Ghizzoni handelt in vorauseilendem Gehorsam. Seine Rückstellungen sind eine Vorbereitung auf die seit Langem härteste Bewährungsprobe für die Branche: Im Herbst wird die EZB erstmals die Aufsicht über die 128 größten Banken der Eurozone übernehmen und prüft nun deren Bücher von Grund auf. Über 1000 Wirtschaftsprüfer durchleuchten bis August Bilanzrisiken in Höhe von 3,72 Billionen Euro. Das Handbuch dafür ist fast 300 Seiten dick.
Auf Seite 2: Keine Gnade für Pleitebanken
Keine Gnade für Pleitebanken
In einem mehrstufigen Test (siehe Investor-Info) müssen die Banken beweisen, dass sie genügend Sicherheitspuffer für riskante Wertpapiere haben und den Ausfall fauler Kredite verkraften. Die letzte Stufe, der Stresstest, simuliert eine Rezession, einen Börsencrash und einen Einbruch der Immobilienpreise. Wer für all dies nicht genug Eigenkapital besitzt, muss sich neues beschaffen oder zwangsfusionieren - andernfalls droht die Abwicklung.
"Wir müssen akzeptieren, dass einige Banken keine Zukunft haben", kündigte Danièle Nouy, Chein der neuen Bankenaufsicht in der Eurozone, im Februar an. In den Ohren der Branche klang das wie eine Drohung. Grund für die harten Worte sind schmerzhafte Erinnerungen an die Finanzkrise: Gut fünf Jahre danach sollen die Geldhäuser in Europa endlich krisenfest werden.
Nie wieder Banken mit Milliarden Steuergeldern retten, nie wieder ein Finanzsystem am Abgrund - so lautet der Wunsch der Aufseher. Anstelle der nationalen Aufsichtsbehörden soll die EZB mit einer zentralen Aufsicht die Banken der Währungsunion sicherer machen. Der Gesundheitscheck soll sie zwingen, ihre Altlasten zu beseitigen. "Das ist eine große Chance", sagte EZBDirektorin Sabine Lautenschläger angesichts der Mammutaufgabe. "Es wird keine Kompromisse geben."
Allerdings steht auch die Notenbank vor einer Gratwanderung. Sie darf die nach wie vor wackligen Banken nicht mit zu strengen Vorgaben überfordern, zugleich jedoch nicht den Verdacht aufkommen lassen, dass die Hürden zu niedrig lägen - sonst verliert der Branchentest an Glaubwürdigkeit. Frühere Prüfungen der Europäischen Bankenaufsicht EBA zeigten peinliche Schwächen: 2010 und 2011 passierten manche Geldhäuser aus Irland, Belgien und Zypern den Test und gingen kurz danach beinahe pleite. Zudem dient das Großreinemachen nur bedingt als Maßstab für den Zustand der europäischen Bankenbranche. Denn die hängt nicht zuletzt von den Finanzzentren London und Zürich ab, wo Großbanken wie Barclays, HSBC, UBS und Credit Suisse sitzen. Da die EZB aber nur die Banken der Eurozone überwacht, werden nur deren Auslandstöchter in der Währungsunion getestet. Auch vermuten viele Experten, dass Banken Bewertungsspielräume nutzen werden, um sich stark zu rechnen. Deutsche- Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen versuchte diesen Verdacht auszuräumen: "Ich glaube nicht, dass Banken versuchen werden, mit Tricks ihre Bilanzen zu schönen", sagte er. "Das wäre ja fast so, als ob ein Sportler vor laufender Kamera Doping betreibt und die ganze Welt dabei zuschaut."
Auf Seite 3: Spekulation um Milliardenlöcher
Spekulation um Milliardenlöcher
Sorgen bereiten den Aufsehern vor allem südeuropäische Banken. Italienischen Instituten, schätzt Goldman Sachs, könnten 17 Milliarden Euro Eigenkapital fehlen. Neben Unicredit kämpft auch die Krisenbank Monte Paschi mit Kreditausfällen wegen der schwachen Konjunktur: Sie schrieb für 2013 rund 2,75 Milliarden Euro auf Problemkredite ab. Griechischen Banken fehlen laut Schätzungen der Troika rund 8,5 Milliarden Euro, und auch kleine ertragsschwache Banken aus Spanien könnten frisches Geld brauchen.
Selbst deutsche Häuser dürfen sich nicht zu sicher fühlen. Zwar konnte etwa die Deutsche Bank zuletzt ihre Kapitaldecke deutlich stärken, und die Commerzbank kommt beim Abbau fauler Wertpapiere schneller voran als erwartet, doch Analysten wie Dirk Becker von Kepler Capital Markets sehen noch Abschreibungs- oder Rückstellungsbedarf bei Rechtsrisiken, exotischen Derivaten und der Finanzierung von Gewerbeimmobilien und Schiffen. Das könnte neben der Deutschen Bank gerade die Commerzbank treffen. "Die Kapitalausstattung ist nicht üppig, und die Bank hat Mühe, aus dem laufenden Geschäft Geld zu verdienen", sagt Becker. Als Wackelkandidat gilt zudem die HSH Nordbank, die milliardenschwere Schiffskredite hält.
Wie viel Eigenkapital insgesamt in der Eurozone fehlt, lässt sich nur schwer schätzen - die Rechnungen reichen von einem mittleren zweistelligen Milliardenbetrag bis zu 700 Milliarden Euro. Solche Katastrophenszenarien sind aber extrem unwahrscheinlich: Viele Banken haben in Erwartung des Stresstests ihre Bilanzen schon kräftig geschrumpft, faule Wertpapiere verkauft oder frisches Geld an den Finanzmärkten aufgenommen.
Auf Seite 4: Gesunde Marktbereinigung
Gesunde Marktbereinigung
Die meisten Experten glauben daher, dass die EZB nur moderate Nachbesserungen verlangen wird. Auch Klaus Regling, Chef des europäischen Rettungsfonds ESM, ist zuversichtlich: "Ich erwarte in Spanien, Portugal und Zypern keine großen Überraschungen. Gleiches gilt für Griechenland und Irland."
Für Bankaktien muss der Gesundheitstest daher nicht unbedingt von Nachteil sein. Anteile von Unicredit schossen nach Bekanntwerden der Abschreibungen um sechs Prozent in die Höhe - die Börse honorierte das Aufräumen. Mittelfristig könnte die Notenbank eine überfällige Konsolidierung unter Europas Banken anstoßen. So erwartet Martin Reitz, Chef der Investmentbank Rothschild, nach dem Test eine Fusionswelle. Dann seien Unsicherheiten weg, was die Chance eröffne, konkurrenzfähige Banken zu schaffen: "International sind die Gewinne vieler europäischer Banken zu gering."
Auf Seite 5: Luxussorgen an der Wall Street
Luxussorgen an der Wall Street
Das zeigt auch die Stimmung in den USA, wo die Notenbank Fed am Donnerstag die Ergebnisse ihres Stresstests für die 30 größten Geldhäuser veröffentlicht. Nur ein kleineres Institut fiel durch. Von Kapitallöchern spricht ohnehin kaum jemand. Anders als die Europäer haben die US-Banken ihre Bilanzen längst bereinigt, Citigroup, JP Morgan und Co verdienen Milliarden.
Stattdessen spekuliert die Wall Street, ob die Banken ihre Dividenden und Aktienrückkäufe wie geplant um fast 70 Prozent erhöhen oder ihnen die Aufseher Schranken auferlegen - nicht weniger als 75 Milliarden Dollar stehen für die Aktionäre auf dem Spiel. Im Mutterland der Finanzkrise, dort, wo 2007 mit faulen Hypothekenkrediten alles begann, ist die Krise weit weg.
Auf Seite 6 und 7: Investor-Info