Der Zahlungsabwickler steht wegen angeblicher Bilanzmanipulation und desaströser Kommunikation immer stärker unter Beschuss. Fondsgesellschaften wie Union Investment und Deka fordern inzwischen offen den Rücktritt von Vorstandschef Markus Braun. Zwar hatte Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann zuletzt einen Vorstandsumbau eingeleitet und Brauns Einfluss beschnitten. Doch Braun selbst - der Unternehmensgründer und Großaktionär - ist für Eichelmann sakrosankt.
Gleichzeitig bekommt der Zahlungsabwickler immer mehr Druck von außen: Die Finanzaufsicht Bafin führt Ermittlungen gegen das Aschheimer Unternehmen wegen einer ganzen Reihe von angeblichen Verstößen. Und am Mittwoch kündigte die Rechstanwaltskanzlei Tilp ein Musterverfahren gegen Wirecard an - damit hat die Firma nun erstmals auch den ersten deutschen Rechsstreit mit Anlegern am Hals. Tilp verlangt Schadensersatz wegen Fehlinformation des Kapitalmarkts zwischen 2016 und 2020. Durch das Kommunikationsdesaster seien Börsenwerte in Milliardenhöhe vernichtet worden. Die Vorgänge um die KPMG-Sonderprüfung hätten das Fass am Ende zum Überlaufen gebracht, ließen die Tilp-Anwälte durchblicken.
Dass sich inzwischen auch der britische Hedgefonds TCI mit Leerverkaufspositionen gegen Wirecard positioniert hat, sollte nicht unterschätzt werden. TCI-Manager Christopher Hohn war es vor Jahren gelungen, den damaligen Vorstandschef der Deutschen Börse, Werner Seifert, aus einer ähnlichen Position heraus aus dem Amt zu jagen. TCI ist also ebenfalls brandgefährlich für Braun. Die Nettoleerverkaufspositionen der gegen den Konzern wettenden Hedgefonds summieren sich derzeit auf über zehn Prozent des Grundkapitals.
Einflussreiche Großaktionäre unterstützen den Wirecard-Chef
Allerdings sollten sich die Braun-Gegner nicht zu siegessicher sein. Denn der Gründer, Großaktionär und Unternehmensschef kann auf einflussreiche Großaktionäre setzen. So hat die US-Bank Goldman Sachs ihren Stimmrechtsanteil erst vergangene Woche von 14 auf 16 Prozent ausgebaut. Zusammen mit den US-Banken Morgan Stanley, Citigroup und der französischen Großbank Societe Generale kontrollieren die Braun-freundlichen Institute fast 40 Prozent der Stimmrechte. Braun selbst hält über sieben Prozent.
Einschätzung der Redaktion:
Der entscheidende Kampf um die künftige Richtung bei Wirecard hat längst begonnen, im Aktionärskreis haben sich die Gegner positioniert. Dabei geht es nicht nur darum, ob es gelingt, dem Unternehmen jene Transparenz und Kommunikationskultur einzutrichtern, die einem DAX-Konzern angemessen ist. Im Kern geht es auch darum, ob das alles mit oder gegen den Unternehmensgründer und -lenker Markus Braun laufen soll, und ob Wirecard ohne Braun überhaupt funktioniert. Die Aktie hat seit den Turbulenzen um den KPMG-Bericht massiv an Wert verloren und könnte für diejenigen, die immer noch an das Geschäftsmodell glauben, günstig erschienen. Doch ein Investment lohnt sich wenn überhaupt wohl erst wieder, wenn im Unternehmen die Machtfrage geklärt ist.