämpfen, dennoch drückt der Preisverfall beim Strom den Gewinn. Die Zahlen für 2015 werden voraussichtlich am 9. März veröffentlicht. Dann wird sich zeigen, wohin die Reise geht. Wir sprachen mit Vorstandschef Wolfgang Anzengruber über die Zukunft der Branche und die weiteren Aussichten für das Unternehmen - auch auf dem deutschen Markt.

Börse Online: Die Energiebranche befindet sich im Umbruch. Wie sehen die klassischen Konzerne in zehn Jahren aus?


Wolfgang Anzengruber:

Auf jeden Fall anders als heute. Wenn man sich anschaut, wie es noch vor nicht allzu langer Zeit ausgesehen hat, kann man sich sicher sein, dass in zehn Jahren kein Stein mehr auf dem anderen stehen wird. Die Rahmenbedingungen haben sich gravierend geändert. Die Energiewende ist eine Tatsache.

Was genau wird sich ändern?


Die große Herausforderung für den gesamten Sektor wird es sein, mit dem Kunden - sprich Privat-, Industrie- und Gewerbekunden - eine bestmögliche Vernetzung zu haben, um über das klassische Kundenverhältnis hinaus zusätzliche Services und Dienstleistungen anzubieten. Wir erleben eine Demokratisierung in der Energiewelt. Wir haben nicht mehr das Kunden-Lieferanten-Verhältnis, wie wir es früher einmal hatten. Der Kunde ist viel stärker verzahnt mit uns. Das Produkt Strom wird ein Commodity sein, das man aus erneuerbaren Quellen gewinnt. Bei uns sind das vorrangig Wasser, Wind und Sonne.

Strom stand in der Vergangenheit nicht immer im Ruf, umweltfreundlich zu sein ...


Heute macht Strom etwa 20 Prozent des gesamten Energiesystems aus. Um dieses gesamte System weiter in Richtung der erneuerbaren Energien zu bringen, wird man Strom sehr stark brauchen. Strom hat eine substituierende Kraft für fossile Energieträger. Bisher wurde in der Regel mit Gas und Öl geheizt, künftig wird das zunehmend über Strom geschehen. Zudem wird Strom im Mobilitätssektor an Bedeutung gewinnen.

Was muss dazu passieren?


Wir müssen alles weiterentwickeln. Das betrifft die Energieerzeugung, aber auch die Effizienzseite bei allen anderen Herstellern. Auf der Effizienzseite gibt es noch riesige Potenziale. Wenn man beispielsweise den Wirkungsgrad beim Autofahren mit Benzin betrachtet, von der Ölquelle bis zum gefahrenen Kilometer, habe ich einen Wirkungsgrad von unter 20 Prozent. Im Wärmebereich ist es beispielsweise eine physikalische Schnapsidee, Erdgas bei über 1000 Grad zu verbrennen, um Wärme von 20 Grad daraus zu machen. Es muss allen klar sein: Verbrannte fossile Energieträger wie Öl, Gas oder Kohle sind für immer weg. Wenn wir diese jetzt durch erneuerbare Energien ersetzen können, erreichen wir einen Nichtverbrauch von Ressourcen.

Auf Seite 2: Geht das alles ohne Atomkraft?





Geht das alles ohne Atomkraft?


Davon bin ich überzeugt. Die Frage ist nur, in welcher Zeitspanne? Das wird sicher nicht in den nächsten drei Jahren geschehen. Aber in einer Generation ist das sicher möglich.

Haben Sie Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Energieerzeugern?


Wir haben den großen Vorteil, dass Verbund immer schon den klaren Wasserkraft-Schwerpunkt hatte und die Kernenergie bei uns in Österreich nie ein Thema war. Der riesige Wandel, der bei anderen Energiekonzernen notwendig ist, betrifft uns daher kaum. Wir produzieren jetzt schon rund 95 Prozent unserer Energie aus Wasserkraft. Und unsere Wasserkraftwerke haben den Vorteil, dass sie oft über 100 Jahre lang laufen und somit eine deutlich längere Nutzungsdauer als andere Kraftwerke haben.

Welche Herausforderungen müssen Sie dann in erster Linie bewältigen?


Bei der Erzeugung der erneuerbaren Energien müssen wir die Kostenführerschaft anstreben. Denn Strom ist Strom. Man kann nicht sagen: Von mir gibt es den besseren Strom. Wenn demnächst alle Strom aus erneuerbaren Quellen verkaufen, haben wir keinen Vorteil mehr. Daher wird der Preis im Wettbewerb von enormer Bedeutung sein. Das zweite große Thema ist die Infrastruktur beziehungsweise der Netzausbau. Diese Diskussionen gibt es ja auch in Deutschland. Der dritte Aufgabenbereich - und das ist ein sehr stark wachsender Markt - beinhaltet energienahe Lösungen beziehungsweise deren Management für unsere Kunden.

Für welche Art von Kunden bieten Sie derartige Lösungen bereits an - und wie sehen die eigentlich aus?


Wir bieten sowohl für Privat- als auch für Industriekunden Lösungen an. Bleiben wir zunächst einmal beim Privatkunden: Er will Komfort, Einfachheit, Transparenz und Flexibilität. Das geht mit verschiedensten Produkten. Ein Beispiel: Ein durchschnittlicher Haushalt hat einen jährlichen Verbrauch von 3500 Kilowattstunden. Warum soll Strom nicht ähnlich abgerechnet werden wie Ihr Handy? Spielen bei Ihnen die Bandbreite oder die Gesprächsminuten noch eine Rolle? Die meisten Handynutzer haben doch schon längst eine Flatrate.

Ist die Telekommunikationsbranche ein Vorbild für den Energiesektor?


Das könnte gut sein. Die Stromflat wird wohl nicht morgen kommen. In Zukunft ist das aber sehr gut vorstellbar. So könnte ein Kunde für seinen Strom beispielsweise einen Euro am Tag bezahlen. Uns muss es gelingen, ein Produkt zu verkaufen und nicht die Leistung. Privatkunden haben kein Interesse an Kilowattstunden. Sie wollen, dass es warm wird, dass Licht brennt und der Fernseher läuft.

Wie wird sich dann der Markt entwickeln?


Die Zeit der Riesen ist jedenfalls vorbei. Die großen Konzerne spalten sich auf. In der Vergangenheit wollte die Branche immer alles selber machen. Zukünftig werden die Unternehmen viel mehr mit Start-ups oder Technologieschmieden kooperieren müssen.

Was heißt das für Verbund?


Wir werden wesentlich IT-lastiger werden. Integration und Steuerung sind die Themen. Nehmen Sie als Beispiel das Eco-Home, die Verbundlösung für Komfort, Sicherheit und Steuerung im smarten Zuhause. Oder unsere Kooperation mit Tado. Das intelligente Heizthermostat von Tado erkennt, wie weit ich von zu Hause entfernt bin. Nähere ich mich meinem Zuhause, fährt die Heizung hoch.

Es gibt schon viele Geräte, die man über das Handy steuern kann. In vielen Fällen ist es aber wohl auch technische Spielerei.


Das sehe ich anders. Ich spare mit der Tado-App tatsächlich Tag für Tag Energie und somit auch Geld. In dieser Richtung haben wir mehrere Ideen. Auch für die Industrie haben wir beispielsweise mit Powerpooling Lösungen. Hier werden Energieflexibilitäten in virtuelle Kraftwerke gebündelt und auf den Markt gebracht.

Ihre Auslandsaktivitäten haben Sie mit den Kraftwerksverkäufen in der Türkei und Frankreich deutlich zurückgefahren. Wollen Sie noch im Ausland expandieren?


Auf jeden Fall. Wir müssen aber realistisch bleiben. Verbund hat nicht die Größe, um überall im Ausland zu expandieren. Unsere Zielregion sind die Alpenländer. Vor allem in Deutschland sehen wir durchaus Potenzial. Aktuell können Privatkunden in der bayerischen Inn-Region bereits Strom bei uns kaufen. Da läuft gerade die Testphase an. Viele unserer Energiedienstleistungen bieten wir bereits in ganz Deutschland an. Beim Thema energienahe Dienstleistungen setzen wir auch ganz stark auf Kooperationen. Wir haben ein vielversprechendes Joint Venture im Contracting-Bereich mit der Firma Getec. Zusätzlich haben wir uns an Solavolta, einem österreichischen Photovoltaik-Unternehmen, beteiligt und vertreiben im Bereich der Stromspeicherung die Tesla Energy Powerwall. Sie können somit alle Produkte aus einer Hand bei Verbund beziehen.

Welche finanziellen Vorteile soll das letztendlich haben?


Der Vorteil des Dienstleistungsprogramms ist, dass keine hohen Investitionen damit verbunden sind. Das ist nicht mit einem Kraftwerksbau zu vergleichen. Dienstleistungen sind bei Weitem nicht so kapitalintensiv. Deshalb sind die Renditen deutlich höher.