Doch seitdem ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Derzeit bewegt sich der Leitindex für die Schwellenländer, der über 800 Aktien aus 23 Schwellenländern enthält, auf jenem Niveau, das er bereits im Herbst 2006 erreicht hatte. In den vergangenen vier Jahren verloren die Börsen der Schwellenländer den Performance-Wettstreit mit den entwickelten Staaten regelmäßig.
Auch in diesem Jahr hinkt man bisher hinterher. Doch nicht nur die relative Entwicklung enttäuscht. Inzwischen steht sogar der Seitwärtstrend auf dem Spiel, nachdem sich der MSCI-Emerging-Markets-Index dem unteren Rand der Seitwärtsspanne angenähert hat. Mit der 900-Punkte-Marke ist die erste wichtige Unterstützung bereits unterschritten. Bis zum Zwischentief aus dem Jahr 2011 bei 836 Punkten ist es nicht mehr weit - damit wäre die letzte Bastion des Seitwärtskorridors gefallen. Angesichts der brisanten Chartlage stellt sich die Frage, was sich verändert hat im Vergleich zur Hausse von 2002 bis 2007.
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Der Schwung lässt nach
Bei einer Umfeldanalyse fällt immerhin auf: Die Schwellenländer dürften 2015 ein Wachstumsplus von knapp vier Prozent verzeichnen. Damit schneiden sie besser ab als die entwickelten Staaten, denen Experten nur einen Zuwachs von 1,9 Prozent zutrauen. Doch das Tempo des Wirtschaftswachstums hat sich seit 2007 in etwa halbiert.
Und vielleicht noch wichtiger: Der Wachstumsvorsprung gegenüber den Industriestaaten ist geschrumpft. Eng damit verknüpft ist ein weiterer Erklärungsansatz, warum den Schwellenländerbörsen der Schwung fehlt: Die Gewinne der Unternehmen bleiben hinter den Erwartungen der Analysten zurück. So auch im ersten Quartal - und das war bereits das zehnte Mal in den vergangenen zwölf Quartalen, dass die Ergebnisse mit den Prognosen nicht mithalten konnten.
Bei einem für 2015 erwarteten Gewinnplus von 3,3 Prozent ist auch für den Rest des Jahres nicht allzu viel zu erwarten. Damit in die lokalen Volkswirtschaften und in die Unternehmensbilanzen wieder mehr Schwung kommt, wäre es wichtig, marktwirtschaftlich orientierte Reformen umzusetzen. Diese streben viele Länder auch an. Vor allem Indien weckt in dieser Hinsicht große Hoffnungen.
Doch es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen letztlich effektiv umgesetzt werden. Zuletzt waren einige aufstrebende Länder jedenfalls wieder einmal mit negativen Nachrichten in den Schlagzeilen. Mit der Ukraine, Russland, Argentinien, Venezuela und Brasilien wäre die Liste schon lang genug, um Anleger daran zu erinnern, dass Investments in Schwellenländern unverändert mit hohen Risiken verbunden sind. Damit nicht genug: Mit Griechenland, das auf Emerging-Market-Status zurückgestuft wurde, kommt ein weiterer Problemfall hinzu.
Auf Seite 3: Vom Wachstumsstar zum Sorgenkind
Vom Wachstumsstar zum Sorgenkind
Aber selbst dieser für Europa sehr wichtige Fall verblasst vor den Problemen für die Weltwirtschaft, falls China noch mehr ins Straucheln geraten sollte als zuletzt ohnehin schon. Das offiziell ausgewiesene Wirtschaftswachstum von rund sieben Prozent entspricht bereits einem Mehrjahrestief. Doch es drängt sich die Frage auf, ob nicht selbst das geschönt ist: Die Volkswirte des französischen Finanzhauses Natixis kommen auf Basis von Daten wie dem Stromverbrauch auf eine Wachstumsrate von derzeit nur noch zwei Prozent.
Weil China lange Zeit die Wachstumslokomotive für die Weltwirtschaft war, hinterlassen gravierende Probleme im Reich der Mitte Spuren im Rest der Welt. Das gilt nicht nur auf volkswirtschaftlicher, sondern auch auf unternehmerischer Ebene. Betroffen sind davon nicht nur Schwellenländerfirmen, sondern auch westliche Konzerne, die ihre Geschäftsstrategie stark auf Emerging Markets ausgerichtet haben.
So erwirtschaftet ein multinationaler Verbrauchsgüterhersteller wie Colgate-Palmolive mittlerweile rund 50 Prozent seines Umsatzes in Asien, Südamerika oder Afrika. Dieser Umstand war Anlegern wegen der unterstellten guten Wachstumsaussichten lange eine Bewertungsprämie wert. Doch jetzt, wo die Goldgräberstimmung verflogen ist, sind diese Aktien nicht mehr so gefragt.
Nicht ohne Grund sind die Anteilscheine von US-Konzernen mit einem starken Fokus auf Schwellenländer jüngst im Vergleich zum breiten US-Aktienmarkt auf den tiefsten Stand seit zwölf Jahren gefallen.
Kritischer als bisher sind vor diesem Hintergrund auch europäische Unternehmen zu sehen, die einen Schwerpunkt auf die Emerging Markets gesetzt haben. Laut einer Liste der Société Générale zählen hierzu Gesellschaften wie Danone, Endesa oder Alstom, aber auch viele Rohstofffirmen wie BG Group, Eni oder Anglo American. Diese Werte leiden zusätzlich darunter, dass wegen der geringeren konjunkturellen Dynamik in den Schwellenländern die Preise für Rohstoffe deutlich gesunken sind.
Was die daraus resultierenden Folgen für die Volkswirtschaften der Schwellenländer angeht, gibt es Gewinner und Verlierer. Zur letzteren Kategorie werden die Rohstoffexporteure Russland, Indonesien, die Golfstaaten und einige lateinamerikanische Staaten gezählt. Als Profiteure gelten dagegen die Rohstoffimporteure wie China, Indien, die Türkei und etliche asiatische Länder. Kurzfristig hängt viel davon ab, wie die Produzentenländer das veränderte Umfeld verkraften. Unter dem Strich könnten die Schwellenländer in ihrer Gesamtheit im Idealfall aber von sinkenden Rohstoffpreisen profitieren.
Am Horizont zeichnen sich zudem zwei weitere Hoffnungsschimmer ab. Zum einen erwarten Volkswirte mittelfristig eine konjunkturelle Belebung. So sagt Allianz Global Investors für 2017 bis 2020 mit 4,9 Prozent ein wieder höheres durchschnittliches Wirtschaftswachstum voraus.
Zum anderen wird auf dieser Basis für die beiden kommenden Jahre mit einem neuerlich deutlich anziehenden Gewinnwachstum gerechnet. Nach Angaben von JP Morgan sollen Steigerungsraten von 12,6 Prozent und 12,4 Prozent dabei herausspringen. Das klingt gut, allerdings müssen dafür diese Vorhersagen auch aufgehen. Angesichts der fragilen Ausgangslage gibt es dafür keine Garantie.
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Knackpunkt US-Zinswende
Ein sehr wichtiger Risikofaktor kommt von außen: eine mögliche Erhöhung der Leitzinsen in den USA. Bereits im September könnte es so weit sein. Eine sich mittelfristig abzeichnende Zinswende in den USA könnte für die Schwellenländer zu einem Problem werden, falls auch die Renditen für US-Staatsanleihen steigen.
Denn Investoren könnten dann in großem Stil Kapital aus den Schwellenländern abziehen. Die ohnehin schon schwachen Währungen der Schwellenländer dürften in der Folge noch weiter unter Druck geraten. Das bewirkt steigende Inflation auf dem Wege höherer Importpreise und würde einen von der US-Vorgabe losgelösten, eigenständigen Zinszyklus noch schwieriger machen. Außerdem wäre ein solches Szenario auch deshalb ein Problem, weil die Verschuldung in den Schwellenländern in den vergangenen Jahren auf allen Ebenen deutlich gestiegen ist.
So haben nach Angaben des US-Vermögensverwalters Blackrock die Unternehmen allein im Vorjahr brutto 371 Milliarden Dollar an Schulden aufgenommen, was fast viermal mehr ist als noch 2005. Vieles davon ist auf Basis von Fremdwährungen passiert. Wenn deren Wert steigt, wird es für die Konzerne sehr teuer, ihre eingegangenen Verpflichtungen zu bedienen. Allerdings besteht die Hoffnung, dass es trotzdem zu einem glimpflichen Ausgang kommt. Denn Hinweise auf eine -mögliche Zinswende gibt es bereits seit geraumer Zeit.
Darüber hinaus sind die Bewertungen in den Schwellenländern im Aktienbereich heute deutlich moderater als noch zum Ende der Hausse 2007. So bewegt sich das KGV aktuell bei 11,4 und das Kurs-Buchwert-Verhältnis lag Ende Juli bei 1,45. Das KGV befindet sich somit praktisch auf dem Zehnjahresdurchschnitt, während der Buchwert darunter liegt.
Beim Buchwert ergibt sich zudem gegenüber dem MSCI-Weltindex ein Bewertungsabschlag von rund einem Drittel. Das ist zwar besser als der Bewertungsaufschlag, den es zeitweise schon gab, doch Anleger müssen auch die im Vergleich zu den entwickelten Staaten nach wie vor höheren Risiken berücksichtigen.
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Von der Kunst, zu differenzieren
Nicht unerwähnt bleiben sollte der Hinweis, dass die zahlreichen Schwellenländer sehr heterogen sind. Sie alle über einen Kamm zu scheren ist nur aus Gründen der Vereinfachung sinnvoll. Selbst in schwierigeren Phasen wie derzeit finden sich in dem Segment daher immer wieder Länder, die interessant scheinen. Charttechnisch noch immer relativ überzeugend sind die Aktienmärkte in Israel, Ungarn und Vietnam, auf die BÖRSE ONLINE in eigenen Länderberichten im Lauf des Jahres hingewiesen hat.
Unter dem Strich ist es trotzdem sinnvoll, dem Rat von JP Morgan Chase zu folgen. "Es ist nicht die Zeit, an den Emerging Markets den Helden zu spielen", sagt der dortige Schwellenländer-Research-Chef Luis Oganes. Auch aus Sicht von BÖRSE ONLINE sollten Anleger erst dann prozyklisch über umfangreiche Neuengagements nachdenken, wenn der MSCI-Emerging-Markets-Index seinen Seitwärtstrend nach oben verlässt.
Kurzfristig sieht es danach aber nicht aus. Eher ist ein Ausbruch nach unten zu befürchten. Sollte es dazu kommen, wäre an Wetten auf weiter fallende Kurse zu denken.