Wer in New Yorks Lower East Side zum Supermarkt Trader Joe’s geht, muss 30 Minuten Wartezeit vor der Tür einkalkulieren. Die US-Tochter der deutschen Aldi-Gruppe ist besonders bei Millenials beliebt. Die Schlange der Shopper windet sich bisweilen um den ganzen Block. Auch vor der Target-Filiale im Stadtteil Tribeca, die eine Lebensmittelabteilung im Kellergeschoss hat, müssen Kunden oft am Eingang warten, bis ein Securitymitarbeiter sie hereinwinkt.
Die Amerikaner kaufen wie von Sinnen Lebensmittel. Seit sich das Coronavirus ausbreitet, sind Pasta, Bohnen, Reis, Klopapier und Desinfektionsmittel gefragt. Trockenhefe und Mehl sind noch immer schwer zu bekommen. Verbraucher horten, was sie kriegen können. Viele kommen kaum raus, arbeiten von zu Hause für ihren Arbeitgeber. Weil Restaurants vielerorts geschlossen sind, bleibt vielen Menschen nur das Kochen am eigenen Herd. Einige Restaurants liefern immer noch bloß aus, andere öffnen langsam wieder ihre Türen.
Reisen sind massenweise abgesagt. Kreuzfahrtschiffe liegen in den Häfen, die Freizeitparks von Disney sind geschlossen. Der Internationale Währungsfonds beschreibt die Situation in den USA als "Great Lockdown"-Rezession. Die Krise sei in vieler Hinsicht einzigartig, so die Fondsgesellschaft DWS, wegen ihrer Heftigkeit und weil neben der Industrie auch der Dienstleistungssektor schwer tangiert sei. In den vergangenen Rezessionen seien der Bau- sowie der Industriesektor die Hauptleidtragenden gewesen, während es diesmal alle kontaktintensiven Aktivitäten, und damit den Dienstleistungsbereich, besonders hart treffe.
Größter Profiteur
Aber Supermärkten kommt eine Sonderrolle zu. Essen muss schließlich jeder. Die Aktie von Amerikas größtem Einzelhändler, Walmart, ist an der Wall Street im Höhenflug. Walmart beherrscht ein Viertel des heimischen Lebensmittelmarkts. Aufgrund der Panik stieg der Umsatz im März um 15 Prozent. Im ersten Quartal zu Ende April kam das Imperium aus Bentonville in Arkansas auf neun Prozent Umsatzplus - der höchste Zuwachs seit fast zwei Dekaden. Geholfen hat dabei auch die Unterstützung aus Washington: Familien erhielten Regierungsschecks über bis zu 1.200 Dollar, die auch den US-Konsum im Mai laut US-Handelsministerium um 8,2 Prozent zum Vormonat anschoben.
Um den Boom zu bewältigen, hat Walmart kurzfristig 235.000 Zeitarbeiter eingestellt. Weltweit bedient der Riese in seinen 11.500 Filialen in 27 Ländern jede Woche 265 Millionen Kunden. Der Branchenprimus, 1962 von Sam Walton gegründet, besitzt auch die Gabe, sich immer wieder neu zu erfinden. 2016 kaufte Walmart das Start-up Jet.com, um im Onlinehandel endlich stärker zu werden. Der Konzern stellte zwar die Marke inzwischen ein, doch Jet-Gründer Marc Lore leitet mit seinem Team jetzt Walmarts E-Commerce. Der Bereich wuchs im vergangenen Jahr um 37 Prozent. Der neueste Schrei ist Multichannel-Verkauf: Onlineshopping kombiniert mit der Abholung im Geschäft. Der Umsatz stieg hier im jüngsten Quartal um 74 Prozent.
Das funktioniert so: Kunden können nach einer Onlineorder selbst ins Geschäft gehen, um die Ware mit einer Abholnummer mitzunehmen - oder sich ihren Einkauf im Drive Through direkt in den Kofferraum bringen lassen. Der Drive Through ist wie geschaffen für die Pandemie: Ängstliche Kunden bleiben im Auto sitzen. Alternativ liefert Walmart auch an die heimische Haustür.
Wall Street kauft ein
Lebensmittelhändler und E-Commerce-Firmen sind an der Wall Street seit Corona gefragt, sie gelten als sichere Häfen in turbulenten Zeiten. Lebensmittel sind allerdings ein Geschäft mit hohem Volumen und niedrigen Margen. Im vergangenen Jahr erzielte etwa die Nummer 2 der USA, Kroger, bei 122 Milliarden Dollar Umsatz gerade mal einen Nettogewinn von 1,6 Milliarden Dollar.
Schon Walmart-Gründer Sam Walton war ein Pfennigfuchser, er fuhr einen uralten Ford-Truck. Noch heute ist der Konzern bekannt dafür, seine Kosten im Griff zu haben. Erzrivale Amazon etwa meldete für das erste Quartal Rekordumsätze - dabei machten dem Onlineprimus aber die steigenden Pandemie-Ausgaben zu schaffen, der Gewinn schrumpfte. Walmart hingegen baute im Quartal bis Ende April den Quartalsüberschuss um vier Prozent auf vier Milliarden Dollar aus.
Das ist umso erstaunlicher, als auch der Marktführer im stationären Retail höhere Kosten verkraften musste. Es gab Prämien für die Beschäftigten, mehr Mitarbeiter erhielten Handschuhe und Schutzmasken. Walmart zahlte zudem zwei Dollar mehr Stundenlohn an Lageristen. Die Sonderausgaben machten fast 900 Millionen Dollar aus. Dennoch stiegen die Kosten im Gleichschritt mit dem Umsatz.
Die weltweite Corona-Epidemie könnte sich dauerhaft positiv auf die Geschäfte von Walmart, Kroger und Co auswirken, denn Onlineverkauf und die Abholung auf Parkplätzen wachsen. Bürger, die diese Dienste nie in Anspruch genommen haben, probieren sie aus. Kroger hat im ersten Quartal seinen digitalen Umsatz fast verdoppelt. Der Gruppenumsatz, ohne Benzinverkäufe, erhöhte sich um 19 Prozent. Freilich merkt das Management einschränkend an, dass sich das Wachstum abschwächen dürfte, aber positiv bleiben wird.
Gesunder Trend
Die Pandemie verstärkt zudem den Trend zu gesunder Ernährung. Einer der größten Profiteure ist der Biosupermarkt Sprouts Farmers Markets. Seit der Gründung vor 18 Jahren dreht sich alles um gesundes Essen. Im Fokus stehen erschwingliche, frische Bioprodukte. Das Sortiment folgt beliebten Trendbegriffen wie pflanzlich, glutenfrei oder mit Gras gefüttert. Schon vor der Krise war Sprouts einer der am schnellsten wachsenden Einzelhändler des Landes. Im ersten Quartal sprang der Umsatz krisenbedingt um 15 Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar nach oben. Chef Jack Sinclair möchte pro Jahr die Zahl der Filialen um zehn Prozent erhöhen - das müsste gelingen bei diesem Rückenwind.
INVESTOR-INFO
Walmart
Starker Primus
Das Wachstum des weltgrößten Handelskonzerns war lange Zeit recht stetig. In den vergangenen zehn Jahren legte der Umsatz im Schnitt pro Jahr um gut zwei Prozent zu. Seit Walmart das Online-Geschäft forciert, beschleunigt sich die Dynamik zusehends.
Die Aktie
Wer im Oktober 1970 zum Börsengang von Walmart 100 Aktien zum Ausgabepreis von 16,50 Dollar kaufte und sie noch hält, kann sich über 4,3 Millionen Dollar freuen. Seit 47 Jahren erhöht der Konzern die Dividende - noch drei Jahre fehlen, um zum erlesenen Kreis der Dividendenkönige der Wall Street zu zählen. Die Rendite ist angesichts des Null-Prozent- Zinsumfelds attraktiv. Die Ausschüttungsquote liegt bei 40 Prozent, doch Walmart hat noch Spielraum für Steigerungen. Kaufen.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 125,00 Euro
Stoppkurs: 89,00 Euro
Kroger
Der Verfolger
Die zweitgrößte US-Supermarktkette betreibt knapp 2.800 Filialen, zum Imperium zählen auch rund 1.600 Tankstellen. Die Aktie ist etwas günstiger als die des Marktführers, was das Gewinnvielfache betrifft. Das dürfte ein Grund gewesen sein, weshalb Investor Warren Buffett im Februar eingestiegen ist. Zudem überzeugt die Dividende mit einer Rendite von etwa zwei Prozent. Die Aktie von Kroger ist eine interessante Beimischung.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 36,00 Euro
Stoppkurs: 22,00 Euro