Wall Street: Nach der Trump-Euphorie wächst bei vielen Firmen jetzt die Sorge
· Börse Online Redaktion"Wir wissen eigentlich nicht genau, was er damit meint", sei häufig der Tenor, sagt ein Vertreter der Finanzbranche. Zudem zeige sich Trump unberechenbar - selbst für seine Parteifreunde.
So erklärte Trump unlängst, er werde die von Präsident Barack Obama durchgesetzte und von seinen Republikanern abgelehnte gesetzliche Krankenversicherung durch eine "Versicherung für jedermann" ersetzen. Dabei will gerade seine Partei "Obamacare" so schnell wie möglich zurücknehmen und das Engagement der Regierung im Gesundheitssystem sowieso weitestgehend einschränken. Der "Washington Post" sagte Trump aber am Wochenende, den Plan für einen "Obamacare"-Ersatz habe er schon so gut wie fertig.
ANALYST: "WIE EIN ELEFANT IM EIGENEN PORZELLANLADEN"
Auch bei der Steuerreform scheint Trump dem eigenen Lager einen Strich durch die Rechnung zu machen. Höhere Import- und niedrigere Exportsteuern sollen nach den Plänen im Kongress Fabriken in den USA erhalten und so dort Jobs sichern - eine Kernforderung Trumps aus dem Wahlkampf. Doch den konkreten Gesetzesvorschlag dafür bezeichnete der künftige Präsident kürzlich als "zu kompliziert" und ein "schlechtes Geschäft".
Solche Äußerungen seien "atemberaubend", urteilt Chris Krueger, Analyst bei der Investmentfirma Cowen and Co. "Trump ist wie ein Elefant in seinem eigenen Porzellanladen." Selbst Trumps Website stiftet Verwirrung. So verschwand dort die Ankündigung, das Gesetz für eine strengere Kontrolle der Wall Street zu zerpflücken, Ende vergangenen Jahres kommentarlos. Ein Trump-Sprecher hat dies auf eine Neugestaltung der Seite zurückgeführt, die laut Bank-Vertretern aber andere Ankündigungen durchaus unbeschadet überstanden haben.
Auch unter Washingtoner Lobbyisten sorgt Trump für Stirnrunzeln. Die Interessensvertreter sehen ihre ureigene Aufgabe gefährdet, weil sie beim künftigen Herrn im Weißen Haus nach ihrer Meinung nicht genug Gehör finden. Zwar lud Trumps Team in den vergangenen Wochen zu "Anhörungssitzungen", gab den Branchenvertretern aber kaum Zeit zu sprechen: Auf einem riesigen Bildschirm wurden die jeweils zwei Minuten Redezeit in einem Countdown heruntergezählt, berichten Teilnehmer. "Aber was kann man tatsächlich in zwei Minuten rüberbringen", fragt ein Vertreter der Finanzbranche. Trumps Team wolle einfach nur die Aufgabe abhaken, die Meinung der Wall Street eingeholt zu haben.
Trotz der wachsenden Ungewissheit zeigen sich viele Unternehmens- und Interessensvertreter weiter optimistisch. Ihre Devise lautet, sich bei Interpretationen von Trumps Stellungnahmen zurückzuhalten. So sei jede Meinungsäußerung Obamas in Washington wohl zurecht als wohlüberlegtes Signal verstanden worden, sagt ein hochrangiger Vertreter der US-Handelskammer. Trump dagegen könne ein Thema vielleicht einfach nur deshalb anschneiden, weil er eine Frage dazu habe.
rtr