Auch an den US-Börsen herrschte zunächst Verkaufsdruck. Nach der Ankündigung neuer Sanktionen der US-Regierung gegen Russland schloss die Wall Street aber im Plus. Im Rohstoffsektor rechnen Börsianer mit einer massiven Angebotsverknappung durch Sanktionen gegen den Öl- und Erdgaslieferanten Russland, was die Preise antrieb. Dabei stieg der Ölpreis erstmals seit 2014 wieder über 100 Dollar je Fass, was Ängste vor einem neuen Inflationsschub schürte. "So unberechenbar die politische Eskalation und Lage ist, so greifbar sind jetzt doch die denkbaren weltwirtschaftlichen Auswirkungen", sagte Thomas Böckelmann vom Vermögensmanagement Euroswitch.
Der Dax schloss vier Prozent tiefer auf 14.052 Punkten. An den US-Börsen gewann der Dow-Jones-Index 0,3 Prozent auf 33.223 Punkten, nachdem er im frühen Handel noch fast 1000 Zähler tiefer gelegen hatte. Ein ähnliches Bild gab es bei der technologielastigen Nasdaq. Sie schloss 3,3 Prozent fester mit 13.473 Punkten, nachdem sie zunächst noch rund drei Prozent im Minus notiert hatte. Der breit gefasste S&P 500 stieg 1,5 Prozent auf 4288 Stellen.
US-Präsident Joe Biden hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin scharf kritisiert und ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland angekündigt. Peter Cardillo, Chef-Volkswirt des Vermögensberaters Spartan, sagte, die harte Haltung der USA und Europas sei eine laute Botschaft an die Finanzmärkte, dass sie Russlands Wirtschaft so stark wie möglich zusetzten wollten.
INVESTOREN ZIEHEN GELDER AUS RUSSLAND AB
Anleger flohen vor allem aus russischen Vermögenswerten: der Moskauer Leitindex RTS.IRTS brach um knapp 40 Prozent ein. Am Freitagvormittag bleibt der Handel aufgrund der Turbulenzen zunächst geschlossen. Der russische Rubel fiel in der Spitze auf ein Rekordtief. Die russische Zentralbank kündigte daraufhin Eingriffe am Devisenmarkt ein, um den Kurs zu stabilisieren - was nur zeitweise gelang. Mit Blick auf Sanktionen gegen die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland fielen die Aktien des Gasförderers Gazprom um 26 Prozent. In hohem Bogen aus den Depots flogen auch die Papiere des deutschen Versorgers Uniper und des österreichischen Ölkonzerns OMV, die an der Finanzierung der Pipeline beteiligt sind. Uniper-Titel verbuchten einen Kurssturz von knapp vierzehn Prozent. OMV-Papiere brachen in Wien um 9,4 Prozent ein.
FINANZSEKTOR ZITTERT VOR SANKTIONEN
Hart traf es außerdem Geldhäuser mit einem starken Russland-Engagement. So verbuchten die Aktien der österreichischen Raiffeisen Bank mit einem Minus von rund 23 Prozent den größten Tagesverlust seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008. Generell ging es mit Bankaktien wegen der Aussicht auf Sanktionen gegen das russische Finanzsystem stark bergab. Die Aktien von JP Morgan, Bank of America, Citigroup und Goldman Sachs Group fielen um bis zu vier Prozent.
Nach Warnungen von Experten vor vermehrten russischen Cyber-Angriffen investierten Anleger in das Thema Sicherheit im Netz. Papiere der Cyber-Sicherheitsfirmen Palo Alto Networks und Telos Corp zogen bis zu 20 Prozent an.
EXPLODIERENDE ROHSTOFFPREISE
Am Ölmarkt verteuerte sich die Rohölsorte Brent aus der Nordsee um bis zu 9,2 Prozent und markierte mit 105,79 Dollar je Barrel (159 Liter) ein Siebeneinhalb-Jahres-Hoch. Im späten Handel schmolz der Preis auf 99,02 Dollar ab. Der europäische Erdgas-Future sprang um bis zu 42 Prozent auf 120 Euro je Megawattstunde in die Höhe.
VOLATILITÄT DÜRFTE ANHALTEN
Strategen rechnen mit weiter hohen Schwankungen an den Weltbörsen. "Ich glaube nicht, dass sich bereits viele Anleger mit der Kombination aus steigender Inflation, die zuletzt Anfang der 80er Jahre wirklich zu sehen war, und einer umfassenden Militäroperation in Europa, die wiederum zuletzt im Zweiten Weltkrieg stattfand, auseinandersetzen mussten", sagte Neil Wilson, Chefmarktanalyst bei Markets.com. "Das ist ein Vertrauensverlust. Das ist für viele Leute eine Art Neuland."
An der Wall Street bewegten unabhängig von der geopolitischen Lage auch Firmenbilanzen die Kurse. So gaben die Aktien von Alibaba knapp ein Prozent nach. Der chinesische Technologieriese hat im abgelaufenen Quartal sein schwächstes Wachstum seit dem Börsengang 2014 verbucht.
Moderna-Anlegern gefiel die Aussicht auf anziehende Impfstoff-Umsätze im zweiten Halbjahr. Die Aktien stiegen um rund 15 Prozent. Covid-19 ist nach Sicht der Firma auf dem Weg sich zu einer grippeähnlichen, endemischen Krankheit zu entwickeln, was wiederkehrende Impfungen erfordern würde. Der Corona-Vakzinhersteller will zudem eigene Aktien im Wert von drei Milliarden Dollar zurückkaufen.
rtr