Große Wahlgewinner sind die Grünen mit ihrem besten Abschneiden bei einer Hessen-Wahl sowie die AfD. Die Rechtspopulisten zogen erstmals in den Landtag ein und sind nunmehr in allen 16 Landesparlamenten vertreten. Auch FDP und Linke bleiben im Landtag in Wiesbaden - damit bekommt Hessen erstmals ein Sechs-Parteien-Parlament.
Noch unklar war am Abend, ob die seit 2013 regierende schwarz-grüne Koalition weitermachen kann. Nach den Zahlen der ARD gegen 20.00 Uhr würde es knapp für eine Mehrheit reichen. Denkbar wären demnach auch ein Bündnis aus CDU und SPD sowie eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Laut ZDF hätte lediglich ein Jamaika-Bündnis eine Mehrheit.
Nach den Zahlen von ARD und ZDF (19.38 Uhr) kommt die seit 1999 regierende CDU auf 27,2 bis 27,4 Prozent (2013: 38,3 Prozent) - schlechter abgeschnitten hatte die Partei in Hessen zuletzt 1966 mit 26,4 Prozent. Die SPD rutscht ab auf 19,6 Prozent (2013: 30,7). Die Grünen von Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir machen einen Sprung auf 19,5 bis 19,6 Prozent (2013: 11,1). Die AfD klettert auf 12,8 bis 13,0 Prozent (2013: 4,1). Die FDP erreicht 7,8 Prozent (2013: 5,0), die Linke 6,0 bis 6,4 Prozent und erzielt ihr bisher bestes Ergebnis in Hessen (2013: 5,2).
Den Hochrechnungen zufolge ergibt sich folgende Sitzverteilung: CDU 36, SPD 25 bis 26, Grüne 25 bis 26, AfD 17, FDP 10 und die Linke 8 bis 9. Die Wahlbeteiligung lag bei 67,6 bis 68 Prozent - 2013 waren es 73,2 Prozent gewesen, damals fielen Bundes- und Landtagswahl allerdings auf einen Tag. Wahlberechtigt waren 4,38 Millionen Männer und Frauen, darunter 62 000 Erstwähler.
Bouffier ging davon aus, dass er im Amt bleiben könne. "Wir werden erneut den Anspruch erheben, die Landesregierung in Hessen anzuführen. Wir sind klar stärkste Fraktion", sagte er in Wiesbaden und kündigte Gespräche mit den anderen Parteien außer Linken und AfD an. Die Grünen zeigten sich grundsätzlich offen für eine erneute schwarz-grüne Koalition. Natürlich werde man, wenn es rechnerisch möglich sei, miteinander sprechen, sagte Al-Wazir.
Schäfer-Gümbel, der zum dritten Mal Spitzenkandidat seiner SPD war, räumte eine bittere Niederlage an und ließ seine politische Zukunft zunächst offen. Das Ergebnis führte er stark auf den Bundestrend zurück. Man habe "nicht nur keinen Rückenwind aus Berlin erhalten, sondern wir hatten regelmäßig Sturmböen im Gesicht".
Die Talfahrten von CDU und SPD in Hessen könnten auch die Bundesvorsitzenden, Kanzlerin Angela Merkel und Andrea Nahles, unter Druck setzen. Der Wahlkampf in Hessen wurde belastet durch GroKo-Streitigkeiten etwa über die Migrationspolitik sowie die schwelende Diesel-Krise.
CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, die Regierung müsse rasch deutlich machen, "dass Schluss sein muss mit den Debatten, ob wir zusammen regieren oder nicht. Die Menschen erwarten zu Recht Ergebnisse von uns". Sie gehe nach aktuellem Stand davon aus, dass Merkel beim CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hamburg erneut als Parteichefin kandidiere. Beobachter waren davon ausgegangen, dass im Falle großer Verluste auch Rufe nach einer Ablösung Merkels als CDU-Chefin lauter werden könnten.
Hinzu kommt, dass in der SPD nach den neuerlichen Einbußen die GroKo-Kritiker an Rückenwind gewinnen könnten - was im Extremfall zu einem Rückzug aus dem Regierungsbündnis führen könnte. Parteichefin Nahles zeigte sich angesichts der Stimmenverluste bestürzt. Dazu habe die Bundespolitik "erheblich beigetragen", sagte sie. "Der Zustand der Regierung ist nicht akzeptabel." CDU und CSU müssten ihre inhaltlichen und personellen Konflikte schnell lösen - sie wolle das Schicksal der SPD jedoch nicht in die Hände ihres Koalitionspartners legen. "Es muss sich in der SPD etwas ändern."
Nahles sagte, die Koalition in Berlin müsse nun einen klaren, verbindlichen Fahrplan vorlegen. "An der Umsetzung dieses Fahrplans bis zur vereinbarten Halbzeitbilanz können wir dann klar ablesen, ob wir in dieser Regierung noch richtig aufgehoben sind."
Mit Blick auf eine Regierungsbeteiligung in Hessen sagte FDP-Chef Christian Lindner, man sei grundsätzlich zu Koalitionsgesprächen bereit. Grünen-Chef Robert Habeck meinte: "Wir sind immer bereit, Verantwortung zu übernehmen." Linke-Chefin Katja Kipping sagte zum Ergebnis, sie hätte sich mehr für ihre Partei erhofft. AfD-Chef Jörg Meuthen kündigte gute Oppositionsarbeit seiner Partei in Hessen an.
Wahlforscher machten für den Einbruch von CDU und SPD sowohl landes- als auch bundespolitische Gründe verantwortlich. Einer Analyse von Experten der Forschungsgruppe Wahlen zufolge konnten die Parteien vor Ort nur bedingt mit politischen Leistungen, Spitzenpersonal oder Sachkompetenzen überzeugen. Hinzu sei jetzt auch in Hessen starke Konkurrenz durch die Grünen gekommen, für die sich zahlreiche Wähler kurzfristig entschieden hätten. Zusätzlich habe es für CDU und SPD aus Berlin starken Gegenwind gegeben. Neben der Diesel-Krise und den GroKo-Streitigkeiten spielten im hessischen Wahlkampf auch die Themen Wohnen, Bildung und Integration eine große Rolle./mbr/seb/DP/he