Fundamental führt an deutschen Aktien kein Weg vorbei
Wäre Deutschland eine Glühbirne, hätte es wirtschaftlich gesehen die stärkste Leuchtkraft unter allen europäischen Ländern. Im Vergleich leuchten die deutschen Frühindikatoren wie Xenon-Licht.
Neben dem klassischen deutschen Stabilitätsvorsprung honorierte die Aktienbörse diese konjunkturelle Zuversicht schon in den Jahren 2012 und 2013 mit einer massiven Outperformance deutscher Aktien gegenüber der europäischen Konkurrenz.
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Aktien in Italien und Portugal - Auferstanden aus Ruinen
In diesem Jahr sieht es allerdings etwas anders aus. Deutsche Aktien sind Underperformer, ja der DAX ist bislang einer der schwächsten Indizes in Europa. Während wir uns mit etwa zwei Prozent bislang wenig vom Jahresendstand 2013 entfernen konnten, kommen die Aktienmärkte aus Italien, Portugal oder Spanien - wie von Conchita Wurst besungen - wie der Phönix aus der Asche und legen fast zweistellig zu.
Was ist passiert, dass die Aktienmärkte aus Euro-Süd ihr großes Nachholpotenzial gegenüber deutschen Aktien ausschöpfen können?
Das liegt erstens daran, dass für die Euro-Staatsschuldenkrise gilt: Vom geldpolitischen Winde verweht. Ob Portugal, Spanien oder Italien, die Risikoaufschläge ihrer Staatsanleihen zu deutschen gehen runter wie Öl. Wenn aber zweitens diese Systemkrise nur noch ein zahnloser Tiger ist, gibt es auch keinen Grund mehr, die fundamentalen Aktienperlen zu ignorieren. Ohne Zweifel gibt es in der Euro-Südzone zahlreiche Unternehmen von tadellosem Weltruf, z.B. im Konsumbereich.
Und drittens werden deutsche Aktien, die deutlich stärker am geopolitischen und konjunkturellen Fliegenfänger hängen, etwas kritischer beäugt. Ein Wirtschaftskrieg mit Russland träfe Deutschland geopolitisch und konjunkturell deutlich stärker als die anderen Euro-Länder. Auch die zwischenzeitlich konjunkturell zickenden Schwellenländer mit exportschädlichen Währungsschwächen haben auch schon an den Erträgen vieler deutscher Exportwerte genagt wie der Marder an der Innenverkleidung von Autos.
Kurz gesagt: Bislang litten deutsche Aktien an fundamentaler Luftnot.
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Was nun, DAX?
Grundsätzlich glaube ich, dass Aktien in Euro-Süd bis Jahresende durchaus weiter laufen werden. Denn die Euro-Schulden- bzw. -Bankenkrise hat die EZB aus dem Euroraum verbannt. Insofern spricht nichts dagegen, bei Aktienanlagen auch süd-europäisch zu denken.
Dennoch sollte man auch deutsche Aktien unbedingt auf dem Radar haben. Ja, die Euro-Südzone ist zwar den Krisenvirus durch das Breitbandantibiotikum von Gevatter Mario los geworden wie einen lästigen Grippeerreger. Aber ansonsten, in punkto fundamentaler Substanz? Deren infrastrukturelle Defizite bei gleichzeitig umfänglicher Reformverweigerung ist fundamental nicht der ultimative Stoff, aus dem die Aktienträume sind. Deutschland hat es da mit seinen Standortfaktoren schon besser. Die Chinesen singen bereits seit Jahren das hohe Lied auf die deutsche Konjunktur mit der Inbrunst der Fischer-Chöre.
Da es Draghi vor allem um geldpolitische Konjunkturdüngung geht, fällt diese im konjunktursensiblen deutschen Aktienmarkt auf besonders fruchtbaren Boden. Angst vor deutschen Aktien? Hab ich nicht! Die guten deutschen BIP-Zahlen für das I. Quartal waren doch schon einmal ein schöner Anfang.
Auf Seite 4: Wenn einem so viel Gutes wird beschert, das ist schon ein baldiges Ende der Underperformance deutscher Aktien wert
Wenn einem so viel Gutes wird beschert, das ist schon ein baldiges Ende der Underperformance deutscher Aktien wert
Immerhin, deutsche Aktien sind schon rekordverdächtig. Bis zur historischen Marke von 10.000 Punkten ist es im DAX rein rechnerisch nicht mehr weit. Allerdings muss der DAX zunächst einmal sein kürzlich erklommenes Allzeithoch nachhaltig nach oben durchbrechen. Dazu scheint den Anlegern aktuell noch der Mut zu fehlen. Die geopolitische Lage ist noch zu unübersichtlich.
Aber im Juni kommt eine gute Gelegenheit. Denn dann wird Herr Draghi nicht nur geldpolitische Verbalerotik betreiben, sondern tatsächlich zins- und liquiditätspolitisch handeln.
Eines ist aber schon heute klar: Die Börsenweisheit "Sell in May and go away" scheint auch nur eine von vielen Börsenweisheiten zu sein, für die man fünf Euro ins Phrasenschwein stecken sollte.
Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.