Der Bahntechnikspezialist Vossloh gehört in vielen Bereichen zu den weltweit führenden Anbietern. Mit der globalen Ausrichtung auf nachhaltiges Wirtschaften rückt der Bahnverkehr nicht nur in Deutschland verstärkt in den Fokus. Grund genug für ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Oliver Schuster.
BÖRSE ONLINE: Herr Schuster, Deutschland hat eine neue Bundesregierung. Bündnis 90/Die Grünen haben in dieser Regierung das Wirtschaftsressort. Die Bahn gilt als klimafreundliche Logistikalternative. Viele Jahre wurde zu wenig investiert. Erwarten Sie nun Impulse?
Oliver Schuster: Das Thema Nachhaltigkeit hatte schon unter der alten Bundesregierung an Bedeutung gewonnen. Auch international ist das ein wichtiger Beschleuniger unseres Geschäfts. Und von Bündnis 90/Die Grünen als mitregierender Partei versprechen wir uns einen Impuls für die Bahn in Deutschland. Vor allem erwarten wir eine konsequente Umsetzung des europäischen Green Deals.
Was heißt das für den Bahnbereich?
Die Ziele des europäischen Green Deals für die Bahn sehen unter anderem eine Verdopplung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs bis 2030 und eine Verdopplung des Frachtverkehrs bis 2050 vor. Im Koalitionsvertrag spiegelt sich das wider. Der Schienengüterverkehr soll bis 2030 um 25 Prozent wachsen, das geht in die gleiche Richtung wie der EU-Green-Deal. Beim Personenverkehr strebt die neue Regierung eine Verdopplung bis 2030 an.
Wie werden sich verstärkte Investitionen auf Vossloh auswirken? Können Sie das heute schon mit Prognosen unterlegen?
Für Zahlen ist es zu früh. Es besteht im Moment große Unsicherheit darüber, wie die Pläne umgesetzt werden. Das gilt auch international. Wir beobachten aber einen Zuwachs der sogenannten Pre-Tendering-Aktivitäten, also der Vorbereitungen von Ausschreibungen. Auf der anderen Seite gibt es bereits einige wenige konkrete Beispiele. Hier kann die im Januar 2020 geschlossene Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung III zwischen Bund und Bahn genannt werden, in der Investitionen von 86 Milliarden Euro für zehn Jahre festgeschrieben wurden. Das ist eine Höhe, die zuvor so noch nie vereinbart wurde, ein Zuwachs um 54 Prozent gegenüber der vorherigen Vereinbarung.
An welchen Stellen könnte Vossloh von diesen Mitteln profitieren?
Auf verschiedene Art und Weise. Man muss im Hinterkopf behalten, dass in Deutschland wenig neue Strecken gebaut werden. Um die genannten Ziele zu erreichen, muss die Verfügbarkeit bestehender Strecken erhöht werden. Da sollten wir zum Zug kommen können. Zudem nimmt bei einer verstärkten Nutzung des bestehenden Streckennetzes der Verschleiß zu, die Komponenten müssen früher ausgetauscht werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt: Wenn die Verkehrsdichte wächst, reduziert sich das Zeitfenster für Instandhaltung. Und dieser Bereich, den wir Service nennen, bietet für Vossloh in den kommenden Jahren, wahrscheinlich auch Jahrzehnten, einen ganz großen Hebel.
Wie das?
Die Wartung braucht mehr Effizienz. Der Weg dahin führt aus unserer Sicht über eine zustandsbasierte und im nächsten Schritt prädiktive Instandhaltung. Salopp gesprochen: Ich muss heute schon wissen, was morgen defekt werden könnte. Das geht über Digitalisierung, also eine sensorische Zustandserfassung und die Interpretation der Daten. Dadurch, dass wir das umfassende Hardwareportfolio haben, verstehen wir die Physik der Komponenten sowie deren Zusammenspiel. Das ist notwendige Voraussetzung, um relevante Informationen aus den Zustandsdaten abzuleiten, Probleme früh zu erkennen und dem Kunden auch direkt eine maßgeschneiderte Instandhaltungslösung aus unserem Serviceportfolio anzubieten.
Welche Erwartungen haben Sie an den Servicebereich?
Wir sind gerade durch unseren Budgetprozess gegangen und überzeugt, dass der Bereich, ausgehend von einem noch relativ kleinen Anteil, das größte Wachstumspotenzial im Konzern hat. Wir trauen uns zu, in diesem Geschäft in den kommenden drei Jahren um 50 Prozent zu wachsen.
Das Muster für Deutschland und Europa scheint auch in den USA zu gelten. Was versprechen Sie sich von den Infrastrukturplänen des US-Präsidenten Joe Biden?
Die USA sind für uns ein sehr wichtiger Markt. Wir sind auf dem nordamerikanischen Markt inklusive Mexiko etwa bei Betonschwellen führend. Auch wenn das Infrastrukturprogramm von Joe Biden stark gekürzt wurde, werden wir von den zusätzlichen Ausgaben profitieren. So sind etwa allein für Amtrak, den großen Personenfernverkehrsanbieter, im Programm 66 Milliarden Dollar vorgesehen. Und noch einmal zusätzliche 90 Milliarden Dollar sollen in den Bereich Transit fließen, also in die Personenbeförderung rund um die großen Städte. Wir sind bei Amtrak alleiniger Zulieferer von Betonschwellen. Aber es gilt das Gleiche wie in Deutschland: Stand heute schlägt sich das noch nicht in den Büchern als Aufträge nieder.
Das heißt: Der Auftragsboom hat noch nicht stattgefunden?
Ganz genau. Wir haben 2021 trotzdem einen guten Job auf der Vertriebsseite gemacht und bedeutende Rahmenverträge gewonnen. Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt. Aber ich kann nicht sagen, dass ich schon einen dedizierten positiven Effekt aus diesen Investitionsprogrammen erkennen kann.
Vossloh steht gut da, die Perspektiven sind glänzend. Das könnte Begehrlichkeiten wecken. Ihr Mehrheitsaktionär Heinz Hermann Thiele ist im Februar überraschend gestorben. Über die Zukunft seiner Aktien wird spekuliert. Gleichzeitig ist die Konsolidierung im Bahnbereich hoch. Es wurde immer mal über eine Verbindung zu Knorr-Bremse spekuliert, an der die Familie Thiele ja auch die Mehrheit hält. Wäre das sinnvoll und kartellrechtlich überhaupt möglich?
Ich glaube, ich bin nicht der Richtige, um diese Frage zu beantworten. Knorr-Bremse ist ja ein Systemhersteller für Züge und Nutzfahrzeuge. Wir sind ein Bahninfrastrukturanbieter. Das deutet darauf hin, dass es kartellrechtlich vermutlich keine Probleme geben würde. Die unterschiedliche Ausrichtung ist auch schon die Antwort auf die Frage, ob das Sinn machen würde. Ich kann mir wenig Synergien vorstellen.
Wie erleben Sie das Verhältnis zu den Großaktionären nach dem Tod von Herrn Thiele?
Was ich erlebe, beschränkt sich zum großen Teil auf das, was in der Presse zu lesen ist. Ich weiß, dass eine Familienstiftung aufgesetzt wird. Und ich weiß, dass die Anteile an Vossloh und Knorr-Bremse dort eingebracht werden sollen. Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass Herr Thiele nach seiner Zeit als Aufsichtsratsvorsitzender für uns ein Großaktionär und wichtiger Ratgeber war.
Wurden Sie nach dem Tod von Herrn Thiele von Beteiligungsfirmen angesprochen?
Mit Investoren zu sprechen, gehört zu unserem täglichen Brot. Es kam auch vor dem Tod von Herrn Thiele vor, dass Private-Equity-Gesellschaften Gespräche mit uns führten. Es gab auch schon mehrere Gesprächsrunden. Das hat sich nicht dramatisch geändert. Bis heute ist aber keiner mit einem Anteil von mehr als drei Prozent bei uns eingestiegen.
Gäbe es für Vossloh eine strategische Verbindung, die für Sie auch operativ sinnvoll sein könnte?
Die Konsolidierung in unserem Markt ist bemerkenswert. Aber man muss hier trennen zwischen dem Bereich Rolling Stock - also Schienenfahrzeuge - und der Bahninfrastruktur. In der Tat ist es so, dass in der Schienenfahrzeugindustrie die Konsolidierung weit vorangeschritten ist. Ich bin davon überzeugt, dass es auch eine Konsolidierung auf der Infrastrukturseite geben wird. Wir bei Vossloh haben aber den Anspruch und auch das Potenzial, ein Konsolidierer und nicht ein Konsolidierter zu sein. Herr Thiele hatte das Ziel, Vossloh zu einem sehr viel größeren Unternehmen zu formen, als wir zum Zeitpunkt seines Todes waren. Und diesem Anspruch fühlen wir uns verpflichtet.