An der Ecke Chaussee- und Schwarzkopffstraße in Berlin entsteht derzeit eines der teuersten Beispiele für den Immobilienboom, der in der Hauptstadt und in ganz Deutschland seit Jahren anhält. Direkt gegenüber der Zentrale des Bundesnachrichtendiensts baut der amerikanische Stararchitekt Daniel Libeskind ein Luxuswohnhaus. Obwohl es erst im Herbst fertig wird, sind bereits 85 Prozent der 72 Wohnungen verkauft, im Schnitt zu 6000 Euro je Quadratmeter. Für zwei Penthousewohnungen gibt es keinen Preis, hier entscheidet das Höchstgebot. Der Makler rechnet mit Liebhaberpreisen von bis zu 20 000 Euro je Quadratmeter. Für die größte Dachwohnung wären dann 5,5 Millionen Euro fällig. Doch in Berlin wird nicht nur Luxuswohnen immer teurer, der gesamte Markt wächst. Vergangenes Jahr stiegen die Wohnungspreise in der Metropole um 13 Prozent und damit fast dreimal stärker als in Rest-Deutschland.

Eine Ausnahme unter den sieben größten Städten der Republik ist der Regierungssitz nicht. In allen Big Seven - wie Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf in der Branche heißen - zogen die Preise prozentual zweistellig an. Der Immobilienindustrie bescherte dies 2015 ein Rekordjahr. Mit 220 Milliarden Euro wurde laut Immobilienverband IVD noch nie so viel Geld für Wohn- und Gewerbeobjekte ausgegeben wie seit Beginn der Aufzeichnungen 1988.

Entsprechend gut laufen die Geschäfte der Immobilienunternehmen. Vergangene Woche meldete die Deutsche Wohnen das beste Ergebnis ihrer Geschichte: Der Konzerngewinn stieg um ein Drittel auf 1,2 Milliarden Euro. Konkurrent Vonovia wiederum konnte das Ergebnis mit 994,7 Millionen Euro sogar mehr als verdoppeln. Aber auch SDAX-Unternehmen wie Patrizia feiern Wachstumsraten von über 100 Prozent. Insgesamt erlebt der Sektor seit 2010 einen stetigen Aufschwung. Dabei legte der DAX-Subsector Real Estate mit einem Plus von 125 Prozent doppelt so stark zu wie der Leitindex DAX.

Mangel als Wachstumstreiber



Grund für die hervorragenden Ergebnisse ist ein Jahrzehnte altes Versäumnis. Nach Ende des vorherigen Baubooms ging die Zahl der Neubauten seit Mitte der 90er-Jahre zurück und sank vom damaligen Spitzenwert von 600 000 neuen Wohnungen pro Jahr auf etwas über 150 000 in den Jahren 2008 und 2009. "Gut zehn Jahre lang wurden in Deutschland 100 000 Wohnungen pro Jahr zu wenig gebaut und stattdessen Leerstand abgebaut", erklärt Rainer Braun von dem auf Immobilien spezialisierten Marktforscher Empirica.

Doch die lange rückläufige Bautätigkeit ist nur ein Grund für den Wohnungsmangel, ein weiterer ist die Zuwanderung. Bereits seit 2010 zieht Deutschland immer mehr Einwanderer an, zusätzlich verschärft wird die Situation durch den Krieg in Syrien. Das Wirtschaftsinstitut DIW erwartet, dass die Flüchtlingswelle bis 2020 zu einem jährlichen Mehrbedarf von 100 000 Wohnungen führt. Insgesamt müssten jährlich 400 000 neue Wohneinheiten entstehen, um die Nachfrage zu decken. Obwohl 2016 rund 290 000 Einheiten fertig werden, wird sich die Angebotslücke also weiter vergrößern.

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Betongeld als Zinsersatz



Doch nicht nur demografische Trends treiben den Markt an, auch die anhaltend niedrigen Zinsen helfen und zwar gleich zweifach. Die günstigen Kredite senken die Finanzierungskosten der Immobilienkonzerne und sorgen dafür, dass immer mehr Käufer auf den Markt kommen. Weil sich wegen der Minizinsen einstmals sichere Investments wie Staatsanleihen kaum noch rentieren, suchen immer mehr Anleger wie Versicherungen oder Pensionsfonds ihr Heil im Betongold.

Dabei zieht Deutschland mit seiner robust wachsenden Wirtschaft auch zahlreiche ausländische Investoren an. "Es hängt alles am niedrigen Zinsniveau und dem daraus resultierenden Mangel an sicheren Anlagealternativen, das muss einem bewusst sein. Seit die Europäische Zentralbank den Leitzins vor zwei Wochen auf null Prozent senkte, legte der Sektor um rund zehn Prozent zu", erklärt Georg Kanders, Immobilienanalyst beim Bankhaus Lampe.

Blasenangst und Renditerückgang



Doch die hohe Nachfrage hat einen riesigen Nachteil. Weil die Mieten nicht im gleichen Tempo anziehen wie die Preise, sinken die Renditen. Während Eigentumswohnungen 2015 laut Zentralem Immobilienausschuss ZIA in Westdeutschland um 7,2 Prozent und im Osten um 6,2 Prozent teurer wurden, stiegen die Mieten nur um 3,7 und 1,2 Prozent. Als Folge sank die Mietrendite selbst dort auf drei bis 3,5 Prozent, wo einst Margen von über sieben Prozent erzielt wurden. Noch deutlicher wird die Entwicklung beim Blick auf das Verhältnis von Kaufpreis zu Jahresmiete, quasi das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Branche. Musste für eine Eigentumswohnung in den Big Seven 2010 im Schnitt das 22-Fache einer Jahresmiete gezahlt werden, liegt der Faktor heute beim 27-Fachen. Empirica sieht bei den Häuserpreisen daher bereits ein Korrekturpotenzial von 20 Prozent, während die Bundesbank in Ballungsräumen eine Überbewertung von einem Viertel ausmacht. Doch etliche Marktbeobachter erwarten, dass Preise und Mieten auch 2016 weiter steigen. Die Kombination aus Angebotslücke, Zuwanderung und Anlagedruck der Investoren wiegt stärker als sinkende Renditen.

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Die fetten Jahre sind vorbei



Aber auch wenn die Branche das Platzen einer Blase nicht fürchten muss, die Entwicklung der vergangenen Jahre dürfte sich so nicht fortsetzen. "Niemand erwartet, dass sich das Wachstum der vergangenen vier Jahre wiederholt", sagt Thomas Rothaeusler, Immobilienanalyst der Commerzbank. Ein Grund: Hohe Preise und ein mangelndes Angebot machen es immer schwerer, das Wohnungsportfolio und damit den inneren Wert (NAV) der Immobilienfirmen zu vergrößern.

In der Vergangenheit hat oft der Kauf großer Einheiten den NAV getrieben, zusätzlich notierten fast alle Immobilienaktien an der Börse unter dem Wert ihres Immobilienbestands. Mittlerweile liegen die Börsenkurse jedoch meist über dem inneren Wert. Aber "dank steigender Immobilienpreise wird sich der NAV auch ohne Portfolioerweiterungen verbessern. Allein für Deutsche Wohnen mit ihrem Schwerpunkt Berlin erwarte ich dieses Jahr ein NAV-Wachstum von 20 Prozent", so Rothaeusler. Vom Boom der Hauptstadt profitiert auch Ado Properties, die in Berlin ein erstklassiges Portfolio besitzen und als Übernahmekandidat gelten. Zudem kann der Wert eines Immobilienportfolios auch ohne steigende Marktpreise erhöht werden: "Mittels Investitionen verbessern die Firmen die Qualität ihres Bestands, reduzieren den Leerstand und können die Mieteinnahmen erhöhen", erklärt Kai Klose, Immobilienexperte der Berenberg Bank.



So wird Vonovia dieses Jahr bis zu 500 Millionen Euro für die Modernisierung von Gebäuden ausgeben. Dem in Bochum beheimateten Großkonzern spielen zudem Skaleneffekte in die Hände, schließlich wird der Verwaltungsaufwand wegen höherer Mieteinnahmen nicht größer. Mit ähnlichen Maßnahmen verbessert derzeit auch die auf den Osten fokussierte TAG Immobilien ihre Profitabilität. Doch wegen des zuletzt bereits stark gestiegenen Kurses drängt sich ein Kauf nicht auf.

Nicht nur mit Wohnimmobilien lässt sich gut verdienen, auch die Vermietung von Gewerbeobjekten ist gewinnträchtig. Mit langen Mietlaufzeiten, wenig Leerstand und niedriger Verschuldung zählt beispielsweise Hamborner REIT auf diesem Feld zu den Qualitätsaktien in Deutschland. Außerdem sinken die Finanzierungskosten, während das Portfolio trotz hohen Wettbewerbs erfolgreich vergrößert wird. Und im Gegensatz zum teuren Libeskind-Haus in Berlin müssen Interessierte hier noch keine Liebhaberpreise bezahlen.



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