Dank seines Weitblicks ist David Roche von Independent Strategy weltweit ein gefragter Ratgeber für Anleger. Seit Jahren prägt die Sorge über den globalen Zustand der Demokratien sein Weltbild. BÖRSE ONLINE sprach mit ihm über die Hintergründe dieses Phänomens und die Auswirkungen für Anleger.



Ihr jüngstes Buch trägt den Titel "Tod der Demokratie". Auf welche Fakten stützt sich diese These?
Gemessen an allen quantifizierbaren Messungen zum Stand der Demokratie gab es in den vergangenen 20 Jahren einen Rückgang und einen Anstieg der autokratischen Regierungen. Zudem muss die internationale Zusammenarbeit zusehends nationalistischen und protektionistischen Kräften weichen, während Politiker Zuspruch erhalten, wenn sie andere für die Krankheiten ihres eigenen Landes verantwortlich machen. Es findet ein Wandel hin zu einer egoistischeren Politik statt.

Was sind die Gründe für die Probleme von Demokratien?
Der Sozialvertrag zwischen den Regierungen und ihren Bürgern wurde gebrochen. Dazu trugen eine zunehmende Ungleichheit (sowohl in Bezug auf das Einkommen als auch zwischen den Generationen) bei, der Verlust von besser bezahlten Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe sowie mangelnde Unterstützung für diese Arbeitnehmer beim Übergang zu vergleichbaren Arbeitsplätzen in den Dienstleistungssektor. Hinzu kommen ein Niedergang des "Wohlfahrtsstaates" sowie der öffentlichen Dienstleistungen, da die Ausgabenverpflichtungen oft finanziell nicht gedeckt sind.

Außerdem hat sich das Wachstum verlangsamt und neu geschaffene Arbeitsplätze sind in liberalen Volkswirtschaften weniger sicher als früher und in stärker regulierten Arbeitsmärkten schwerer zu finden. Auch sind die staatlichen Investitionen gesunken, da es steigende Sozialversicherungs- und Gesundheitskosten zu decken gilt. Außerdem wurde die Globalisierung und die Migrationswelle genutzt, um viele Menschen in den entwickelten Volkswirtschaften zu verschrecken.

Welche Vorteile und Nachteile haben Techno-Autokratien gegenüber Demokratien?
Eine schnellere Entscheidungsfindung, eine entschiedenere Umsetzung und die Fähigkeit, die Politik an längerfristigen Zielen anstatt an den Wahlzyklen auszurichten. Der bemerkenswerteste Erfolg ist in dieser Hinsicht natürlich China. Allerdings haben diese Systeme auch viele Schwächen. Insbesondere die Idiotie der jeweiligen Autokraten, die letztendlich dazu führt, dass diese Staaten zerstört werden (Putin, Erdogan, Duterte, Maduro und vielleicht Trump!).

Wer trägt die Hauptschuld für den gestoppten Siegeszug der Demokratie als Staatsform?
Die liberale internationale Ordnung (die Davoser Elite!) sowie die Einwanderung und der Terrorismus. Vor allem aber eine Schwächung des Verantwortungsbewusstseins eines jeden Einzelnen und die damit verbundene Zersplitterung der Gemeinschaften in den demokratischen Gesellschaften. Das dadurch entstehende Gefühl der Isolation ist zerstörerisch.

Während ein Großteil dieses Scheiterns auf das kurzfristige Denken der Regierungen zurückgeführt werden kann, ist das Problem gleichzeitig auch sehr vielschichtiger. So schufen jahrzehntelang stetig steigende Lebensstandards ein Anspruchsgefühl. Das gilt auch für die großzügigen Sozialsysteme, die aber weniger bezahlbar geworden sind. Unterinvestitionen in Infrastruktur und Bildung haben die Fähigkeit der Volkswirtschaften untergraben, die Produktivität weiter zu verbessern. Das ist alles Futter für Populisten, die von den aufgekommenen Ängsten zehren.

Wie sollte eine effektive Antwort auf den Populismus und die Techno-Autokratien aussehen?
Investitionen in disruptive Technologien, Verringerung der Ungleichheit, mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten und Anstrengungen zur Verbesserung der sozialen Mobilität. Es muss auch eine gerechtere Verteilung der Kosten bei diesen Anpassungen geben - wir müssen die breiten Schultern der Gesellschaften wiederfinden. Bleibt alles das aus, werden die Alterung der Bevölkerung in Verbund mit den sinkenden Geburtenraten die Sozialkontrakte in Stücke zerreißen.

Auf welche Wahlen kommt es als nächstes besonders an?
Alle anstehenden Wahlen in Europa sind wichtig. Populistische Parteien haben hier am meisten zugelegt, die Frage ist, ob sie aus Protestwählern einen Kernwählerkreis machen können, um darauf gestützt dann ihre radikalen Ideen (links und rechts) voranzutreiben zu können. Italien ist am stärksten gefährdet, da eine volatile populistische Regierung das Land bereits wieder in die Rezession drängt. Spanien hat Separatismus erlebt und der Aufstieg der rechtsextremen Vox-Partei stellt den Zusammenhalt in Frage.

Am wichtigsten werden die nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA sein. Denn es geht um die Frage, ob Trump eine zweite Amtszeit erringen kann oder ob die Zentristen die Macht zurückzugewinnen können. Sollten die Demokraten radikal nach links abdriften, könnte die Möglichkeit für das Zentrum, sich wieder zu etablieren, verloren sein.

Auch in Deutschland verlieren die traditionellen Volksparteien an Zustimmung. Wie lautet hier Ihre Prognose zur weiteren Entwicklung der politischen Landschaft?
Eine weitere Fragmentierung der Parteienlandschaft, eine lahme Kanzlerin, aber vorerst keine wirkliche Veränderung. Die Unterstützung für die AfD scheint nachzulassen. Aber die Wählerschaft bleibt von den traditionellen Parteien enttäuscht. Ob die Grünen einen weiteren Schub bekommen wird angesichts des möglichen endgültigen Zusammenbruchs der Unterstützung für die SPD interessant zu beobachten sein.

Inwiefern sind die von Ihnen skizzierten politischen Trends aus Anlegersicht relevant?
Der Populismus und die Schwächung der Demokratie werden die Investmentlandschaft völlig neu gestalten. Denn sie implizieren eine Schwächung der Rechtsstaatlichkeit und erhöhen das Risiko, weltweit Geschäfte zu tätigen. Die Entglobalisierung wird die Kosten für das Geschäftemachen erhöhen, indem sie die Effizienz der globalen Lieferketten verringert. Das wird die Kosten erhöhen, die Rentabilität beeinträchtigen und den Lebensstandard senken. Und natürlich letztlich die Attraktivität der populistischen Botschaft aus der Perspektive der Wähler noch weiter erhöhen.

Welche Folgen auf Volkswirtschaft und Finanzmärkte haben Populismus und Demokratie-Abstieg konkret?
Langsameres Wachstum, weniger Handel, mehr Schocks, weniger Investitionsmöglichkeiten, mehr Risiko. Eine höhere Volatilität, eine Bevorteilung von Anleihen gegenüber Aktien sowie von Gold gegenüber Währungen.

Zu welcher Anlagestrategie raten Sie vor diesem Hintergrund?
Agieren Sie vorsichtiger, denn die Anlagerenditen werden niedriger ausfallen, was die Investoren ermutigen wird, mehr Risiko einzugehen, was in einer volatileren Welt, in der die Ergebnisse weniger sicher sind, völlig selbstzerstörerisch sein wird. Die Anleger werden sich mit niedrigeren Renditen zufrieden geben müssen, und sie werden sich wahrscheinlich nur anpassen, wenn sie es auf die harte Tour lernen.

Was dürfte weltweit in 10 Jahren die dominierende Staatsform sein?
Es wird weniger echte Demokratien geben. Wir werden mehr hybride Demokratien sehen, in denen sich der Kult rund um die jeweiligen Führer verfestigt und die Wahlen eher dazu beitragen, dem Regime Legitimität zu verleihen. Die öffentliche Meinung wird durch Einschränkungen der Medien und durch Aktionen gegen oppositionelle Gruppierungen kontrolliert. Mit Russland, der Türkei und Ungarn haben wir dafür bereits gute Vorlagen. Je länger solche Führer dienen, desto schwieriger ist es, sie wieder zu entfernen.

In den "reinen Demokratien" werden die Regierungen außerdem an Effektivität verlieren und sie müssen bestimmte populistische Ideale befriedigen - zum Beispiel über eine strengere Einwanderungspolitik. Die vorherrschenden demographischen Trends werden unter dem Druck der Gesundheits- und Sozialsysteme zu sichtbareren generationenübergreifenden Rissen führen.

Die Technologie wird in der Lage sein, einige dieser Probleme anzugehen, aber nur, wenn die Regierungen auch in sie investieren. Doch dafür gibt es noch keine Anzeichen. Ohne Visionen und Investitionen steht das soziale Ponzi-System der Nachkriegszeit, das darauf aufbaute, dass eine größere Zahl von Menschen der nächsten Generation die zahlenmäßig kleinere Vorgängergeneration finanziert, wirklich vor dem Zusammenbruch.

Lässt sich das angekratzte Image der Demokratie mit mehr direkten Demokratie-Elementen, etwa nach Schweizer Vorbild, aufpolieren?
Direkte Demokratie ist nicht die Antwort, denn ein Großteil der Wähler ist nicht in der Lage, komplexe Entscheidungen zu treffen. Parlamentarische Demokratie ermöglicht es den Bürgern dagegen, Vertreter zu wählen, die informiert (zumindest theoretisch) und verantwortungsvoll (erneut theoretisch!) genug sind, sowie über die Ressourcen verfügen, um die volle Bandbreite der Fragen und Themen verstehen und beantworten zu können.

In gewisser Weise ist die direkte Demokratie ein Verzicht auf die Verantwortung für die Entscheidungsfindung - diejenigen, die in Referenden abstimmen, können niemals für schlechte Entscheidungen verantwortlich gemacht werden, während diese Entscheidungen dauerhaften Schaden anrichten können. Brexit ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, bei dem die politische Elite ihre Verantwortung abgelegt und das Wahlmandat genutzt hat, um ein Ergebnis zu erzielen, das ein Land zu einem ärmeren Ort macht. Zu bedenken ist auch, dass der Wohlfahrtsstaat geschaffen wurde, um die Schwachen zu schützen. Und die parlamentarische Demokratie hat eine ähnliche Aufgabe.

Wo liegen dann die wahren Demokratie-Probleme?
Die Auflösungserscheinungen in den heutigen Demokratie rührt nicht aus ihrer Struktur, sondern aus dem Versagen der Politiker, Visionen zu verwirklichen und der Fokussierung aus kurzfristiges Agieren. Letztlich führt das aber längerfristig zu einer schlechten Entwicklung, wie wir jetzt gerade sehen.

Die Aushöhlung der Politik als eine öffentliche Dienstleistung ist ein weiteres Problem, da es immer mehr um ein lukratives Karriere machen geht sowie um die post-politischen Lebensaussichten. Hinzu kommen der Aufstieg von Lobbyisten und die Gefangennahme des Staates durch Unternehmen, die oft die Forderungen der Öffentlichkeit überschatten. Infolgedessen werden die Menschen entmutigt.

Wie lautet Ihr Lösungsansatz?
Die Öffentlichkeit muss eine Vision für die Gesellschaft aufzeigen, die sie sich wünscht, über ihr unmittelbares Eigeninteresse hinausschauen und sehen, welchen gegenseitigen Nutzen eine integrativere Gesellschaft bringt. Das bringt auch Bildung und Infrastruktur ins Spiel, die nur langfristig Rendite bringen. Ein gutes Steuersystem, eine verbesserte Aufsicht und eine unparteiische Regulierung des Wahlsystems selbst sind ebenfalls erforderlich.

Hinzu kommen eine breitere Regulierung von Sozialen-Medien-Plattformen sowie den Medien allgemein, weil diese in vielen Ländern im Besitz externer Parteien ist. Diese Organisationen und Plattformen sind dadurch offen für Missbrauch durch bestimmte Interessengruppen, Dritte und externe staatliche Akteure. Das muss angegangen werden. Zweifellos ist das System reformbedürftig, es braucht dringend Führung und dringend einer Adressierung des Kurzfristdenkens.