Manches kommt ganz unverhofft. Etwa die Nachricht vom Megadeal im britischen Energiesektor: Der Öl- und Gasmulti Royal Dutch Shell übernimmt für 47 Milliarden Pfund den heimischen Konkurrenten BG Group. Die Transaktion ist die größte des Sektors seit mehr als einem Jahrzehnt. Anderes kommt mitnichten überraschend, ist aber deswegen nicht minder brisant. So die bevorstehende Parlamentswahl in Großbritannien, die unter Anlegern zusehends in den Fokus rückt.
Am 7. Mai steht eine Menge auf dem Spiel. Üblicherweise bevorzugt der Finanzmarkt die Konservativen, weil sie als wirtschaftsfreundlicher gelten. Premierminister David Cameron hat allerdings versprochen, dass er im Fall seiner Wiederwahl bis Ende 2017 ein Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU abhalten wird. Diese Aussicht erhöht beim wirtschaftlich versierten Wahlvolk nicht gerade die Chancen der Konservativen. Laut aktuellen Umfragen liegen sie gleichauf mit der oppositionellen Labour-Partei bei rund 33 Prozent.
Investoren spekulieren daher, dass nach der Wahl wohl eine Drei-Parteien- Koalition notwendig sein wird, um die absolute Mehrheit zu erreichen - eine schwierige Aufgabe angesichts der sehr unterschiedlichen Interessen der kleinen Parteien.
Unabhängig davon, wer nach der Wahl regiert: Es gibt eine Menge an Hausaufgaben zu erledigen. Zwar wächst die Wirtschaft kräftig, was vor allem an den extrem niedrigen Zinsen liegt. Allerdings wird dadurch die Blase am Immobilienmarkt weiter aufgepumpt - das Niveau der Häuserpreise in London liegt im Schnitt beim 6,8-Fachen des durchschnittlichen Haushaltseinkommens. Daher ist es für viele Normalverdiener schlichtweg unmöglich, sich ein eigenes Heim zu kaufen.
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Das starke Pfund wird zum Problem
Gleichzeitig müsste die Regierung das hohe Haushaltsdefizit angehen, das im Fiskaljahr 2014/15 bei fünf Prozent der Wirtschaftsleistung lag. Immerhin erreichten die Staatsschulden Ende September 2014 mit 1,6 Billionen Pfund 88 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Wert liegt damit sogar noch etwas höher als in der EU insgesamt (87 Prozent). Mit Maßnahmen zur Verringerung des Defizits dürfte sich die neue Regierung allerdings sehr zurückhalten, zumal der kräftige Anstieg des Britischen Pfund die Konjunktur in den nächsten Monaten merklich bremsen dürfte. Die Notenbank wird sich mit Zinserhöhungen also wohl noch eine Weile Zeit lassen. "Wir gehen davon aus, dass die erste Zinserhöhung Anfang 2016 kommen wird", sagen die Analysten der BNP Paribas.
Wegen der hohen Unsicherheit über den Wahlausgang könnte der Aktienleitindex FTSE 100 dem Euro Stoxx 50 weiter hinterherhinken. Aussichtsreiche Brit-Titel gibt es dennoch - wie die Einzelhandelskette Marks & Spencer, deren Aktie wir nach den neuesten überraschend guten Nachrichten hochstufen. Nachdem die Umsätze des Konzerns im Geschäft mit Kleidung lange Jahre geschrumpft waren, gelang der Sparte im vierten Quartal die Rückkehr auf den Wachstumskurs. Für Schwung sorgte dabei vor allem der Internethandel.
"Wir haben große Fortschritte gemacht", sagt Vorstandschef Marc Bolland. Die Zahlen belegen, dass das aktuelle Angebot an Kleidung bei den Kunden gut ankommt. Bolland bekräftigte, dass die Bruttomarge im Nicht-Lebensmittelgeschäft im abgelaufenen Fiskaljahr um 1,5 bis zwei Prozentpunkte gestiegen sei. Das Geschäft im Lebensmittelbereich, das rund die Hälfte der Konzernerlöse beisteuert, blieb auf Wachstumskurs, obwohl dieses Marktsegment wegen des zunehmenden Wettbewerbs durch Discounter unter Preisdruck steht.
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Drei aussichtsreiche Alternativen
Für einen Paukenschlag hat zuletzt auch der Telekomriese BT Group gesorgt. Er kauft für 12,5 Milliarden Pfund den größten britischen Mobilfunkprovider EE, ein Joint Venture von Deutsche Telekom und Orange, und wird damit zum integrierten Netzanbieter. Der Deal soll bis März 2016 abgeschlossen werden. Damit fügt der Branchenprimus im Festnetzbereich seinen mehr als zehn Millionen Privatkunden weitere 28 Millionen Mobilfunkkunden von EE hinzu und bietet ab sofort Pakete aus Festnetz, Mobilfunk, Internet und Fernsehen an. Nachdem der Mischkonzern Hutchison Whampoa für 10,3 Milliarden Pfund den britischen Mobilfunkprovider O2 von Telefónica kauft, nimmt zwar der Wettbewerb auf dem britischen Markt zu; mit günstigen Paketpreisen sollte die BT Group dennoch erfolgreich sein. Zudem spricht die Dividendenrendite von drei Prozent für die Aktie.
Auf dem Weg nach oben ist Easyjet. Wegen Währungseffekten hat Europas zweitgrößte Billigfluglinie im ersten Halbjahr der Berichtsperiode 2014/15 besser abgeschnitten als zuvor erwartet. Vorstandschefin Carolyn McCall warnt zwar, dass bei den aktuellen Umrechnungskursen die Währungseffekte im zweiten Halbjahr das Ergebnis belasten werden, Investoren spekulieren allerdings darauf, dass der Konzern von den niedrigen Ölpreisen profitieren wird. Easyjet will im laufenden Fiskaljahr die Kapazitäten um fünf Prozent aufstocken. Wir stufen das Papier hoch.
Aussichtsreich bleibt SABMiller. Der zweitgrößte Brauereikonzern der Welt hat zuletzt zwar unter schwacher Nachfrage in China gelitten, Vorstandschef Alan Clark sucht aber nach neuen Einnahmen und hat Ende 2014 eine Kooperation mit Coca-Cola geschlossen, um in Südafrika die eigenen Abfüllaktivitäten mit denen der Amerikaner zusammenzulegen.