Der Zahlungsabwickler Wirecard steht im Verdacht der Bilanzmanipulation - und hat nun ein weiteres Mal die Vorlage der 2019er-Bilanz verschoben. Verlegt wird auch die Hauptversammlung, vom 2. Juli auf den 26. August. Das sorgt für neuen Ärger unter den Aktionären. Auch wenn Analysten der Firma aus Aschheim bei München immer noch die Treue halten und die Aktie "extrem unterbewertet" sehen, wie beispielsweise Knut Woller von der Baader Bank.
Daniela Bergdolt, die Vizepräsidentin der Aktionärsvereinigung DSW, kann dagegen nur noch den Kopf schütteln: "Die Verschiebung der Zahlen spricht klar gegen die Argumentation der Wirecard-Führung, dass sich das Unternehmen mit der externen Sonderprüfung der KPMG von allen Vorwürfen reingewaschen habe", sagt sie.
Im Herbst hatte der Aufsichtsrat bei den Wirtschaftsprüfern von KPMG dieses externe Sondergutachten in Auftrag gegeben, um Vorwürfe aufzuklären, die insbesondere in der britischen "Financial Times" mehrfach erhoben worden waren. Wirecard selbst sieht sich als Opfer von Kursmanipulationen und von Leerverkäufern, die von starken Kursschwankungen profitieren. Doch der Ende April veröffentlichte KPMG-Prüfbericht ließ Fragen offen und enttäuschte die Anleger. Die Aktie stürzte erneut ab.
Zwar hatte der neue Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann zuletzt auch einen Umbau des Vorstands eingeleitet und versucht, den Einfluss von Gründer und Hauptaktionär Markus Braun zu beschränken. Doch vom angekündigten neuen Chief Operating Officer (COO) ist weit und breit nichts zu sehen.
Gleichzeitig bekommt der Zahlungsabwickler aus Aschheim bei München auch immer mehr Druck von außen. Fondsgesellschaften wie Union Investment und Deka fordern inzwischen offen den Rücktritt von Braun. Die Finanzaufsicht Bafin ermittelt gegen das Unternehmen wegen einer ganzen Reihe von angeblichen Verstößen. Zudem hat die Anwaltskanzlei Tilp den DAX-Konzern verklagt. Sie verlangt Schadenersatz wegen Fehlinformation des Kapitalmarkts zwischen 2016 und 2020. Durch das Kommunikationsdesaster seien Börsenwerte in Milliardenhöhe vernichtet worden. Die Verzögerung der KPMG-Prüfung und der anschließende Kurssturz hätten das Fass zum Überlaufen gebracht, sagt Rechtsanwalt Maximilian Weiss (siehe Interview unten).
DAX-Schreck im Anmarsch
Inzwischen hat auch der britische Hedgefonds TCI Strafanzeige gegen das Wirecard-Management gestellt - ebenfalls wegen des KPMG-Prüfberichts, der Hinweise auf strafrechtliche Tatbestände enthalte. TCI ist zwar nicht direkt an Wirecard beteiligt, hält aber Leerverkaufspositionen von 1,5 Prozent und wettet somit auf einen Kursverfall. TCI-Gründer Christopher Hohn hat ebenfalls den Rücktritt von Markus Braun gefordert. Das sorgte hierzulande für Aufsehen, denn der in Großbritannien zuletzt als Klimaschützer in Erscheinung getretene Manager und Philanthrop hatte 2005 bei der Deutschen Börse eine Aktionärsrevolte angezettelt. Der damalige Deutsche-Börse-Chef Werner Seifert hatte die Attacke völlig unterschätzt, am Ende kostete sie ihn den Job.
Machtkampf voll im Gang
Auch Wirecard-Chef Braun wähnt sich weiterhin fest im Sattel. Er hält nicht nur sieben Prozent der Anteile, sondern kann auf einflussreiche Großaktionäre setzen. So hat die US-Bank Goldman Sachs ihren Stimmrechtsanteil erst kürzlich von 14 auf 16 Prozent ausgebaut. Zusammen mit den US-Banken Morgan Stanley, Citigroup und der französischen Société Générale kontrollieren die Braun-freundlichen Institute fast 40 Prozent der Stimmrechte.
Der entscheidende Kampf um die künftige Richtung bei Wirecard hat also längst begonnen. Dabei geht es nicht nur darum, ob es gelingt, dem Unternehmen Transparenz und eine Kommunikation zu geben, die einem DAX-Konzern angemessen ist. Im Kern geht es auch darum, ob das alles mit oder gegen den Unternehmensgründer und Vorstandschef Braun laufen soll und ob das Unternehmen Wirecard ohne ihn überhaupt funktioniert.
"Es heißt ja immer, Wirecard sei das Baby von Herrn Braun", sagt DSW-Vizechefin Bergdolt. "Man sollte sich aber nie für unersetzbar in einem Unternehmen halten. Denn das ist der erste Schritt in den Abgrund."
INVESTOR-INFO
Wirecard
Achterbahn für Aktionäre
Mit exorbitanten Kursschwankungen von teilweise 26 Prozent an einem Tag hat Wirecard im Leitindex DAX neue Maßstäbe gesetzt. Zuletzt sorgte ein KPMG-Prüfbericht Ende April für einen Einbruch von 140 auf unter 80 Euro. Manche Analysten halten die Aktie derzeit für extrem günstig. Doch solange es bei dem Zahlungsabwickler an jeder Ecke an Transparenz fehlt und keine vollständigen, testierten Abschlüsse vorliegen, sollten fundamental orientierte Anleger die Aktie meiden.
Empfehlung: Verkaufen
Kursziel: - Euro
Stoppkurs: - Euro
"Geschickt verschleiert"
Bilanzskandal » Die Kanzlei Tilp hat Wirecard auf Schadenersatz verklagt. Maximilian Weiss knöpft sich jetzt die Wirtschaftsprüfer vor.
€uro am Sonntag: Wirecard hat seine für 4. Juni geplante Bilanzvorlage auf 18. Juni verschoben - nun zum dritten Mal. Wundert Sie das Fortsetzungsdrama?
Maximilian Weiss: Wirklich überrascht bin ich nicht. Wenn bei Wirecard auf eines Verlass ist, dann sind es ja die ständigen Verzögerungen.
Rechnen Sie mit neuen Ungereimtheiten?
Die KPMG-Prüfer sind in ihrem externen Gutachten neben diversen anderen Aspekten ja zu dem Schluss gekommen, dass die Bilanzierung des Unternehmens in wesentlichen Punkten womöglich nicht korrekt ist. Ich erwarte nun, dass die Wirecard-Prüfer von EY den Abschluss genau prüfen werden, gerade auch, um nicht als willfähriger Steigbügelhalter durchzugehen und am Ende auch noch selbst zu haften. Denn ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir demnächst noch einen weitaus größeren Bilanzierungsskandal sehen werden.
Was sind Wirtschaftsprüfer wie EY wert, wenn sie erst nach einem externen Sondergutachten zu einer genauen Prüfung des Abschlusses kommen?
Selbst die besten Prüfer können nicht zwangsläufig jeden Fehler in der Bilanz finden, insbesondere dann, wenn die Fehler vom Unternehmen geschickt verschleiert werden. Beim Bilanzskandal um die Möbelfirma Steinhoff vor zweieinhalb Jahren kann man sich allerdings schon fragen, warum die Manipulation nicht früher aufgedeckt worden ist. Aber die Vorgänge um Steinhoff und Wirecard zeigen erneut, dass auch Wirtschaftsprüfer genauer hinsehen sollten, als sie es wohl in diesen Fällen getan haben. Und sie müssen dies aus meiner Sicht umso mehr, wenn sich bereits vorher entsprechende Anhaltspunkte ergeben. Das ist bei Wirecard sicherlich der Fall.
Sie haben Mitte Mai die erste Schaden- ersatzklage in Deutschland gegen Wirecard eingereicht. Auf welchem Stand ist das Verfahren jetzt?
Die jetzige Klage ist nur der Auftakt, und wir werden noch weitere Klagen einreichen, sollte sich Wirecard nicht vergleichsbereit erklären. Über 1100 Privatanleger haben sich bei uns für das Musterverfahren gemeldet. Auch für institutionelle Investoren berechnen wir bereits deren Schäden.
Welche Schadenersatzforderung könnte sich aus dieser Klage ergeben?
Das hängt davon ab, wie viele Investoren sich dem Musterverfahren anschließen. Ich halte eine Gesamtforderung in Höhe von einer Milliarde Euro für realistisch.