Die vergangenen zehn Jahre waren ein ständiges Hin und Her. «Die einfachen Gewinne sind gemacht», vermeldete der US-Fernsehsender CNBC Jahr für Jahr. Die Hausse ging jedoch ungebrochen weiter, schreibt dazu Julius Bär in einer aktuellen Studie. Die Kurse erklommen Schwindel erregende Höhen, und während die Marktexperten eine irrationale Euphorie konstatierten, setzten NewEconomy-Titel ihren Anstieg unbeirrt fort, heißt es weiter.

"Ich habe im Laufe dieser Jahre von vielen privaten Anlegern gehört, dass sie in der Anfangsphase nicht einsteigen wollten, vor allem, weil sie den Medienberichten zufolge die einfachen Gewinne ohnehin schon weitgehend verpasst hatten", berichtet in der Publikation Christian Gattiker, Head of Research bei dem Schweizer Kreditinstitut.

Die schmerzlichen Erfahrungen aus der «Technologieblase» um die Jahrhundertwende seien noch zu frisch gewesen und hätten viele Anleger davon abgehalten, wieder in diesem Bereich zu investieren. Zwecklos sei da der Hinweis gewesen, dass die meisten dieser neuen Marktführer des letzten Jahrzehnts 1999 noch nicht einmal kotiert und somit auch nicht Teil der vormaligen Blase gewesen seien.

Basierend auf den von ihm gemachten Erfahrungen gibt es laut Gattiger einige Fehler, die dazu beitragen, dass Anleger in der Vergangenheit Haussen an den Börsen verpasst haben. Und auch künftig dürften diese Fehler dazu führen, dass Investoren Aufwärtsbewegungen verpassen werden.

Nachfolgend berichtet BÖRSE ONLINE darüber, welche sieben Handlungen es gemäß Gattiker es zu meiden gilt, wenn man beim nächsten Bullenmarkt dabei sein will, statt ihn zu verpassen.

Fehler Nr. 1: Alles selber machen - keinesfalls delegieren



Es kann sehr hilfreich sein, einen externen Portfoliospezialisten bei der Anlage des eigenen Kapitals mit einzubeziehen, weil das für die Wertschöpfung förderlich sein kann. Wenn es um die Gesundheit geht, konsultiert man schließlich ebenfalls einen Facharzt und auch nicht unbedingt nur einen Allgemeinmediziner, sondern je nach Art der Beschwerden einen Augenarzt, einen Orthopäden oder einen Kardiologen.

Wenn es jedoch um Vermögensfragen geht, dann ziehen es die meisten Menschen vor, alles selber zu machen, weiß Gattiker aus Erfahrung zu berichten. Ob Öl, Halbleiter, China, Kupfer, Schwellenländeranleihen oder die «Nifty 50»-Titel - für die Schaltfläche «Verkaufen» in der E-Banking-App seien alle gleich.

Halte man jemand vor, der wie skizziert vorgeht, dass dieses Verhalten irrational sei im Vergleich zur üblichen Bereitschaft, Ärzte, Rechtsanwälte oder Installateure zu engagieren, dann haben diese Akteure auch folgende perfekte Antwort parat, so Gattiker. Demnach blieben Vermögensverwalter oft hinter der Benchmark zurück und verursachten nur zusätzliche Kosten.

Fehler Nr. 2: Übermäßig hohe Bargeldbestände zu halten



«Bargeld regiert die Welt» sagen laut Gattiker die JOMO-Anhänger («The Joy of Missing Out»-Prinzip (JOMO - «die Freude am Verpassen»).) gerne, denn es gebe immer einen Grund zur Vorsicht. Das sei in etwa so wie der Glaube, dass man morgens am besten gar nicht aufsteht, um sich bloß nicht den Gefahren der Welt da draußen auszusetzen.

Dabei passierten immerhin ein Viertel aller privaten Unfälle daheim. Und abgesehen davon steige auch schon bald die Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Probleme, wenn man längere Zeit im Bett bleibe, weil einem dann die körperliche Betätigung fehle.

Ebenso verhalte es sich, wenn man Bargeld zu lange hält. Die eigene Kaufkraft zerrinnt wie Sand zwischen den Fingern. Zudem verhindere man so Überschussrenditen, die sich beispielsweise im Idealfall mit einer Anlage in florierenden Finanzanlagen verdienen ließe.

Fehler Nr. 3: Den Markt time zu wollen



«Kann man noch in den Markt einsteigen?» oder «Ist das eine Ausstiegsgelegenheit?» - das sind zwei der häufigsten abschliessenden Fragen, die ihm Journalisten in den vergangenen25 Jahren in fast allen Interviews gestellt haben, verrät Gattiker.

Diese Fragen setzten aber die Annahme voraus, dass Börsen vergleichbar seien mit Kasinos: Sie gehen hin, setzen am Roulettetisch alles auf Rot und holen sich dann Ihren Gewinn ab - zumindest in 48,6% der Fälle.

Das Timing der Märkte vorherzusagen gehöre zu den besonders dünn gesäten Fähigkeiten von Finanzmanagern. Das liege vermutlich vor allem daran, dass die Märkte in der Regel nicht mehr weiter fallen, nachdem alle Verkäufer ihre Positionen abgestoßen haben, ganz gleich, wie trübe die Aussichten auch blieben.

Umgekehrt verhalte es sich bei Haussephasen, in denen sich alle Welt mit einem boomenden Titel eingedeckt habe und selbst die positivsten Meldungen keinen weiteren Preisanstieg mehr bewirken würden. Der Versuch, das Markttiming selbst abzuschätzen, sei somit ein weiteres Mittel, um die großen langfristigen Trends zu verpassen, ganz besonders, wenn man dazu noch die folgenden Regeln mit beherzige.

Fehler Nr. 4: Keine Anlagepläne aufstellen und wenn doch, diese nicht einzuhalten



Planen erzeugt Disziplin, so Gattiker, und ein Plan biete in turbulenten Zeiten eine Orientierungshilfe. Das sei auch der Grund, warum Anlageexperten auf Benchmarks setzen würden. Ein Vergleichsmaßstab erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass man sich an den Plan halte.

Dieser könne beispielsweise darin bestehen, zu 100 Prozent im S&P 500 investiert zu sein oder ein 60/40-Portfolio zu halten (das traditionell 60 Prozent in Aktien und den Rest in Anleihen investiert). Ein solcher Plan ermögliche es Anlageexperten vor allem, in unsicheren Zeiten den Kurs zu halten. Er gebe ihnen außerdem die Gelegenheit, von langfristigen Risikoprämien zu profitieren (Zahlungen, die sie für langfristige Anlagen erhalten).

Außerdem lasse sich anhand von Benchmarks die Wertschöpfung eines Anlageverwalters messen. Und ja, Anlageverwalter erzielten im Durchschnitt eine Underperformance, da sie mehr oder weniger den Gesamtmarkt darstellen würden. Das Benchmark-Resultat abzüglich durchschnittlicher Managementgebühren sei also die erwartete Rendite.

Angesichts der vorstehend dargelegten Gründe mache es Sinn, nach einem Plan zu arbeiten, um so die Aussicht auf langfristigen Anlageerfolg zu erhöhen. Aber selbst wenn es einen Plan gebe, sei oft noch immer diesbezüglich eine Hintertür offen, indem man so einen Plan letztlich einfach nicht einhält. Besonders in turbulenten Zeiten könne so eine Abweichung vom Plan aber extrem teuer werden. Es handele sich somit bei diesem Fehler um einen weiteren Baustein, um langfristigen Erfolg zu vermeiden.

Fehler Nr. 5: Immer auf weitere Beweise warten



Zu diesem Thema gibt es laut Gattiker endlose Diskussionen. Natürlich sei die Feststellung «Warum jetzt? Warten wir auf weitere Beweise» ein weiterer, äußerst hilfreicher Ansatz, um eine Haussephase zu verpassen, da die Finanzmärkte diese längst vorweggenommen haben werden, wenn die Beweise letztlich vorliegen und für tragfähig befunden wurden.

Das sei ein wenig wie beim Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel, bei dem der Igel immer schon am Ziel warte, wenn der Hase atemlos einlaufe. Das Warten auf weitere Beweise sei ein absoluter Evergreen in der JOMO-Welt.

Fehler Nr. 6: Die Gewinner verkaufen und die Verlierer halten



Wenn starke Markttrends vorliegen, begehen Anleger häufig den Fehler, Gewinner zu verkaufen und Verlierer zu halten, erklärt Gattiker. Als Beleg verweist er auf die frühen 2000er-Jahre, als sich Bergbauaktien nach einer 20-jährigen Baisse erholten. Der beste Weg, die anschließende mehrjährige Hausse zu verpassen, habe damals darin bestanden, diese Titel zu verkaufen, nachdem sie leicht zugelegt hatten, und die zur damaligen Zeit überteuerten IT-Titel weiter zu halten, die aber letztlich Monat für Monat weiter nachgaben.

Umgekehrt gilt laut Gattiker das Gleiche, wenn man in den 1980er-Jahren an Gold festgehalten und Gewinne auf den S&P 500 Index mitgenommen habe. Mit solchen Aktionen bleiben Sie garantiert auf den Ladenhütern sitzen und verpassen die Überflieger, weiß Gattiker aus Erfahrung zu berichten.

Fehler Nr. 7: Schnäppchenjagd und Averaging down - die Jagd nach den Nachzüglern



Eine weitere Ergänzung zu Fehler Nr. 6 und Fehler Nr. 7. Denn wenn man es als Anleger mit den zuvor genannten Fehler noch nicht geschafft habe, alle Verlierer im Portfolio halten, dann gelinge das ganz bestimmt, indem man die am stärksten ausverkauften Titel favorisiere. Denn so wähle man diszipliniert und konsequent diejenigen Werte aus, die nicht am großen Aufwärtstrend teilnehmen.

«Averaging down» - also bei weiter fallenden Kursen nachkaufen - sei zudem der perfekte Wirkungsverstärker, denn mit dieser Strategie könnten Anleger ihren Verlust sogar verdoppeln.

Fehler Nr. 8: Fantastische Haussephasen - so erkennt man sie



«Verstanden», sagen Anleger jetzt vielleicht nach diesen Ausführungen, «aber woher weiß ich überhaupt, dass wir uns in einer Hausse befinden?» Einige der vorstehend erläuterten Regeln seien vermutlich absolut logisch. Abgesehen davon ist es aber laut Gattiker durchaus überraschend, wie schwer eine laufende Haussephase tatsächlich zu erkennen ist. Das sei vergleichbar mit einer guten Ehe oder einem großartigen beruflichen Werdegang - Sicherheit habe man diesbezüglich vermutlich erst im Nachhinein.

Aber kann es denn wirklich so schwierig sein?, fragt Gattiker. Anders als Ehen und Karrieren könnten Haussephasen in Dollar, Euro, Franken oder Yuan gemessen werden, solange sie anhielten. Zudem könnten einfache Regeln alles entscheiden. Gattiker hat dazu seinen Leiter der technischen Analyse gefragt, worin seiner Meinung nach die einfachen Regeln bestehen, um eine aktuelle Hausse zu erkennen.

Zu dessen Person führt Gattiker aus, dass er ihn seit über 15 Jahren kenne und dieser in dieser Zeit alle wichtigen Trends an den Finanzmärkten ausgemacht habe - und zwar während sie liefen, nicht danach (im Rückblick sei das einfach).

Er sei daher etwas überrascht gewesen, dass sich der Charttechnik-Experte daraufhin erst einmal am Kopf gekratzt und eine ganze Weile gebraucht habe, bis er geantwortet habe. Letztlich habe dieser dann aber zwei einfache Regeln genannt, die wie nachfolgend lauten.

Regel A: Das goldene Kreuz



Eine Faustregel für die Unterscheidung zwischen einem langfristigen Aufwärtstrend und einem trendfreien Markt bestehe in der Betrachtung einfacher Trendsignale. Eines der bekanntesten Trendmuster sei das «goldene Kreuz» (Golden Cross).

Anhand der grafischen Darstellung des gleitenden Durchschnitts über 50 Tage gegenüber dem gleitenden Durchschnitt über 200 Tage ließen sich längerfristige Kursverlaufsmuster erkennen. Liege der gleitende Durchschnitt über 50 Tage über der Linie des gleitenden Durchschnitts über 200 Tage, war der Kurs in den letzten beiden Monaten (oder 50 Handelstagen) höher als in den letzten neun bis zehn Monaten (grob 200 Tage).

Der Schnittpunkt der beiden Linien bildet das Kreuz - es ist golden, wenn die Linie des 50-TageDurchschnitts die des längerfristigen Durchschnitts von unten nach oben kreuzt (= Beschleunigung nach oben), aber ein «Todeskreuz» (Death Cross), wenn der 50-Tage-Durchschnitt unter den langfristigen Durchschnitt fällt (= Verlangsamung).

In Tabelle 1 findet man laut Gattiker Märkte, bei denen nach ihren jüngsten goldenen Kreuzen in der ersten Oktoberhälfte 2020 die Wahrscheinlichkeit einer Hausse am größten sei. Außerdem berücksichtige die Tabelle jeweils noch die annualisierten Renditen nach dem goldenen Kreuz bzw. dem Todeskreuz.



Regel B: Realitäts-Check - 52-Wochen-Hochs



Die skizzierte Regel A möge vielen Beobachtern etwas simpel erscheinen. Eine Gegenprobe mit einer weiteren einfachen Faustregel sei daher durchaus sinnvoll: Wie lange ist es her, seit der Titel ein 52-Wochen-Hoch verzeichnet hat? Warum sollte dies wichtig sein?

Nun, nach Regel A könnte es lange dauern, bis bei den Signalen eine Trendwende eintritt, so Gattiker. Es lohne sich daher, auch kurzfristigere Signale zu berücksichtigen. Der Blick auf aktuelle 52-Wochen-Hochs möge kontraintuitiv erscheinen, da dies dafür spreche, dass ein Titel im Betrachtungszeitraum letztlich noch nicht wesentlich höher notiere.

Das klingt doch nicht nach einer Kaufgelegenheit, oder? Sicher, aber genau darum geht es laut Gattiker: Anleger in langfristigen Haussephasen seien zu diesem Zeitpunkt bereits investiert. Eine Hausse sei eine Abfolge neuer Kurshochs. Halte sie also unvermindert an, werde es weitere neue Höchststände geben. Habe ein Titel keine neuen 52-Wochen-Hochs erreicht, sollte man die Haussetheorie überdenken.

In Tabelle 2 sind verschiedene Titel und deren 52-Wochen-Hochs in diesem Herbst sowie die Performancestatistik nach dem letzten 52-Wochen-Hoch zu sehen, bis vor maximal 20 Wochen. Daraus sei ersichtlich, dass positive künftige Renditen umso weniger wahrscheinlich werden, je länger das letzte Kurshoch zurückliege. Auch das sei kontraintuitiv, zeige jedoch, dass starke Trends in der Regel Bestand haben.

Angesichts der jüngsten Werte vom Herbst 2020 (Regeln A und B zusammengenommen) dürfe man davon ausgehen, dass sich globale Aktien, US-Large-Caps, die Nasdaq und Gold aktuell in einer Hausse befinden. Nun liege es an jedem Anleger selbst, die Fehler Nr. 1 bis 7 zu vermeiden, um Nutzen aus diesen Trends zu ziehen.