Im Kern will sich Japan durch die deutliche Yen-Abwertung aus der Krise "herausexportieren". Sollte die Wirtschaft anspringen, müsste die Notenbank angesichts der Rekordschulden des Staates die Zinsen weiter niedrig halten, schon ein geringer Zinsanstieg würde zur Zahlungsunfähigkeit führen. Damit käme es zur finanziellen Repression, also zur schleichenden Enteignung der Sparer zugunsten des Staates. Empirisch weiß man, dass dies wiederum zu einer höheren Sparquote und damit - bei gegebenem Investitionsniveau - zu noch höheren Handelsüberschüssen führen wird.
Dieser Exportdruck trifft aber auf eine Welt mit stagnierender Nachfrage. Und hier zeigt sich auch schon in den jetzt vorliegenden Daten, dass die Abwertung des Yen ihre Grenzen hat: Die Exporte steigen nicht wie erhofft. Auch andere Wirtschaftsregionen hoffen auf steigende Exporte, um der eigenen Misere zu entkommen. So wird China angesichts der sich zuspitzenden Probleme im eigenen Finanzsektor wieder verstärkt auf Exporte setzen. Eine wesentliche Komponente von Abenomics müssten deshalb zusätzliche Investitionen der Unternehmen in Japan sein. Eine einseitige Orientierung am Export kann nicht funktionieren und wird im Zweifel einen Abwertungswettlauf auslösen. Die jüngste Schwäche der chinesischen Währung sollte ein Warnsignal sein.
Hinter der japanischen Misere steht eine Kombination aus verschleppter Überschuldungskrise und schrumpfender Bevölkerung. Bis heute hat Japan nicht die Folgen der Blase aus den 80er- Jahren bereinigt. Statt die untragbaren Schulden abzubauen, wurden sie vom Privatsektor auf den Staat übertragen. Abenomics ist der verzweifelte Versuch, diese Schuldendynamik zu durchbrechen. Doch in einer Welt, in der alle wesentlichen Wirtschaftsregionen vor ähnlichen Problemen stehen, wird dies nicht funktionieren. Japan wird nicht umhinkommen, das Schuldenproblem offen zu lösen. Denn die Unternehmen investieren nicht - zu unsicher sind die Wachstumsaussichten.
Europa befindet sich in einer ähnlichen Situation wie Japan nach dem Platzen der Blase zu Beginn der 90er-Jahre. Auch bei uns ist eine Schuldenblase geplatzt, auch hier beginnt die Erwerbsbevölkerung zu schrumpfen. Für die Kosten der alternden Gesellschaft wurden keine Rücklagen gebildet. Der Euro ist viel zu stark, gemessen am Zustand der europäischen Wirtschaft. Das Bankensystem ist marode, und gerade in den Ländern der Peripherie wimmelt es von "Zombie-Unternehmen", die nur noch am Leben sind, weil Banken die Abschreibungen nicht verkraften.
Japan zumindest konnte sich, von einem niedrigen Niveau kommend, im Inland verschulden, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Die europäischen Staaten hingegen haben schon vor der Krise enorme Schulden angehäuft und benötigen Kreditgeber aus dem Ausland, weil die inländische Ersparnis nicht ausreicht. Wir haben es mit verschiedenen Staaten, Sprachen und Sozialsystemen zu tun, was die Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Und die EZB bleibt die Zentralbank verschiedener Länder mit verschiedenen Interessen. Wir werden nicht 25 Jahre dem japanischen "Vorbild" folgen können. Besser wäre es, die richtigen Schlüsse aus dem Beispiel Japan zu ziehen: unser Schuldenproblem bereinigen, statt es ungebremst anwachsen zu lassen, bis es knallt. Bis jetzt sieht es aber so aus, als ob niemand diese Mahnung hören würde.
Dr. Daniel Stelter
Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group. Von 2003 bis 2011 verantwortete er dort weltweit das Geschäft der Praxisgruppe Corporate Development. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen bei der Vorbereitung auf die Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Beyond the Obvious ist ein auf Strategie und Makroökonomie spezialisierter Thinktank.