Herr Halver, Berlin steht vor einem politischen Erdbeben. Medien-Berichten zufolge will Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember nun doch nicht mehr als Parteivorsitzende antreten. Was bedeutet das?
Die Bereitschaft von Frau Merkel, nicht mehr als CDU-Vorsitzende zu kandidieren, signalisiert zumindest die Notwendigkeit für personelle Veränderungen in der Bundespolitik. Eine Nachfolgerin bzw. ein Nachfolger darf kein Abziehbild der bisherigen Politik sein. Die Aussagen von Alt-Bundespräsident Roman Herzog, es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen, war noch nie so treffend wie jetzt.
Als möglicher Nachfolger ist laut einem Bericht der Bild-Zeitung der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz im Gespräch. Stünde Merz für diesen überfälligen Ruck?
Falls Friedrich Merz tatsächlich an die CDU-Spitze rücken sollte, wäre das das eindeutige Signal, dass wirtschaftliche Kompetenz wieder jene Bedeutung erhält, die sie haben muss. Das wäre sicher positiv - für die Wirtschaft und die Börsen.
Die Börsen könnten frischen Wind ja auch dringend brauchen. Der Dax hat alleine in der vergangenen Woche rund drei Prozent eingebüßt. Seit Jahresanfang liegt der Leitindex inzwischen mit zwölf Prozent im Minus. Wie ernst ist die Lage an den Börsen?
Im Moment kommt alles negative zeitgleich auf den Tisch: Eventuell schmutziger Brexit, italienische Schuldenkrise und eine Weltwirtschaft, die an Schwung zu verlieren droht. Besonders negativ macht sich jedoch die Unsicherheit bemerkbar, wie es weiter geht. Der US-Präsident weiß nicht, wann er den Mund zu halten hat. Vor der Kongresswahl am 6. November hat er alle Hemmungen verloren. Es muss sich erst Klarheit in diesen Punkten abzeichnen, bevor es besser wird.
Aber das Umfeld trübt sich weiter ein. Weltweit nehmen Ökonomen ihre Wachstumsprognosen zurück. Zudem haben zuletzt zahlreiche Unternehmen Anleger mit Gewinnwarnungen geschockt, darunter auch Schwergewichte wie Daimler oder FMC. Inzwischen drücken selbst die erfolgsverwöhnten Tech-Riesen wie Amazon oder die Google-Mutter Alphabet auf die Euphorie-Bremse. Ist die Hausse an den Börsen jetzt vorbei?
Wenn ich mir die Berichtsaison anschaue, dann stelle ich im Durchschnitt stabile Ertragsausweise mit gar nicht so schlechten Ausblicken fest. Natürlich gibt es auf der Einzelwertebene Ausreißer, z.B. bei Daimler oder BASF mit hausgemachten Problemen. Doch zeigt die Umsatzentwicklung bei Caterpillar, einem Aushängeschild und Frühindikator der Weltwirtschaft, dass eine Konjunkturdelle keine -Konjunkturbeule ist. Allerdings findet diese Einschätzung im Moment kein Gehör, weil die Anleger in Mollstimmung sind.
Immerhin, wenn sich die Konjunktur verhaltener zeigt, hat das Thema Zins- und Renditeerhöhungsangst an Brisanz eingebüßt. Die zwischenzeitliche Inflationsbeschleunigung sollte nicht irritieren. Mit Rohstoffpreisen in Gipfelbildung sind sie auch in der Nähe ihres Zenits. Anfang November wird der Iran zwar als Öllieferant ausfallen, die Opec wird aber die Lücke schließen, allein schon, um die Förderung von US-Fracking-Öl in Grenzen zu halten.
Beim Brexit und in der Italien-Krise wird Europa typische schmutzige, wenn nicht dreckige Kompromisse finden müssen. Während bei der britischen Scheidung die Trennungszeit verlängert werden dürfte, wird man bei Italien darauf achten, dass sie nicht von der Fahne gehen. Es mag Stabilitätsanhänger wie auch ich einer bin ärgern, dass Italien Brüssel erpressen kann, weil ohne Hilfe auch die Eurozone irreparablen Schaden nehmen könnte. Hat denn irgendjemand ernsthaft geglaubt, dass Italien jemals zum Reform- und Stabilitätsparadies wird? Das war eine rhetorische Frage. Die Stabilitätsunion ist mausetot. Wiederbelebung zwecklos.