Das ständige Hin und Her der Investmentstile geht weiter." So beginnt Bernd Meyer seinen jüngsten Blick auf die Märkte. "Zuletzt hatten Wachstumsunternehmen wieder die Nase vorn", kommentiert der Chefstratege Wealth und Asset Management bei der Privatbank Berenberg. "Value-Titel wurden dagegen durch Covid-19-Ängste rund um die Delta-Variante sowie durch fallende Anleiherenditen belastet." Die Volatilität bei den Anlagestilen könnte nach Meyers Ansicht noch etwas anhalten.

Eine schlechte Nachricht für taktische Investoren. Solche, die auf günstig bewertete, konjunktursensible Aktien gesetzt haben, in der Annahme, dass die Impffortschritte, die rasche wirtschaftliche Erholung und der Ausblick auf steigende Zinsen solche Value-Werte begünstigen würden. Nun ist deren Rally erneut ins Stocken geraten und Anteilscheine wachstumsstarker Firmen, sogenannte Growth-Titel, sind gefragt.

Im aktuellen Umfeld gemischt ausfallender Konjunktur- und Inflationszahlen wird das Pendel bei den Anlagestilen so schnell wohl nicht ausschwingen. Ein augenfälliges Beispiel für die Problematik sogenannter Faktor-Strategien.

Das Konzept geht zurück bis in die 1960er-Jahre, als Wissenschaftler - unter ihnen William F. Sharpe - ein Preismodell für Kapitalgüter aufstellten. 1993 veröffentlichten dann die späteren Nobelpreisträger Eugene Fama und Kenneth French ihr bekanntes Drei-Faktor-Modell. Das bestand neben dem Marktrisiko aus Größe und Bewertung.

Von Fama/French zum Faktor-Zoo

So konnten sie für die Jahre 1963 bis 1990 nachweisen, dass Aktien mit geringer Börsenkapitalisierung höhere Renditen erzielen als solche mit hohem Börsenwert. Ebenso stellten sie fest, dass Aktien mit niedrigem Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) eine bessere Wertentwicklung erreichen als solche mit hohem KBV. In der Anlagewelt sind diese Renditefaktoren heute als "Size" (Größe) und "Value" bekannt. Entsprechende Strategien setzen auf kleine Unternehmen oder suchen an der Börse unterbewertete Anteilscheine.

Bis heute werden immer wieder neue Faktoren erforscht, mit denen ein möglichst hoher Anteil der Renditen erklärt werden soll. Nicht immer ist das Ergebnis überzeugend, sodass Kritiker schon mal über einen "Faktor-Zoo" lästern.

Dennoch haben sich Standards festgesetzt. Vor allem die Anbieter börsengehandelter Indexfonds, kurz ETFs, bieten Produkte für Faktoren wie Value, Growth, Size oder Quality. Ebenso können Investoren auf Aktien setzen, deren Kurse wenig schwanken (Minimum Volatility). Oft firmieren Faktor-ETFs unter der Bezeichnung "Smart Beta".

Der Begriff spielt auf die Marktrisikoprämie im klassischen Preismodell für Kapitalgüter an: Beta ist schlicht die Rendite, die der Gesamtmarkt abwirft. Erzielt ein Anleger einen höheren Gewinn, nennt sich die Differenz Alpha oder Überrendite. Einen ähnlichen Vorteil sollen auch Smart-Beta-Produkte bringen: Indem sie einen Index nach alternativen Faktoren gewichten, versprechen sie entweder eine Überrendite oder ein verringertes Risiko. Das Problem: Es gibt auch Phasen, in denen ein Faktor für eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung sorgt.

Wie "volatil" Style-Investing sein kann, zeigt nicht nur der muntere Wechsel von Growth und Value in diesem Jahr. Auch die bunte Schachbrett-Grafik oben belegt, wie schnell der Erfolgsfaktor des einen Jahres zum Rohrkrepierer des nächsten werden kann. Erzielte man zum Beispiel 2014 und 2015 mit einer auf schwankungsarme Aktien ausgerichteten Strategie im Weltaktienindex MSCI World deutlich bessere Ergebnisse als der Gesamtmarkt, so war dies 2016 nicht mehr der Fall. 2017 hinkten Anleger mit diesem Faktor gar deutlich hinterher.

"Erfolgreiches Faktor-Investing ist unglaublich schwierig", sagt Christian Maschner, Anlagestratege beim Vermögensverwalter HQ Asset Management (HQAM). Neben der Schwierigkeit des Timings (welcher Faktor zu welcher Zeit) sieht Maschner ein grundsätzliches Problem: "Faktorstrategien arbeiten mit einem relativ kleinen Instrumentenkasten. Mit wenigen Kennzahlen wird ein Faktor definiert und daraus das Anlagerezept erstellt."

Bekanntheit schmälert die Rendite

Der Haken: Die Kennzahlen seien aus dem Rückblick in die Vergangenheit für gut befunden worden. "Ob das Rezept auch in Zukunft funktioniert, darüber haben Index- und Produktanbieter keine Kontrolle mehr", so Maschner. Häufig sei es der Fall, dass die Rendite solcher Strategien abnehme, je bekannter diese werden und je mehr Anleger darauf setzen. In einer Studie hat der Anlageexperte festgestellt, dass traditionelle Faktorstrategien bei europäischen Aktien in den vergangenen Jahren deutlich weniger Gewinn abwarfen. Wies etwa der Momentum-Faktor von 1990 bis 2007 noch eine durchschnittliche Jahresrendite von 3,1 Prozent vor Kosten auf, fiel diese von 2008 bis 2020 auf nur noch 1,3 Prozent.

Dass das Spiel mit Risikoprämien schwieriger geworden ist, liegt auch an der Finanzkrise und dem seither herrschenden Niedrigzins-Regime. Auf der Jagd nach Rendite sind für viele Investoren alternative Risikoprämien stärker in den Vordergrund gerückt. Zugleich hat die ETF-Industrie den Trend mit immer neuen Produkten befördert.

Für Vermögensverwalter wie HQAM, zu dessen Kunden vorwiegend institutionelle Anleger zählen, bieten Technologie und künstliche Intelligenz neue Möglichkeiten, Faktor-Investing zu betreiben. "Damit lassen sich relevante Kennzahlen dynamisch auswählen und an das aktuelle Marktgeschehen anpassen", erklärt Maschner.

Wer als Privatanleger nicht über diese Ressourcen verfügt, sollte zumindest ohne falsche Erwartungen in Faktoren investieren. Das heißt: nicht jedes Jahr eine Überrendite erwarten und auch mal eine schwächere Entwicklung als der breite Markt akzeptieren. Dann findet man durchaus "gute" Faktoren.

Der Blick auf das Schachbrett zeigt zum Beispiel, dass Aktien von globalen Qualitätsunternehmen, die über gesunde Bilanzen, geringe Verschuldung und eine gute Marktstellung verfügen, in sieben der vergangenen acht Jahre besser abgeschnitten haben als der Durchschnitt. Auch die Faktoren Wachstum und Momentum lagen in den meisten Jahren gut im Rennen.

In der Investor-Info links hat die Redaktion empfehlenswerte Produkte aufgelistet. Dort findet sich auch ein ETF für Anleger, die sich im Wechselspiel von Value und Growth taktisch in der Mitte positionieren wollen.
 


INVESTOR-INFO

iShares MSCI World Quality

Die Streber-Aktien

Es gibt Unternehmen, die sind Streber. Denn sie glänzen gleich bei einer ganzen Reihe an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen: hohe Profitabilität, niedrige Verschuldung, ein fähiges Management, starke Marktposition. Die Aktien solcher Firmen hat fast jeder Investor gern im Depot. Mit dem iShares-ETF investiert man global in Streber vom Schlage einer Nestlé oder Microsoft. Über drei und fünf Jahre ergibt das einen leicht besseren Rendite-Risiko-Mix relativ zum MSCI World.

Xtra. MSCI world Momentum

Einfach laufen lassen

Wenn eine Aktie mal läuft, dann läuft sie. In der Fachsprache heißt das Momentum und zählt auch zu den Renditefaktoren, auf die man setzen kann. Mit dem ETF von Xtrackers war in den vergangenen fünf Jahren eine Rendite von 125 Prozent möglich. Ein ETF auf den Standardindex MSCI World brachte hingegen "nur" ein Plus von gut 90 Prozent ein. Der Faktor Momentum war in den vergangenen Jahren relativ eng mit den Kategorien Growth und Quality verbunden.

Deka Stoxx Eur. strong Style

Die goldene Mitte

Die unklare Pandemie- und Konjunkturlage könnte weiterhin dafür sorgen, dass sich Value- und Growth-Aktien ein Wettrennen um die Gunst der Anleger liefern. In einem solchen Szenario bietet der Deka-ETF eine clevere Anlagemöglichkeit. In ihm sind - nach jeweils sechs fundamentalen Kennzahlen ausgewählt - die 20 reinsten Growth- und die 20 reinsten Value-Aktien Europas enthalten. Zwei weitere Deka-ETFs bieten die Strategien auch getrennt (Strong Growth, ISIN: DE 000 ETF L03 7; Strong Value, DE 000 ETF L04 5).