"Angesichts der sich aktuell deutlich verschlechterten Absatzlage und der sich abzeichnenden Unsicherheit bei der Teileversorgung unserer Werke wird es an den Standorten unserer Marken unmittelbar auch zu Produktionsunterbrechungen kommen", erklärte VW-Chef Herbert Diess am Dienstag bei der Präsentation der Bilanz 2019. Ein Konzerninsider sagte, in den deutschen Werken solle die Arbeit bereits am Donnerstagabend nach der Spätschicht weitgehend zum Erliegen kommen. VW äußerte sich nicht dazu. Der US-Autobauer Ford stoppt vorübergehend die Produktion in Kontinentaleuropa.
Bei Volkswagen in Deutschland arbeiten rund 275.000 Menschen für den Riesenkonzern, fast die Hälfte der weltweit gut 670.000 Beschäftigten. Allein am Konzernsitz in Wolfsburg sind es rund 60.000 Menschen, ein großer Teil davon in der zentralen Verwaltung. Die Folgen der Produktionsunterbrechungen für die Mitarbeiter will Volkswagen durch Kurzarbeit abfedern. Analysten glauben, dass der angepeilte Zeitraum von zwei bis drei Wochen nicht ausreichen wird, um die Krise überwinden. Frank Schwope von der NordLB verweist darauf, dass China vier bis sechs Wochen gebraucht habe, um die Folgen der Epidemie in den Griff zu bekommen. Der Autoanalyst glaubt, dass Volkswagen die Produktionsausfälle bis zum Jahresende nicht mehr aufholen kann und der Absatz in diesem Jahr unter die Marke von zehn Millionen Fahrzeuge sinken wird.
Die Werke in Spanien und der Slowakei sowie die Standorte der italienischen Marken Lamborghini und Ducati hat Volkswagen bereits heruntergefahren. Diess sagte, die Fabriken in Übersee seien derzeit nicht in kritischem Zustand.
BETRIEBSRAT MONIERT "ZWEIKLASSENGESELLSCHAFT" BEI VW
Der VW-Betriebsrat hatte Druck gemacht, die Produktion auszusetzen, weil die Belegschaft in den Werken sich aus Sorge um ihre Gesundheit beschwerte, wie aus einem Schreiben von Betriebsratschef Bernd Osterloh an die Arbeitnehmer hervorging. Während im Bürobereich bei VW Abstandsgebote wegen der Corona-Epidemie gelten, arbeiteten die Kollegen an den Produktionsbändern weiter Schulter an Schulter. Der Betriebsrat habe gegenüber dem Vorstand diese "Zweiklassengesellschaft" kritisiert. Das Management habe auf den Druck reagiert und beschlossen, dass am Freitag die letzte Schicht laufe. Das ist aus Sicht des Betriebsrats zu spät. "Wir erwarten jetzt einen geordneten Ausstieg aus der Fertigung", forderte Osterloh.
Auch Audi stellt die Fertigung an mehreren Standorten im In- und Ausland bis auf Weiteres ein. Dies betreffe die Werke in Ingolstadt, Neckarsulm, Belgien, Mexiko und Ungarn. Dort werde Audi in Abstimmung mit Betriebsrat und den Volkswagen-Konzern bis Ende der Woche die Produktion "kontrolliert und ordentlich" herunterfahren.
Andere Autobauer schließen ihre Werke ebenfalls. Ford stellt am Donnerstag die Produktion in seinen deutschen Fabriken in Köln und Saarlouis sowie in Craiova in Rumänien vorerst ein. Das Motoren- und Montagewerk im spanischen Valencia ruht bereits seit Montag. Fiat Chrysler und die beiden französischen Autobauer PSA und Renault haben ebenfalls Werksschließungen angekündigt.
KEINE PROGNOSE MÖGLICH
Wegen der abrupten Unterbrechung rückt Volkswagen von seinen gerade erst aufgestellten Geschäftszielen ab. "Eine verlässliche Prognose ist derzeit nahezu unmöglich", sagte Finanzvorstand Frank Witter und fügte hinzu: "Wir schöpfen im Task-Force-Modus alle Maßnahmen aus, um unsere Mitarbeiter und deren Familien zu unterstützen und unser Geschäft zu stabilisieren." Angesichts der Erholung in China, dem größten Markt des Wolfsburger Konzerns, wolle man das Jahr nicht komplett abschreiben, sagte Witter in einer Telefonkonferenz. Derzeit sei aber ungewisse, was am Ende von der Prognose, die das Management Ende Februar aufgestellt hatte, übrig bleiben werde. Damals hatte sich das Management erneut eine operative Rendite in einer Spanne zwischen 6,5 und 7,5 Prozent vorgenommen. Im ersten Quartal dürfte sich der Betriebsgewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mindestens halbieren, sagte Witter.
Wenn die Erholung in Europa nach dem ähnlichen Muster verlaufe wie in China, sei das Jahr womöglich noch zu retten. Exakt vorhersagen lasse sich dies jedoch nicht, da die vollen Auswirkungen der Epidemie in Europa noch nicht absehbar seien. Volkswagen verfüge allerdings über ein ausreichendes Liquiditätspolster, um die Krise heil zu überstehen.
Diess fügte hinzu, Volkswagen werde die für das Erreichen der Klimaziele in Europa kritischen Jahre 2020/21 dazu nutzen, um Synergien in dem Konzern besser zu nutzen. Er lies offen, ob damit weitere Einsparungen verbunden sein werden. Diess sagte, VW sei bei seinen Pläne für den Start der neuen E-Autos ab Sommer im Plan. Es sei nicht geplant, wegen der Belastungen durch das Coronavirus Investitionen umzulenken.
rtr