Am Montag war der Terminkontrakt auf die Sorte US-Leichtöl WTI für Mai um knapp 56 Dollar auf minus 37,63 Dollar je Barrel (159 Liter) eingebrochen. Öl-Verkäufer müssen somit Geld zahlen, damit ihnen jemand den Rohstoff abnimmt. Überfüllte Lagerbestände, eine kaum zu bremsende Förderung und eine kollabierte Nachfrage wegen der Eindämmungsmaßnahmen im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie lösen zwar generell schwere Turbulenzen am Markt aus. Doch der Kurssturz bei WTI hat noch technische Hintergründe, die bei Brent nicht gegeben sind. Im Folgenden eine Erläuterung der Abläufe an den Rohstoffbörsen:

WAS BEDEUTET KONTRAKTWECHSEL?


Der Handel mit Rohstoffen wird vor allem über Warentermingeschäfte abgewickelt. Dabei vereinbaren zwei Parteien, eine festgelegte Menge eines Rohstoffs zu einem bestimmten Preis zu einem vorab vereinbarten Termin zu kaufen oder verkaufen. Ein solches Geschäft nennen Experten "Future". Ein Ölfuture läuft einmal im Monat aus. Investoren schließen dann ihre Positionen je nach Preisentwicklung seit Zeitpunkt des Erwerbs mit Gewinn oder Verlust.

Viele Spekulanten sind aber nicht an dem Rohstoff als Produktionsmittel interessiert, sondern nur als Geldanlage. Sie schichten ihr Geld daher zum Ablauf eines Terminkontraktes in einen anderen Future um, dessen Verfallstermin weiter in der Zukunft liegt. Diese Transaktionen heißen im Börsenjargon "Roll Over".

WAS PASSIERT, WENN EIN TERMINKONTRAKT AUSLÄUFT?


Während bei Terminkontrakten auf die Nordseesorte Brent lediglich Geld den Besitzer wechselt, sieht es bei US-Leichtöl anders aus. Hier muss der Käufer kurz nach Auslaufen des Kontraktes die physische Lieferung in vereinbarter Höhe vom Verkäufer entgegennehmen, um sie zu verbrauchen oder einzulagern. Übergabeort hierfür ist die Kleinstadt Cushing im US-Bundesstaat Oklahoma, wo sich eine der größten Lagerstätten für US-Öl befindet.

Der Anleger hat am Verfallstag folgende Optionen: Den Kontrakt auslaufen lassen und das physische Öl entgegennehmen, den Kontrakt weiterverkaufen oder die Umschichtung in den nächsten Monat (Roll over).

WARUM JEMANDEM GELD ZAHLEN, DAMIT ER MEIN ÖL ABNIMMT?


Da viele Investoren ja keinen wirklichen Handel mit dem Rohstoff Rohöl betreiben, verfügen sie auch über keinerlei Transport- und Lagermöglichkeiten. Eine tatsächliche Lieferung bei Auslaufen des Kontraktes können sie also nicht handhaben.

Das war es auch, was den historischen Preisrutsch kurz vor Auslaufen des Mai-Kontraktes verursachte. "Im Wesentlichen eilten die Käufer angesichts von Kontraktpositionen im Wert von 108 Millionen Barrel, die von den Händlern auf dem Markt immer noch nicht geschlossen wurden, zur Tür, um die physische Lieferung von Rohöl zu vermeiden", heißt es in einer Studie des Analysehauses Rystad. Bei einem Verkauf des Öls müssen die Anleger zwar 40 Dollar pro Fass drauflegen. Doch das ist immer noch weniger als der Buchverlust, den sie bei einem "Roll over" in den Juni-Kontrakt hätten hinnehmen müssen: Bei einem Preissturz von zuvor 20 Dollar auf minus 40 Dollar wären das rund 60 Dollar pro Fass gewesen.

KANN DAS BEI BRENT AUCH PASSIEREN?


Da bei Brent keine physischen Öllieferungen im Raum stehen, sondern nur Geld den Besitzer wechselt, wird der Preis nicht ins Minus rutschen. "Niemand wird Sie dafür bezahlen, dass Sie Cash mitnehmen, aber er wird Sie dafür bezahlen, dass Sie das Öl mitnehmen, das er nicht handhaben kann", sagte ein Branchenvertreter, der nicht genannt werden wollte. "Brent ist eher ein Indikator für die Stimmung als eine physische Messgröße." Gleichwohl ist auch diese Sorte nicht vor weiteren kräftigen Abschlägen gefeit.

Investoren bereiten unter anderem das Auseinanderlaufen des Preises für Brent-Futures und dem als Grundlage zur Preisbildung wichtigen Preis für datierte Brent-Lieferungen Sorgen. Normalerweise sind beide rund zwei Dollar auseinander, mittlerweile hat sich wegen des Überangebotes die Differenz auf mehr als zehn Dollar je Fass ausgeweitet. Händlern zufolge zeigt sich daran, dass eine Korrektur bei Brent bevorsteht. Eine engere Angleichung an die physischen Preise liege eindeutig im Bereich des Möglichen, sagt das Beratungsunternehmen JBC Energy. Am Mittwoch kostete Brent mit knapp 16 Dollar zeitweise so wenig wie seit 1999 nicht mehr.

rtr