Das nennt man wohl gutes Timing. Als der langjährige Konzernchef Bob Iger die operative Führung von Walt Disney im Februar wie geplant aus der Hand gab, war die Welt des Mickymaus-Konzerns noch in Ordnung. Das Unternehmen hatte mit 2019 ein außerordentlich gutes Geschäftsjahr hinter sich, in dem die Umsätze gegenüber dem Vorjahr von 59,4 Milliarden US-Dollar um 17 Prozent auf 69,6 Milliarden US-Dollar nach oben gesprungen waren. Der Nettogewinn erreichte 11,05 Milliarden US-Dollar, das entspricht 6,64 US-Dollar je Aktie. Der Aktienkurs notierte bei rund 150 US-Dollar und damit so hoch wie niemals zuvor.
Das macht Iger zu einem der erfolgreichsten CEOs der Firmengeschichte. Zwischen der Berufung Igers zum Unternehmenschef im September 2005 und dem Ende seiner Tätigkeit legte die Disney- Aktie auf Dollarbasis um 579 Prozent zu - deutlich mehr als der S & P 500 mit 255 Prozent oder der Branchenindex S & P 500 Media & Entertainment Industry Group, der im gleichen Zeitraum einen Zuwachs von 329 Prozent verbuchte. Für den neuen Konzernlenker Bob Chapek, der zuvor für die wichtigsten Freizeitparks des Konzerns und den Bereich Consumer Products verantwortlich war, hätte der Start kaum unter schwierigeren Bedingungen stattfinden können.
Das Ausmaß der Corona-Pandemie trifft Disney mit voller Härte. Die eigene Kreuzfahrtflotte bleibt für unbestimmte Zeit in den Häfen, sämtliche elf Themenparks in Asien, Europa und Nordamerika sind geschlossen. Als einer der letzten Parks schloss der 1955 eröffnete Park im kalifornischen Anaheim seine Tore - zum ersten Mal seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Mindestens bis Ende März sollen alle Parks geschlossen bleiben. Zumindest in Europa und Nordamerika dürften die Sperrzeiten verlängert werden.
Filmgeschäft mit Nachholpotenzial
Zuletzt hatte das Management die Einbußen im Asien-Geschäft genauer beziffert. Die Schließung des Disney Parks in Shanghai für zwei Monate kostet den Unterhaltungskonzern rund 135 Millionen US-Dollar, die Einbußen in Hongkong für denselben Zeitraum werden auf etwa 40 Millionen US-Dollar geschätzt. Insgesamt steuerte die gesamte Freizeitparksparte zuletzt 37 Prozent zum Gesamtumsatz und 46 Prozent zum Gewinn von Disney bei.
Während die entgangenen Umsätze in der Kreuzfahrt- und Themenparksparte verloren sind, sieht es in anderen Bereichen weniger dramatisch aus, zum Beispiel in der Filmsparte. Die für 27. März geplante Kinopremiere von "Mulan" wird zunächst ebenso verschoben wie die Premiere von "New Mutants", die bislang für Anfang April terminiert war. Allerdings dürften die mit den Streifen eingeplanten Umsätze zu einem späteren Zeitpunkt im Jahresverlauf eingefahren werden.
Kaum Auswirkungen auf das Jahresergebnis sollte auch die derzeitige Aussetzung von Sportveranstaltungen haben, die Disney über den eigenen ESPN-Sender überträgt. Sollten ganze Spielzeiten oder Play-offs sogar abgebrochen werden müssen, würde wohl die Zahlungsverpflichtung des Konzerns entfallen. Da die Kosten der Übertragungsrechte in Höhe von rund vier Milliarden US-Dollar jährlich den Werbeumsatz derzeit ohnehin übertreffen, könnte dies im besten Fall sogar für einen positiven Effekt sorgen. Schon 2011 hatte ein Streik in der nordamerikanischen Profi- Basketballliga NBA für einen Anstieg der Profitabilität der Gesellschaft gesorgt.
Streamingdienst mit Rückenwind
Gut möglich, dass mit Disney+ der neueste Geschäftsbereich vom Corona-Schock sogar profitieren wird. Für den im November 2019 gestarteten Streamingdienst, mit dem Disney Wettbewerbern wie Netflix auf die Pelle rücken will, konnte man in den ersten Monaten rund 30 Millionen Nutzer gewinnen. Geschlossene Kinos und fehlende Live-Sportevents dürften dem Wachstum der Onlinevideothek einen zusätzlichen Schub geben, zumal Disney+ seit Sonntag mit dem Blockbuster-Film "Frozen 2" lockt - drei Monate früher als ursprünglich geplant.
In dieser Woche startet die Plattform in vielen europäischen Ländern, darunter Österreich, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland, zunächst mit günstigen Preisen ab 6,99 Euro im Monat, weshalb eine Meldung über eine sehr große Zahl an Neukunden in wenigen Wochen nicht wirklich überraschend käme. Im kommenden Jahr will Disney+ in den wichtigsten Regionen der Welt verfügbar sein. Die Nutzerzahl soll sich bis 2024 auf 60 Millionen verdoppeln.
Die tiefen Einschnitte in das Geschäft des Unterhaltungskonzerns dürften nur temporär sein. So schätzt die Großbank Credit Suisse, dass sich das Business im kommenden Jahr, spätestens aber 2022 wieder vollständig erholen wird. Die Analysten haben ihre Gewinnschätzungen ebenso zurückgenommen wie das Kursziel, das sie auf Sicht von zwölf Monaten nun bei 150 Dollar sehen. Der neue Maus-Chef Bob Chapek hätte dann gerade einmal das Kursniveau bei seinem Amtsantritt erreicht.