Die Fans von US-Aktien brauchen sich um ihr Abendprogramm vorerst nicht zu sorgen: An der Wall Street hat die Berichtssaison begonnen. Tag für Tag laufen nun - meist ab 22 Uhr, also nach Börsenschluss in New York - frische Zahlen über den Ticker. "Zwischen 12. Oktober und 6. November werden Unternehmen ihre Finanzergebnisse berichten, die zusammen für 85 Prozent der Marktkapitalisierung des S & P 500 stehen", schreiben die Analysten von Barclays. Für Börsianer bedeutet die "Earnings Season" eine willkommene Abwechslung in der seit Monaten von zwei Themen bestimmten Nachrichtenlage. Neben Konjunktursorgen, insbesondere in Bezug auf China, hielt vor allem die Dauerdebatte um den Zeitpunkt der US-Zinswende die Märkte in Atem.
Überraschung möglich
Nicht zuletzt wegen dieser beiden Unsicherheitsfaktoren schraubte der Markt seine Erwartungen deutlich zurück. Laut einer Auswertung des Datendienstleisters Factset gehen Analysten davon aus, dass der Gewinn der S & P-500-Konzerne im dritten Quartal im Schnitt um 5,5 Prozent geschrumpft ist. Mitte des Jahres lag der Analystenkonsens noch bei einem moderaten Rückgang von einem Prozent. Jedoch könnten die Experten einmal mehr zu skeptisch sein. "Der tatsächliche Gewinn je Aktie für den S & P 500 lag in jedem der vergangenen 25 Quartale über den Erwartungen", stellt Barclays fest. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Kurse an der Wall Street während der Berichtssaison häufig steigen. Den Experten zufolge galt das in der Vergangenheit selbst dann, wenn der S & P 500 in einer Korrektur steckte.
Genau dieses Muster könnte sich nun wiederholen. Rund ein Zehntel büßte der Leitindex über den Sommer ein. Doch pünktlich zur "Earnings Season" nahm er wieder Fahrt auf. Seit Anfang Oktober haben sich die 500 größten Bluechips der USA um 6,8 Prozent verteuert und haben die wichtige 2000-Punkte-Marke zurückerobert. Selbst ein enttäuschender Zwischenbericht von Alcoa konnte der Kauflust keinen Abbruch tun. Der Aluminiumkonzern läutete traditionell die Zahlenflut ein. Dem Branchenkrösus machten vor allem gesunkene Metallpreise zu schaffen. Gerade wegen der starken Abhängigkeit vom Rohstoffmarkt sehen wir in den Alcoa-Zahlen keinen Grund, die Wall Street aus Furcht vor weiteren Enttäuschungen zu meiden.
Auf Seite 2: Fed ohne Handlungsdruck
Fed ohne Handlungsdruck
Zumal der wichtigste Börsenplatz der Welt nach wie vor auf die Notenbank zählen kann. Zwar sieht diese die heimische Wirtschaft auf Kurs, weshalb die Zinswende noch in diesem Jahr möglich ist, wegen der geringen Inflation hat die Fed allerdings keinen Handlungsdruck. Sie kann die Entwicklung von Teuerung und Weltwirtschaft getrost abwarten. Vor diesem Hintergrund erachten wir das aktuelle Niveau beim S & P 500 als Einstiegschance. Als Ganzes können sich Anleger den Index mit einem Exchange Traded Fund (ETF) ins Depot holen. Dieser Fonds bildet den Index gegen eine Jahresgebühr von 0,07 Prozent passiv ab.
Was die Einzelwerte anbelangt, geben wir Unternehmen den Vorzug, denen die aktuellen Unsicherheitsfaktoren möglichst wenig anhaben können oder die sich in einer interessanten Sondersituation befinden. Bei Nike ist beides gegeben. Der Sportartikelhersteller profitiert zum einen von der guten Verbraucherstimmung in den USA, zum anderen ist die Marke international heiß begehrt. Dies führte dazu, dass Nike in den ersten drei Monaten des Fiskaljahres 2016 die Erwartungen zum neunten Mal in Folge übertraf. Im kommenden Jahr könnte der Konzern das Tempo weiter erhöhen, da dann zwei sportliche Großereignisse anstehen. Neben der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich bietet die Sommer-Olympiade von Rio de Janeiro Sportausrüstern eine optimale Bühne. Die Nike-Aktie bleibt daher trotz ihrer nicht gerade günstigen Bewertung ein Top-Pick.
Auf gute Geschäfte darf im Rahmen der beiden Events auch die Interpublic Group hoffen. Die für namhafte Markenunternehmen wie General Motors oder L'Oréal tätige Werbeholding konnte im zweiten Quartal die Erwartungen der Analysten einmal mehr übertreffen. Konzernchef Michael Roth bezeichnete dabei das digitale Marketing als einen der Wachstumstreiber. Mehr als die Hälfte der Umsätze erzielt die Interpublic-Gruppe in den USA.
Insofern dürften ihr auch die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr in die Hände spielen. Im Kampf um das Weiße Haus stecken die Parteien riesige Summen in Wahlkampagnen. Die Marktforscher von Borrell Associates gehen davon aus, dass die Werbeausgaben im kommenden Jahr verglichen mit dem Urnengang 2012 um ein Fünftel auf die Rekordsumme von 11,4 Milliarden US-Dollar steigen werden.
Auf Seite 3: Facebook schürt Neugier auf Quartalszahlen
Aufhorchen lässt auch das Chartbild des S & P-500-Mitglieds: Aus einem Abwärtstrend heraus ist die Aktie gerade über die 200-Tage-Linie geklettert. Möglicherweise spekuliert so mancher Investor darauf, dass die Interpublic Group am 21. Oktober bei der Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal die Prognose für 2015 erhöht. Genau zwei Wochen später gewährt Facebook Einblick in den jüngsten Geschäftsgang. Dann dürfte der Social-Media-Krösus einen weiteren Beleg für seine eindrucksvolle Wachstumsstory liefern. Ein Augenmerk wird bei der viel beachteten Zahlenpräsentation auf den Werbeumsätzen im mobilen Web liegen. Gerade wegen der Erfolge in diesem Segment zählte die Facebook-Aktie in Ausgabe 41/2015 von BÖRSE ONLINE zu den Top-Empfehlungen.
Bereits am 16. Oktober meldet sich General Electric (GE) zu Wort. Der Mischkonzern treibt gerade die eigene Fokussierung auf den Industriebereich voran. Dazu möchte er Anlagen in einem Wert von 200 Milliarden US-Dollar abstoßen. Mittlerweile hat das Management Verkäufe angekündigt, deren Gesamtvolumen knapp die Hälfte dieser Summe erreicht. Die Hoffnung der Anleger, von diesen Deals in Form großzügiger Ausschüttungen zu profitieren, wurde zuletzt durch Nelson Peltz gestärkt. Der für seine harte Gangart bekannte Investor stieg im großen Stil bei dem Dow-Jones-Mitglied ein. Ein Anteil von rund einem Prozent bedeutet für seinen Hedgefonds Trian die bisher größte Beteiligung. Unter anderem drängt Peltz auf eine Ausweitung der geplanten Aktienrückkäufe. Nach der durch den Einstieg ausgelösten Rally könnte der fünftgrößte Bluechip der USA zwar eine etwas gemächlichere Gangart einschlagen, für längerfristig orientierte Anleger bleibt er allerdings ein solides Wall-Street-Standardinvestment.