Wenige Flugminuten hinter Helgoland ragen die roten Spitzen der Rotorblätter in den blauen Himmel. Lina, Julius, Ralf oder Grace - jedes Windrad hier draußen in der Nordsee trägt seinen eigenen Namen. Noch stehen die Räder still. Voraussichtlich Ende des Jahres werden die riesigen Turbinen in Betrieb gehen und endlich Strom liefern - nahezu zwei Jahre später als geplant.
Technische Probleme, ungeklärte Haftungsfragen, politische Unsicherheiten, eine schwierige Netzanbindung - all das hat den Ausbau der Offshore-Windkraft vor deutschen Küsten bislang verzögert. "Jetzt geht es Schlag auf Schlag, der Stau löst sich auf", sagt Tim Dawidowsky, Europa- Chef der Stromtransportsparte von Siemens. Der deutsche Industrieriese liefert die gigantischen Umspannplattformen, über die der Strom ins Netz an Land eingespeist wird. Die Münchner haben mit den riesigen Plattformen Hunderte Millionen Euro versenkt, die Arbeit hat zudem viel länger gedauert als geplant. Die Plattform "Helwin1" vor Helgoland geht Ende 2014 ans Netz - und damit gleich drei Offshore-Parks samt Lina, Julius, Ralf und Grace.
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Sechs Atommeiler ersetzt
Acht Parks sind vor deutschen Küsten im Bau. Schon 2018 könnte das von der Bundesregierung gesetzte Ausbauziel von 6,5 Gigawatt Offshore-Windkraftleistung erreicht werden. Vom Meer fließt dann so viel Strom Richtung Küste, wie sechs Atomkraftwerke produzieren.
Jenseits der Landesgrenzen läuft das Geschäft längst auf Hochtouren. In Großbritannien ging London Array im vergangenen Sommer in Betrieb. Siemens lieferte Turbinen für den größten Offshore-Park der Welt. Vor der Küste der Niederlande zogen die Bayern, weltweite Nummer 1 bei Offshore-Windrädern, soeben einen der dicksten Aufträge bis dato an Land: 1,5 Milliarden Euro bringt das Projekt Gemini mit 600 Megawatt. Europaweit sollen in den nächsten Jahren Offshore-Kapazitäten von fast 20 Gigawatt entstehen.
Der deutsche Industriekonzern ist finanzkräftig genug, um die hohen Risiken des Geschäfts in Wind und Wellen allein zu stemmen. Viele Wettbewerber ziehen es wegen der großen technischen Herausforderungen vor, gemeinsam zu rudern: Die dänische Vestas arbeitet mit der japanischen Mitsubishi Heavy Industries zusammen. Spaniens Gamesa hat sich mit Areva aus Frankreich verbündet, um ein Standbein im Offshore- Geschäft aufzubauen.
Doch so spektakulär die Technik der bis zu 200 Meter hohen Anlagen auf dem Meer auch ist - Turbinen an Land erzeugen Strom schon weitaus kostengünstiger. Der Bau ist besser planbar, die Windräder sind jederzeit zugänglich, die Technik ausgereift. Onshore-Windstrom ist im Schnitt halb so teuer - und kann an günstigen Standorten heute schon mit Kohlemeilern konkurrieren (siehe Investor-Info).
Im dicht besiedelten Deutschland sind die guten Windstandorte zwar schon besetzt. Doch die Nachfrage nach schwächeren Lagen ist lebhaft.
Ein Grund mehr für die Bundesregierung, die Förderung zu senken - schließlich treiben hohe Kosten aus der Ökoumlage die deutschen Strompreise. Auch die Windbranche ist von der Novelle des EEG, des Erneuerbare- Energien-Gesetzes, die ab August in Kraft treten soll, betroffen: Zwar sinkt die Einspeisevergütung für den politisch bevorzugten Offshore-Strom nur leicht. An Land werden die Sätze indes spürbar gedrosselt. Der Ausbau der Kapazitäten wird zudem auf 2,5 Gigawatt pro Jahr begrenzt - zum Vergleich: 2013 wurden in Deutschland rund 3,2 Gigawatt zugebaut. Die Erneuerung alter Anlagen ist dabei ausgenommen.
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Räder drehen sich trotz EEG
Was nach einem Dämpfer klingt, traf die Branche bislang kaum - eher im Gegenteil. Seit die Novelle steht, ist die Unsicherheit verschwunden. "Damit sind endlich klare Rahmenbedingungen in Deutschland geschaffen", sagt Christopher Rodler, Analyst bei M.M. Warburg in Hamburg. Dass sich die Konditionen noch verschlechtern, scheint überdies unwahrscheinlich. Nicht zuletzt die politischen Spannungen mit dem größten Gaslieferanten Russland haben in Berlin wieder für ein ökofreundlicheres Klima gesorgt.
Auch international stehen die Vorzeichen günstig. Der Weltverband der Windbranche, die GWEC, prognostiziert für 2014 ein Rekordjahr: Die neu installierte Windstromkapazität soll rund um den Globus um 34 Prozent anwachsen. Auch in Deutschland, dem hinter China zweitgrößten Regionalmarkt, geht es demnach kräftig voran.
Der Rückenwind ist bei Windanlagenbauern spürbar. Beispiel Nordex: Im ersten Quartal zog das Geschäft der Hamburger deutlich an. Die Norddeutschen, die 2013 nach verlustreichen Jahren den Turnaround schafften, fuhren gut 70 Prozent mehr Aufträge ein.
Chef Jürgen Zeschky liegt mit seiner Strategie offensichtlich richtig: Nordex stieg aus dem Offshore-Geschäft aus und verließ auch den chinesischen Markt, auf dem ansässige Spieler wie Goldwind zu Tiefstpreisen anbieten. Zudem hat sich Nordex erfolgreich auf Anlagen für Schwachwindstandorte spezialisiert.
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Aufwind in Südamerika
In Wachstumsmärkten wie Südafrika oder Südamerika wird kräftig investiert. Vor allem in Uruguay oder Chile sieht Zeschky gute Perspektiven. "Diese Länder haben einen ungestillten Hunger nach Energie und zahlen gutes Geld für Strom aus heimischen Kraftwerken", sagte der Vorstand soeben vor Aktionären in Rostock. Wohl aus gutem Grund: Noch im zweiten Quartal dürfte Nordex einen Auftrag in dreistelliger Millionenhöhe aus Uruguay einfahren, heißt es in der Branche. Ein Geschäft in den USA in ähnlicher Größenordnung steht wohl ebenfalls an.
Nicht nur die Hamburger sind nach Einschnitten im operativen Geschäft wieder gut unterwegs. In der Zentrale von Vestas im dänischen Randers, drei Autostunden vom Nordex- Sitz in Hamburg-Langenhorn entfernt, hat die Flaute der Windbranche noch tiefere Spuren hinterlassen. Die Dänen haben seit 2012 rund 7000 der einstmals 23 000 Mitarbeiter entlassen. Erst Ende 2013, nach insgesamt neun Verlustquartalen, gelang dem neuen Chef Anders Runevad der Turnaround.
Es sollte profitabel weiterlaufen. Von Januar bis März sanken die Verkaufspreise kaum, überraschend blieb Vestas im saisonal schwachen Jahresviertel ein Gewinn. Auch für das Gesamtjahr rechnen Analysten beim Weltmarktführer mit schwarzen Zahlen, zumal die Dänen 2013 vom Umsatzeinbruch auf dem USMarkt hart getroffen wurden. Der Grund: Die US-Behörden hatten die Förderung erst spät verlängert. Für 2014 rechnet die GWEC in den USA wieder mit kräftigem Wachstum.
Eine bessere Zukunft nach harten Jahren - darauf hofft auch Spaniens Gamesa, die im Windrausch vor der Finanzkrise dank üppiger Fördersätze ein großes Rad drehte. Kostensenkungen und die Eroberung neuer Märkte nach dem Einbruch in der Heimat führten aus der Verlustzone. Zuletzt überraschten die Spanier mit einer hohen Gewinnmarge.
Offshore-Marktführer Siemens registriert unterdessen beruhigt, dass das Geschäft nach zwischenzeitlicher Flaute wieder in Schwung kommt. Dass die Nachfrage stärker sein könnte, wenn die Technik günstiger wäre, wissen die Bayern allzu gut. "Wir arbeiten daran, die Kosten der Erzeugung bis 2020 auf gut zehn Cent je Kilowattstunde zu senken", beteuert Michael Hannibal, Chef der Offshore-Windsparte in Europa. Aus gutem Grund. Die Politik wartet schon sehnsüchtig auf billigeren Offshore-Strom. Der Rückenwind aus Berlin - er hält nicht ewig.
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