Der neue VW-Vorstand Herbert Diess hat im vergangenen Juli den wohl schwersten Job in der Automobilindustrie angetreten. Sein Auftrag: Der ehemalige BMW-Manager soll die Kernmarke VW endlich einigermaßen profitabel machen.

Doch die Vorzeichen verheißen nichts Gutes. Der promovierte Maschinenbauer war im September kaum zehn Wochen im Amt, da wurde der schwerste Job in der Automobilindustrie noch schwerer. Praktisch über Nacht brach der Skandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte bei Dieselmotoren über Volkswagen herein.

Seither steckt der Konzern in der schlimmsten Krise seiner Geschichte. Von San Francisco bis Tokio drohen Milliardenstrafen. Das Image der Kernmarke VW ist geschreddert, die Kunden stinksauer. Wegen nötiger Rückstellungen von 16,2 Milliarden Euro hat der Konzern im Vorjahr einen Betriebsverlust von 4,1 Milliarden Euro ausgewiesen. Es war das größte Minus in der Konzerngeschichte.





Die Nachbeben sind längst nicht vorbei. Weltweit kämpfen die Niedersachsen mit Absatzrückgängen - und die Konkurrenz kann ihr Glück kaum fassen. Alleine auf dem wichtigen Heimatmarkt sind die Neuzulassungen der Kernmarke VW von Januar bis Mai um 1,8 Prozent geschrumpft. Ford hat im selben Zeitraum ein Plus von 10,4 Prozent hingelegt, Renault schaffte 11,5 Prozent.

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Offener Machtkampf



Auch intern ist die Lage für Diess nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Mit dem mächtigen Betriebsrat geriet der Produktionsexperte wegen verschiedener Sparvorschläge zügig über Kreuz. Alleine in der Verwaltung sollen 3000 Stellen wegfallen. Das brachte den Betriebsrat endgültig auf die Palme.

Anfang April eskalierte die Situation komplett. In einem Brief an die Belegschaft sprach der mächtige Gesamt-Betriebsratschef Bernd Osterloh von einem "gravierenden Vertrauensproblem" zwischen dem Markenvorstand und den Arbeitnehmern. Der Dieselskandal solle "hinterrücks dazu genutzt werden, personelle Einschnitte vorzunehmen", mutmaßte Osterloh in einem gemeinsam mit den Betriebsratsvorsitzenden der Werke in Hannover, Emden, Braunschweig, Kassel und Salzgitter versandten Schreiben an die Kollegen.

Zu allem Überfluss warfen die Arbeitnehmervertreter Diess darin auch noch fehlende Handschlagfähigkeit vor. Das gilt im traditionell harmoniesüchtigen Wolfsburg als Misstrauensvotum maximale.

Nach dem Brief schrillten in Wolfsburg die Alarmglocken. Konzernchef Müller schaltete sich persönlich ein und schickte seinen Personalvorstand Karlheinz Blessing an die Front - und Diess vorübergehend in Quarantäne.

Müller feilt derzeit an seiner neuen Konzernstrategie "Volkswagen 2025". Beobachter erwarten, dass der frühere Porsche-Boss die Eckpunkte am Donnerstag nächster Woche erstmals öffentlich präsentieren wird. Neben Elektrifizierung und Digitalisierung wird es dabei auch um mehr Freiheiten für die einzelnen Marken gehen. Krach mit dem Betriebsrat kann sich Müller da nicht leisten.

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Zaghafte Annäherung



Tatsächlich haben sich die Wogen zuletzt offenbar wieder etwas geglättet. Es gebe ein "gemeinsames Verständnis über die Ausgangssituation und die Herausforderungen", teilten Betriebsrat und Vorstand im Anschluss an eine Mitarbeiterversammlung am Dienstag mit. Zuvor hatte Personalchef Karlheinz Blessing vor rund 20.000 Beschäftigten am Konzernsitz um Verständnis für nötige Einschnitte geworben. "Finanzstarke Wettbewerber aus der IT-Branche" drängten in den Automobilsektor. Um diesen Angriff parieren zu können, müsse Volkswagen verstärkt in die Digitalisierung und Elektromobilität investieren. Ohne effizientere und profitablere Strukturen bei VW sei das nicht zu machen. "Wir müssen Produktivität und Profitabilität steigern und Kosten senken", forderte Blessing.

Osterloh stimmte artig mit ein. Eine auskömmliche Rendite sei unerlässlich, damit VW den Wandel bewältigen könne, rief der heimliche Co-Chef von Wolfsburg den Kollegen zwar zu, zog aber zugleich die Leitplanken ein. Die geplanten Einschnitte, ermahnte Osterloh den Vorstand, dürften nicht zu Lasten der Belegschaft gehen. Einen breit angelegten Stellenabbau werde es nicht geben.

Stattdessen sollen nun erst mal sieben Arbeitsgruppen Lösungen für Themen wie Unternehmensstrategie oder technische Entwicklungen finden und bis zum Herbst vorlegen. Dabei dürfte es wohl vor allem um die künftige Arbeitsaufteilung an den sechs VW-Werken sowie um Zusagen für eine langfristige Beschäftigungssicherung gehen.

Ein umfassender Beschäftigungsabbau ist damit wohl erneut nicht in Sicht. Dabei hatten große Investoren zuletzt immer wieder drängender Stellenstreichungen gefordert. Erst vor wenigen Wochen etwa hat der britische Hedgefonds TCI Druck gemacht. Alleine durch das Nutzen der üblichen Fluktuation könne Volkswagen mittelfristig locker 30.000 Stellen einsparen, hatte TCI-Manager Ben Walker vorgerechnet.

Kritiker werfen Volkswagen immer wieder die zu hohen Personalkosten vor. Während Volkswagen 480.000 Mitarbeiter im reinen Pkw-Geschäft - also ohne Scania, MAN und die Transporter - zählt und pro Jahr rund zehn Millionen Autos baut, kommt Toyota bei einem vergleichbaren Produktionsumfang mit rund 345.000 Mitarbeitern aus. Das sind 40 Prozent weniger. Wenn man das Immobilien-Geschäft oder die Nutzfahrzeugsparte herausrechnen würde, wäre der Abstand noch größer. Diesen Kostennachteil kann der Konzern mit Einsparungen beim Einkauf oder über eine Straffung des Modell-Portfolios mit seinen rund 300 Varianten kaum aufholen.

Konzernchef Müller wird all das wissen. Die überfälligen Personalanpassungen wird es dennoch nicht geben. Denn klar ist: Gegen die machtbewusste IG Metall und das Land Niedersachsen ist auch auf absehbare Zeit nichts zu machen.