Wie weit der Pessimismus der Anleger die Kurse noch nach unten treibt, kann niemand mit Sicherheit sagen - aber, dass wir im Bereich des Irrationalen angekommen sind, ist sicher. Für die VW-Aktie zahlt man rund die Hälfte dessen, was als Eigenkapital in der Bilanz als Buchwert übrig bleibt, wenn man vom Wert der Fabriken und sonstigen Aktiva die Schulden abzieht. Traut man dem Wolfsburger Rechenwerk, dann wird einem an der Börse bei der VW-Aktie ein Euro für etwa 50 Cent angeboten. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt bei 0,5. Ganz ähnlich bei Porsche und BMW: Auch hier gibt’s den Euro für 50 bis 60 Cent.
Und es wird noch verrückter: Man könnte den Euro für 50 bis 60 Cent kaufen und bekäme die 50 bis 60 Cent sogar noch zurückgezahlt. Deutsche Autoaktien werden derzeit mit dem vier- bis sechsfachen Jahresgewinn 2022 gehandelt. Heißt übersetzt: Wer heute genug Geld hätte, um VW, BMW oder Porsche in Gänze zu kaufen und von der Börse zu nehmen, der bekäme in vier bis sechs Jahren bei konstanter Ertragslage allein aus den Gewinnen seinen Einsatz zurückgezahlt - und der Konzern gehörte ihm obendrauf. Dass fast alle Analysten statt konstanter steigende Gewinne erwarten, macht die Bewertung noch irrationaler.
Anderes Thema: Am vergangenen Mittwoch traf sich die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) überraschend zu einer außerordentlichen Sitzung. Thema des Tages: Die Renditen der überschuldeten Südländer, allen voran der Italiener, gehen durch die Decke und deren Anleihen stürzen an der Börse ab. Eine neue Eurokrise bahnt sich an.
Die Notenbanker beschlossen deshalb, bei Bedarf mehr bonitätsschwache Italien-Bonds statt bonitätsstarker Bundesanleihen zu kaufen. Damit dadurch die Geldmenge nicht weiter steigt, haben sie sich folgenden Mechanismus überlegt: Wenn künftig Finanzminister Christian Lindner eine im Besitz der EZB befindliche Bundesanleihe zurückzahlt, wird die EZB für das Geld bei Bedarf eine italienische Staatsanleihe kaufen. Die Folge: Ceteris paribus steigen die Zinsen in Deutschland und sinken in Italien. Für Deutschland wird die Staatsverschuldung teurer und für Italien billiger - ein tolles Geschäft für den deutschen Steuerzahler.
Bleibt die Frage: Sind die Italiener so arm, dass die Bundesbürger für sie zahlen müssen? Rund 35 310 Euro besaß der mittlere Deutsche laut einer Erhebung der Bundesbank im Jahr 2020, 91 889 Euro der mittlere Italiener. 51,4 Prozent der Deutschen leben im eigenen Haus, 72,4 Prozent der Italiener. Italiener können sich mit 60 aus dem Arbeitsleben zurückziehen und bekommen 93,2 Prozent des letzten Nettoeinkommens als Rente. In Deutschland liegt das Rentenniveau bei 48,1 Prozent und das Renteneintrittsalter bei 67. Vielleicht könnte man die Bonität des italienischen Staates ja auch anders verbessern.
Ihr Frank Pöpsel