Mit Blick auf Ereignisse wie die SARS-­Epidemie 2004, auf Vogel- und Schweinegrippe und jetzt die Corona-­Krise bleibt Jens Ehrhardt skeptisch: Es werde nicht das letzte Mal sein, dass ein derartiges Ereignis auftrete und weltweit für Unruhe sorge. Nicht zuletzt deshalb rechnet der Vermögens­verwalter auch damit, dass die Globalisierungswelle nun einen "ziemlichen Knick" bekommen könnte. Und mit Blick auf Corona werde es noch weitere wirtschaftliche Rückschläge geben. In den aktuellen Börsenkursen sei das meiste aber schon enthalten, sodass sich Einstiegsmöglichkeiten ergäben; beispielsweise ausgerechnet in "scheinbar todlangweiligen Witwen- und Waisenpapieren" wie Eon.

€uro am Sonntag: Sie sind seit mehr als einem halben Jahrhundert im Geschäft. Wie haben Sie das jüngste Börsen­beben persönlich erlebt?

Jens Ehrhardt:

Das war schon ein Gefühl fast wie 1987, als sich der bis dahin größte Börsencrash seit dem Zweiten Weltkrieg ereignete. Damals ging es ja auch sehr stark und sehr schnell runter. Ich habe vergangene Woche schon gespürt, dass sich da gerade ein sehr seltenes, sehr gravierendes Ereignis abspielt. Viele haben in ihrem ganzen Börsenleben wahrscheinlich noch keinen so einschneidenden Rückgang erlebt.

Warum war dieses Ereignis so ungewöhnlich?

Weil es außerhalb einer Baisse stattfand, also nicht in einer Phase fortdauernd sinkender Kurse. Im Zuge der Finanzkrise mit Beginn 2008 gab es ja mehrere deutliche Rückschläge, teilweise zehn Prozent pro Woche. Aber das zog sich über eine zweijährige Baisse hin. 2000 bis 2003 gab es auch drei solcher Rückschläge, aber eben innerhalb einer richtigen Baisse. Da hatten auch die Notenbanken vorher schon gebremst und dem Markt Liquidität entzogen.

Jetzt haben die Notenbanken bis zum Schluss Gas gegeben.

Genau. Das war ein Rückschlag mit monetärem Rückenwind statt mit Gegenwind. Das war schon sehr ungewöhnlich. Normalerweise kommt die Baisse, wenn die Notenbank die Inflation bekämpft, die Zinsen hochsetzt und das Geld verknappt. Und wir hatten auch keine politische Zuspitzung als Auslöser -wie 1962 bei der Kuba-Krise, als der Markt auch zehn bis 20 Prozent einbrach.

Wie überrascht waren Sie?

So ganz unerwartet kam das Ganze für mich nicht, weil die Markttechnik schon vor Corona, also im Dezember, nicht sonderlich gut war. Es gab zu viele ­Optimisten. Auch bei der sogenannten Put-Call-Ratio zeichnete sich ein überzogener Optimismus ab. Ich dachte mir noch: Die Börse wird sich jetzt irgendeinen Grund suchen. Dass jetzt Corona kam, war überraschend.

Derzeit kursieren Szenarien über den Verlauf dieser Krise: schnelle Erholung nach V-Muster, verzögerte Erholung nach U-Muster oder Dauerkrise nach L-Muster. Womit rechnen Sie?

Der wirtschaftliche Einbruch kann stärker werden als erwartet, was aber die Börse nicht noch mal umwerfen muss. Die Wirtschaft hat wohl noch einige schlechte Nachrichten vor sich, ohne dass es noch mal eine neue Börsenbaisse gibt. Die Börse nimmt schon sehr viel vorweg.

Wo schlägt es am ärgsten ein?

Der Tourismus ist schwer getroffen, und der macht zehn Prozent der Weltwirtschaft aus: also von 65 Billionen Dollar sind das 6,6 Billionen Dollar weltweit. Das wird auch nicht V-artig besser.

SARS, Vogel-, Schweinegrippe, jetzt Corona: Werden derartige epidemische Ereignisse häufiger auftreten?

Das ist in der Tat zu befürchten. Ich habe den Eindruck, dass das nicht das letzte Mal war, dass wir so eine Epidemie gesehen haben.

Mit welchen Folgen?

Globalisierung ist gut, aber nicht immer und überall. Wenn fast alle Antibiotika auf der Welt von einer Firma in China her­gestellt werden, weil es da am billigsten ist, muss man sich fragen, wie vernünftig das ist. Und dann macht man das ein oder andere wieder selbst, gerade im medizinischen Bereich. Aus diesem Grund unterstützt man ja auch die Bauern in Europa, um bei Lebensmitteln notfalls autark zu sein.

Rechnen Sie mit einer Anti-­Globalisierungswelle?

Eine Anti-Globalisierungswelle könnte es durchaus geben. Gerade vor dem Hintergrund des Handelsstreits könnten die US-­Amerikaner wieder stärker in den USA produzieren. Ein solches Umdenken ist, glaube ich, aber auch fällig.

Wie gehen Sie als Profi-Investor mit dieser Situation um?

Wir haben bereits in den vergangenen Monaten die Aktienquoten gesenkt. Derzeit hat unser größter Fonds, der Mischfonds DJE Zins und Dividende (ISIN: LU 055 316 473 1), eine Aktienquote von 28 Prozent - bei einer Obergrenze von 50 Prozent. Das ist ein klassischer Mischfonds, der normalerweise zur Hälfte in Aktien und Anleihen investiert. Der niedrige Prozentsatz hat dazu geführt, dass der Fonds seit Jahresbeginn nur 1,4 Prozent im Minus liegt.

2019 war ein sehr gutes Börsenjahr, alle waren engagiert, und auch die Prognosen waren sehr gut. Woran haben Sie gemerkt, dass der Markt verletzlich ist?

Wir haben von der Markttechnik her die Gefahr gesehen, bevor der Coronavirus zugeschlagen hat. Während niemand Puts gekauft hat, also auf fallende Kurse spekuliert hat, haben wir bereits die Volatilität gekauft. Wenn die Put-Call-Ratio, also das Verhältnis von Verkaufs- zu Kaufoptionen, die schlechteste ist seit Jahrzehnten, muss man hellhörig und vorsichtig werden - auch ohne Corona.

Mitte Februar breitete sich Corona massiv aus - dennoch eilte der DAX weiter von Rekord zu Rekord. Was war da los?

Diese Rally war in der Tat merkwürdig. Als schon die Hiobsbotschaften über die Coronavirus-­Verbreitung in China kamen, lief es trotzdem immer weiter. Da haben viele Leute ihre Absicherungen aufgelöst, weil sie gedacht haben: Corona, das macht uns nichts mehr, wir segeln weiter mit monetärem Rückenwind. Auch das haben wir erkannt, weil wir markttechnisch orientiert sind.

Und was beobachten Sie in der aktuellen Situation?

Ich glaube, dass wir tatsächlich noch im Aufwärtstrend sind, unabhängig von den hohen Bewertungen am Aktienmarkt, speziell in den USA.

Es gab eine heftige Korrektur. Sie sagen, der Aufwärtstrend sei intakt. Soll man jetzt also einsteigen?

Ich glaube schon. Markttechnisch sind wir weitgehend unten angelangt. Auch wenn uns wirtschaftlich noch ein paar Hiobsbotschaften bevorstehen, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich längerfristig mit guten Aktien einzudecken. Längerfristig auch deshalb, weil Anleihen kaum Rendite bringen und Aktien doch ganz gute Dividenden.

Nennen Sie Einzeltitel?

Ich darf keine Einzeltitel empfehlen, aber ich kann Top-Ten-Titel aus unseren Fonds nennen. An vorderster Stelle steht der Versorger Eon. Generell finde ich Versorger in Deutschland, aber auch weltweit nicht schlecht. Es ist die in Fonds am meisten untergewichtete Branche. Sie haben zudem eine gute Relative Stärke. Drittens haben sie Gewinnsteigerungspotenzial durch den Trend zu Elektro­autos und Digitalisierung. Also kauft man sich ein scheinbar todlangweiliges Witwen- und Waisenpapier aus einer Branche, die keiner mag. Das gilt auch für RWE, da hat man sogar einen starken grünen Aspekt.

Welches Störfeuer droht durch Gewinnwarnungen?

Da halte ich alles für möglich, auch wenn der Gesamtmarkt schon weit unten ist. Bei einzelnen Titeln könnte es heftig einschlagen, wie in den USA.

Ihr Fazit?

Wir müssen uns wirtschaftlich auf Rückschläge einstellen, das meiste ist aber in den Börsenkursen schon enthalten. Kurzfristiges Überschießen ist nicht ausgeschlossen, vor allem wenn die Fallzahlen in Deutschland plötzlich stärker steigen wie zuletzt in Italien.

Vita
Gründer und Chef


1942 in Hamburg geboren, studierte Jens Ehrhardt von 1962 bis 1968 Betriebswirtschaftslehre in Hamburg und München. Nach seiner Promotion (Thema: "Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt") gründete er 1974 in München die Vermögensverwaltung Dr. Jens Ehrhardt, seit 2008 DJE Kapital AG. Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandschef, sein Sohn Jan Ehrhardt seit 2015 Vizechef.

Investment
Roche und Tech


Neben Versorgern steht in der Top-Ten-Liste von Ehrhardt an zweiter Stelle der Pharmakonzern Roche, an dritter US-Tech­riesen wie Alphabet und Microsoft. Tourismus sei eine Branche, die gut wieder auf die Beine kommen könnte - aber nicht V-artig, sondern vielleicht erst ab dem zweiten Halbjahr. Und dann gibt es noch Titel wie Teamviewer, die aufgrund ihres Geschäftsmodells dem Beben getrotzt haben. Teamviewer, so Erhardt, sei ein Topwert aus seinem Mittelstandsfonds.