Sollte die EZB der Euro-Zone ein zu schwaches Wachstum und eine zu niedrige Inflation bescheinigen, dürfte sie bald nachlegen und weitere Maßnahmen ergreifen. Der Kauf von Staatsanleihen könnte dann näher rücken. In Deutschland und vor allem bei der Bundesbank, deren Domizil im Nordwesten Frankfurts nun auch geografisch weiter entfernt von der EZB ist, ist das schon jetzt ein rotes Tuch.

Die Entscheidung darüber wird aller Wahrscheinlichkeit nach 2015 fallen, wenn sich der EZB-Rat - und auch das ist neu - nur noch alle sechs statt wie bisher alle vier Wochen in Sachen Geldpolitik trifft und auch nicht mehr alle Notenbanker, die am Tisch sitzen, jeden Monat stimmberechtigt sind. Doch bevor es zu diesem historischen Beschluss kommt, tobt unter den EZB-Ratsmitgliedern noch der Kampf, welche Mittel wann eingesetzt werden sollen.

Während es für EZB-Präsident Mario Draghi und seinen Vize Vitor Constancio schon fast ausgemachte Sache scheint, dass sie ab dem kommenden Jahr noch mehr Geld drucken und dazu in großem Stil Staatsanleihen kaufen, tritt die deutsche EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger auf die Bremse. "Nach jetziger Lage liegt für mich die Hürde für weitere Maßnahmen sehr hoch, zumal für großangelegte Kaufprogramme", sagte die frühere Bundesbank-Vizepräsidentin am Wochenende. "Die Abwägung von Kosten und Nutzen, von Chancen und Risiken eines Programms großangelegter Staatsanleihekäufe fällt für mich derzeit nicht positiv aus."

In den Tagen zuvor hatten Draghi und Constancio die Tür für eine weitere geldpolitische Lockerung - im Fachjargon der Notenbanker Quantitative Easing (QE) genannt - aber sperrangelweit aufgemacht: "Wir werden das tun, was wir tun müssen, um die Inflation und die Inflationserwartungen so schnell wie möglich zu erhöhen, wie es unser Auftrag verlangt", erklärte Draghi. Dafür sei die EZB unter seiner Führung bereit, bei Bedarf noch stärker an den Finanzmärkten zu intervenieren und noch mehr Geld in die Wirtschaft zu pumpen - "ohne unnötige Verzögerung".

Constancio legte wenig später nach: Noch im ersten Quartal werde vermutlich die Entscheidung darüber fallen. Gekauft würden Staatsanleihen dann nach den Anteilen der Euro-Länder am Grundkapital der EZB. Deutlicher als der Portugiese kann man kaum werden. Für die Ökonomen der Commerzbank ist deshalb klar: "Im Gegensatz zur Fed wird die EZB ihre Geldpolitik 2015 weiter lockern. Sie wird auf einer der ersten drei Sitzungen im Januar, März oder April beschließen, auf breiter Front Staatsanleihen zu kaufen." Ökonom Andrew Bosomworth vom Vermögensverwalter Pimco, der zum Allianz -Konzern gehört, tippt auf März: "Denn auf dieser Sitzung legt die EZB neue Prognosen zu Wachstum und Inflation vor."

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DRAGHIS ZEITFENSTER



Nach dem Ratstreffen im April schließt sich das Zeitfenster für Draghi zumindest kurz. Denn für den Italiener wäre es wohl politisch zu heikel, QE ausgerechnet in der Mai-Sitzung zu starten, in der Bundesbank-Präsident Jens Weidmann nicht stimmberechtigt ist. Weidmann war in der Vergangenheit stets der größte Gegner eines solchen Schritts, weil er Risiken und Nebenwirkungen fürchtet. Er wird auch nicht müde zu betonen, dass QE aus seiner Sicht rechtliche Probleme aufwirft und die EZB im Ernstfall Steuergeld zwischen den Euro-Ländern umverteilen würde, ohne dafür legitimiert zu sein.

Staatsanleihenkäufe wurden unter anderem schon in den USA eingesetzt und haben geholfen, die Wirtschaft zu stabilisieren. Mit ihnen kann auch künstlich für Inflation gesorgt werden, damit sich keine Abwärtsspirale aus fallenden Preisen, sinkendem Konsum und nachlassenden Investitionen der Unternehmen in Gang setzt. Zuletzt sank die Teuerung in den Euro-Ländern auf 0,3 Prozent, in manchen Ländern fallen die Preise seit Monaten. Die EZB peilt eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent an - quasi als Sicherheitsabstand zur sogenannten Deflation, also auf breiter Front fallenden Preisen.

Ob die EZB QE am Ende einsetzt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die nächste milliardenschwere Geldspritze der Notenbank für das Finanzsystem Mitte Dezember wirkt oder verpufft. "Die Startbahn ist frei. Aber ob die EZB den Hebel umlegt und abhebt, entscheidet sich an den Wirtschaftsdaten im ersten oder zweiten Quartal", so Erik Nielsen, Chefvolkswirt der italienischen Großbank UniCredit. Mit anderen Worten: Sollte die maue Konjunktur bis dahin anziehen und der Euro am Devisenmarkt weiter an Wert verlieren, könnte Draghi QE doch noch abblasen.

Reuters