Die Chemiebranche hat wieder jede Menge Kurstreiber zu bieten. Etliche Firmen meldeten mit ihren jüngsten Geschäftszahlen steigendes Gewinnwachstum. Ein Grund für das Comeback des spätzyklischen Industriezweigs - auch in der Gunst der Investoren - ist die anziehende Weltkonjunktur, die eine steigende Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen beschert.

Die sich erholenden Rohstoffpreise sorgen dafür, dass der Preisdruck auf Kunststoffe, Farbstoffe und Feinchemikalien nachgelassen hat. Branchenexperten wie Analyst Sebastian Bray von der Berenberg Bank gehen davon aus, dass sich der Trend in diesem Jahr fortsetzt, solange ein stabiler Preis von um die 60 US-Dollar je Barrel Rohöl das Mengenwachstum für Chemikalien stützt.

Das Geschäft mit ihnen boomt global. Unter den Schwellenländern gewinnen vor allem China und Indien als Absatzmärkte rasant an Bedeutung. "In China wird nicht nur immer mehr produziert, sondern auch von staatlicher Seite die Entwicklung neuer Technologien etwa für Elektroautos forciert", erläutert Analyst Geoff Haire von der UBS. "Fehlt dazu das eigene Fachwissen, werden diese Technologien zugekauft, wie die Übernahme von Syngenta aus der Schweiz durch den Staatskonzern Chemchina zeigt."

Womit wir bei der Konsolidierungswelle wären, dem zweiten Grund für den Ansturm der Investoren. Zwei Elefantenhochzeiten stehen für die Neuordnung in der Branche. DAX-Mitglied Bayer will die Übernahme des US-Konzerns Mon-santo unter Dach und Fach bringen - und sich mit der rund 66 Milliarden US-Dollar schweren Transaktion die Position als globale Nummer 1 unter den Agrochemiekonzernen erkaufen.

Die zweite große Fusion ist der Zusammenschluss der beiden US-Chemiegiganten Dow Chemical und Dupont. Die neue Firma ist mit etwa 73 Milliarden US-Dollar Umsatz und aktuell 175 Milliarden Dollar Börsenwert nun der größte Chemiekonzern der Welt, vor BASF. Allerdings soll der neue Gigant aus kartellrechtlichen Gründen in die drei Einheiten "Kunststoffe und Materialien", "Agrochemie und Saatgut" sowie "Spezialchemie" aufgespalten werden. Vor der kartellrechtlichen Genehmigung steht indes noch die Fusion der Gase-hersteller Linde und Praxair.

Diese Fusionitis geht mit immer stärkerer Spezialisierung einher. In Zeiten von Überkapazitäten lassen sich die Erträge vor allem mit margenstarken Nischenprodukten steigern. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens PwC. Die im Jahr 2017 deutlich gesunkene Zahl neuer Zusammenschlüsse ist für die PwC-Experten allerdings ein klares Indiz dafür, dass der Trend weg von großen Fusionen zu mehr Desinvestitionen und Abspaltungen geht. So hat Lanxess sein Geschäft mit synthetischem Kautschuk in ein Joint Venture mit dem saudischen Ölkonzern Aramco ein-gebracht. Im Gegenzug wird die Spezialchemie über Zukäufe ausgebaut.

Auch Branchenschwergewicht BASF setzt auf stärkere Fokussierung. Die Fusion der für das Öl- und Gasgeschäft zuständigen Tochter Wintershall mit der früheren RWE-Tochter Dea ist wohl der Einstieg in den Ausstieg aus dieser Sparte. Zugleich will BASF die Segmente Kunststoffe und Agrochemie stärken - unter anderem mit der Übernahme von Teilen des Saatgut- und Pflanzenschutzgeschäfts, die Konkurrent Bayer aus kartellrechtlichen Gründen infolge der Übernahme von Monsanto abstoßen muss.

Der niederländische Konzern Akzo Nobel hat sich unterdessen zum Ziel gesetzt, bis April sein Spezialchemiegeschäft entweder zu verkaufen oder in eine eigene Firma auszugründen. Krachend gescheitert sind dagegen zwei Unternehmen: Clariant mit Sitz in der Schweiz und der US-Konzern Huntsman mussten ihre Fusion ein halbes Jahr nach Vertragsunterzeichnung abblasen, weil der aktivistische Großinvestor White Tale sich querstellte.

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Mehr Rendite, höhere Bewertung



Spannend aus Anlegersicht sind Unternehmen, die in ihren Märkten glänzend aufgestellt sind, auf der Bilanzseite mit hohem Cashflow und sinkender Verschuldung überzeugen und im Verhältnis zum erwarteten Gewinnwachstum moderat bewertet sind. Die mittlerweile optisch hohe Bewertung der meisten Titel ist so lange nicht überzogen, als die Wachstumsdynamik anhält.

"Unter den Subsektoren haben die auf Konsumprodukte und Spezialitäten-chemie ausgerichteten Firmen in puncto Kurs-performance am besten abgeschnitten", sagt UBS-Analyst Haire. Allerdings sei die Bewertung von Chemieaktien wieder auf Niveaus angelangt wie zuletzt Anfang 2008 und dann wieder 2009, als die Bewertungs-Multiples mit den Gewinnen stiegen. Für Sebastian Bray von Berenberg, der Chemieaktien als "nicht mehr günstig, aber noch nicht überteuert" sieht, ist diese Entwicklung nicht weiter problematisch, solange sich Nachfrage, höhere Kapazitätsauslastungen und solide Mittelzuflüsse weiterhin in positiven Gewinnrevisionen niederschlagen.

Für BASF, Europas größten Chemiekonzern, spricht die im Branchenvergleich hohe Rentabilität. Die operative Ebitda- Marge lag zuletzt bei 20 Prozent, die Eigenkapitalrendite 2016 bei 12,8 Prozent. Das weitere Steigerungspotenzial bei den Margen spiegelt sich noch nicht im Ak-tienkurs wider. Zudem verwöhnt der DAX--Konzern die Anleger mit einer üppigen Dividende.

Noch nicht ausgereizt ist die Bewertung des MDAX-Überfliegers Covestro, dessen operative Marge sich seit dem Börsengang 2015 nahezu verdreifacht hat. Global top ist Covestro bei den Schaumstoffen, etwa für Autositze oder in der Wärmedämmung. Die Ausgangsstoffe für 80 Prozent aller eigenen Produkte stellt die Firma selbst her. Je größer die Mengenproduktion, desto mehr Kosten lassen sich einsparen. Darüber hinaus gilt Covestro als heißer Aufstiegskandidat in den DAX, was der Aktie weiteren Zulauf von institutionellen Investoren bescheren sollte.



Der Spezialchemiekonzern Lanxess hat mit dem Gemeinschaftsunternehmen Arlanxeo seine Abhängigkeit von den Preiszyklen für synthetischen Kautschuk verringert. Zudem könnte der Verkauf der zweiten Hälfte dieses Geschäftsfelds mindestens noch einmal 1,5 Milliarden Euro in die Kasse spülen. Geld, das Konzernchef Matthias Zachert für weitere Zukäufe in die Hand nehmen dürfte.

Führungsriege unter Zugzwang



Bei Clariant stellt sich nach der gescheiterten Fusion die spannende Frage, wie sich der Konzern unter dem Druck des Großinvestors ausrichten wird. Anders als bei Wettbewerbern stagnierte zuletzt die Profitabilität, was den Handlungsdruck für das Management erhöht. Darauf sollten Anleger setzen - Übernahmespekulationen inklusive.

Als Interessent wird Evonik gehandelt. Im Vergleich zur Konkurrenz fällt das Wachstum der Essener moderat aus. Im Gegenzug bringt die Gesellschaft mit ihrer soliden Bilanz und der stattlichen Dividende eine Menge defensive Substanz mit. Dank des verknappten Angebots bei einigen Chemikalien stiegen zuletzt Umsatz und Marge bei den Hochleistungs-materialien.

Ebenfalls gut läuft es bei Wacker Chemie. Höhere Absatzmengen bei Polymerprodukten und Silikonen sowie das hochprofitable Wafergeschäft der entkonsolidierten Siltronic sorgten für starke Quartalsergebnisse. Die Analysten rechnen mit einer Gewinnentwicklung je Aktie von 3,27 auf 7,58 Euro zwischen 2016 und 2019. Nachdem die Aktie zuletzt den höchsten Stand seit Juli 2011 erreichte, ist dieses Wachstum allerdings schon gut bezahlt.

Der Reiz von Akzo Nobel besteht im Steigerungspotenzial bei Margen und Cash-flow. Anleger sollten sich nicht davon be-irren lassen, dass die Aktie abgestraft wurde, weil das Management den US-Konzern PPG Industries mit seiner Übernahme-offerte abblitzen ließ. Im operativen Geschäft beginnen niedrigere Rohstoffkosten und Restrukturierungen zu greifen. Spätestens die Entscheidung über die Zukunft der Spezialchemiesparte sollte den Aktienkurs wieder beleben.



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