BÖRSE ONLINE: Am kommenden Montag befasst sich der Finanzausschuss des Bundestags erneut mit dem Wirecard-Skandal. Es geht vor allem darum, ob ein Untersuchungssauschuss eingesetzt werden soll, der die Affäre vertieft aufklärt. Was erwarten Sie als Ausschussmitglied von der Sondersitzung?
Danyal Bayaz: Einige der Berichte, die uns in der Geheimschutzstelle des Bundestages vorliegen, zeigen, dass eine nähere Aufarbeitung wichtig ist, um Fehler im System abzustellen. Das schulden wir auch den vielen Anlegern. Von der Sondersitzung erhoffen wir uns neue Erkenntnisse, insbesondere aus dem Bundeskanzleramt über das Lobbying für Wirecard und von der bayerischen Landesregierung, die bei der Geldwäschekontrolle und -prävention eine zentrale Rolle spielt.
Während FDP und Linke einen Untersuchungsausschuss längst fordern, haben sich die Grünen hier bislang zurückgehalten. Werden Sie einen Untersuchungsausschuss mittragen?
Wir werden das im Lichte aller Erkenntnisse nach der Sondersitzung entscheiden. Wenn sich der Eindruck nicht verändert, dass uns wichtige Informationen und Dokumente vorenthalten oder nur widerwillig bereitgestellt werden, sehe ich keine Alternative zu einem Untersuchungsausschuss. Dafür braucht es aber einen klar umrissenen Auftrag. Auch dazu ist die anstehende Sondersitzung hilfreich, da wir die Rolle des Bundeskanzleramts, des Justizministeriums, aber auch der bayerischen Landesregierung und der Deutschen Börse noch nicht vollständig durchdrungen haben.
Sehen Sie eine Gefahr, dass die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals im Sand verläuft?
Die Gefahr gibt es immer, dass nach einer Welle der öffentlichen Aufmerksamkeit ein Thema wieder in der Nische verschwindet. Ich hoffe, dass es hier nicht so kommt. Auch Wahlen oder Kanzlerkandidaturen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass der Schaden für den Finanzplatz Deutschland und die Aktienkultur gigantisch ist. Daher sehe ich aber auch eine Chance, wenn wir die richtigen Lehren aus diesem Skandal ziehen, um verspieltes Vertrauen in den Finanzplatz und die involvierten Institutionen zurückzugewinnen. Das übergeordnete und auch parteiübergreifende Ziel der Aufklärung muss es sein, die Aufsicht und Kontrolle so aufzustellen, dass ein solcher Skandal und Schaden verhindert wird.
Wer hätte den Wirecard-Betrug eher aufspüren müssen: Die Wirtschaftsprüfer oder die Finanzaufsicht Bafin?
Das lässt sich abschließend noch nicht sagen. Es deutet vieles darauf hin, dass wir es mit einem System der kollektiven Unverantwortlichkeit zu tun haben. Die Finanzaufsicht und die Wirtschaftsprüfer spielen hier sicherlich eine zentrale Rolle. Außerdem liegt die politische Verantwortung beim zuständigen Finanzminister. Olaf Scholz hat sicherlich nicht mutwillig falsch gehandelt, aber möglicherweise fahrlässig, wenn er trotz Hinweisen nicht veranlasst hat, dass man die Sache genauer unter die Lupe nimmt.
Halten Sie personelle Konsequenzen für erforderlich?
Das werden die nächsten Wochen zeigen. Noch ist es für eine abschließende Antwort zu früh. Allerdings kann ich mir angesichts bisheriger Erkenntnisse nicht vorstellen, dass die dringend notwendige Neuaufstellung der Finanzaufsicht ohne eine personelle Neuaufstellung funktionieren wird.
Wie sollte die Finanzaufsicht künftig ausgerichtet werden?
In Bezug auf die Aufsicht über digitale Finanzdienstleister wie Wirecard muss klar sein, dass sie der Finanzaufsicht unterliegen. Das ist eine Frage der Einstufung eines Unternehmens. Es darf nicht wieder vorkommen, dass sich geldwäscherechtlich niemand für die Aufsicht eines DAX-Konzerns zuständig fühlt. Dazu braucht es klare Zuständigkeiten und Kompetenzen für Aufsicht und Überwachung jedes Unternehmens. Es ist aber zu kurz gedacht, dass wir nur über Kompetenzen und Zuständigkeiten reden. Wir brauchen auch eine Kulturveränderung, also nicht nur Juristen in der Aufsicht, sondern auch Leute mit digitaler Expertise, Informatik-Skills und auch kriminalistischer Denkweise. Diese Experten können bei Verdachtsmomenten aktiv werden, um auch in Graubereichen jeden Stein umzudrehen und den Anforderungen eines digitalen Finanzplatzes gerecht zu werden.
Sollten auch die Anforderungen für Wirtschaftsprüfer angepasst werden?
Ja, auch im Bereich der Bilanzprüfung muss es Anpassungen geben. Anlegern ist ein Milliardenschaden entstanden, weil sie sich unter anderem auf die Testate der Wirtschaftsprüfer von EY verlassen haben. Die bestehende Haftungsgrenze von vier Millionen Euro für die Wirtschaftsprüfer deckt diese Verantwortung schlicht nicht ab und wirkt fast lächerlich im Vergleich zum entstandenen Schaden.
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