Vor einem Jahr erfolgte der Startschuss für die neue strategische Ausrichtung des Volkswagen-Konzerns. Zwölf Monate später ist eine erste Zwischenbilanz möglich, die Investoren durchaus gefallen dürfte. Die Produktivität der Kernmarke wird im laufenden Jahr um mehr als sechs Prozent steigen, dies bedeutet Einsparungen von rund 500 Mio. Euro. Erstmals seit etwa sechs Jahren sinken wieder die Herstellungskosten je Fahrzeug. Mittelfristig soll die Produktivität im Schnitt aller Standorte bis 2025 um insgesamt 30 Prozent zulegen. Zwischen 2019 bis 2023 könnten den Plänen zufolge rund zwei Mrd. Euro zur Ergebnisverbesserung beitragen.

Der Wandel bei Volkswagen wird somit nicht nur nach außen hin sichtbar - derzeit müssen rund 70.000 Logos ausgetauscht werden. Auch intern laufen große Veränderungen. So entsteht derzeit zusammen mit Amazon und Siemens eine "digitale Produktionsplattform", um die IT-Systeme zu vereinheitlichen.

MEB zahlt sich aus


Auch wenn eine höhere Gewinnkraft ein Hauptziel von VW-Chef Herbert Diess ist, sind enorme Investitionen notwendig. Digitalisierung, autonomes Fahren und besonders der Wechsel zur E-Mobilität kosten Milliarden. Bisher bedient die VW-Gruppe mit dem Audi e-tron oder den E-Sportwagen Porsche Taycan die obere Klasse. Mit dem ID.3 folgt ein Mittelklassewagen in Serienfertigung, die ersten Auslieferungen sollen im Frühjahr 2020 die Kunden erfreuen. Flankiert wird die Elektro-Offensive durch den Modularen Elektrobaukasten (MEB). In den nächsten drei Jahren sinken die Kosten durch die Nutzung vieler gleicher Teile, insgesamt soll die Technologie bei 33 Modellanläufen zum Einsatz kommen.

Das Zwickauer Werk wird komplett für die Elektromobilität umgebaut. Ab 2021 sollen dort sechs verschiedene E-Modelle für drei Konzernmarken gefertigt werden, jährlich sind bis zu 330.000 Fahrzeuge geplant. In Emden wird das nächste reine Elektro-Werk an den Start gehen und wie am Standort in Zwickau auf der MEB-Technologie basieren.

Angriff auf Zulieferer


Mittelfristig positiv zu sehen sind auch die Investitionen in Salzgitter. Aus Kostengründen war die Fertigung eigener Batteriezellen für viele Autohersteller bisher kein Thema. Das Problem: In den vergangenen Jahren haben die asiatischen Batteriezellenhersteller ihren Technologievorsprung massiv ausgebaut und besitzen inzwischen eine große Marktmacht. Für die Autobauer stellt diese Abhängigkeit ein Risiko dar. Da Volkswagen verstärkt auf Elektromobilität setzt, sind die Wolfsburger besonders betroffen.

Um unabhängiger zu werden, startet der Konzern in einer Pilotanlage die Akku-Produktion für Kleinserien. Die Messlatte liegt hoch: Zusammen mit dem schwedischen Partner Northvolt plant der Konzern später Batteriezellen in großem Stil herzustellen. Ab 2020 entsteht in Salzgitter eine Batteriezellfabrik mit einer Kapazität von 16 Gigawattstunden, Volkswagen investiert mehr als eine Milliarde Euro. Der Produktionsstart soll zum Jahreswechsel 2023/2024 erfolgen.

Dieselgate reloaded


Die zahlreichen juristischen Baustellen rücken da schon fast in den Hintergrund. Selbst die Meldung, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig Volkswagen-Chef Herbert Diess, Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und den damaligen Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn wegen Marktmanipulationen anklagt, schreckte Investoren zuletzt nur kurz auf. Nach Überzeugung der Strafermittler haben Diess, Pötsch und Winterkorn die Börse vorsätzlich zu spät über die aus der Aufdeckung der Diesel-Manipulationen resultierenden Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert. In Wolfsburg gibt man sich entspannt und ist der Meinung, alle kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten erfüllt zu haben.

In der Ruhe liegt die Kraft


Auch wenn derzeit "unter der Oberfläche" bei VW viel passiert, Analysten zeigen sich bisher kaum beeindruckt. Die Konsensschätzungen für den Gewinn 2020 und 2021 sind in den vergangenen Monaten nahezu unverändert geblieben und liegen bei 28,90 und 30,10 Euro. Das 2020er-KGV von 5,2 erscheint zwar günstig, ähnliche tiefe Niveaus werden aber seit Monaten aufgerufen und sind Spiegelbild der starken Unsicherheit.

Technisch sieht die Lage ähnlich aus: Seit Sommer 2018 pendelt die Aktie zwischen 135 und 160/165 Euro. Bisher war es jeweils vorteilhaft, an den Grenzen der Range die Gegenposition einzugehen. Erst ein Ausbruch aus der Spanne würde klare Signale liefern.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast bei n-tv und dem Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD). Bei BÖRSE ONLINE war er sechs Jahre Online-Koordinator und Redakteur mit den Schwerpunkten Nebenwerte Deutschland, Zertifikate und Technische Analyse.

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