Kein Zweifel: Die Rally, die sämtliche Risikoaktiva seit Weihnachten 2018 hingelegt haben, ist beeindruckend. Dennoch: Die Risiken, die im Schlussquartal des letzten Jahres die Märkte beherrschten, sind nicht über Nacht verschwunden.

Das Risiko Nummer 1 bleibt die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums oder gar eine Rezession. In Europa steigt dieses Risiko eher, als dass es abnimmt. Italien befindet sich bereits in einer Rezession, Deutschland ist sie im zweiten Halbjahr 2018 nur knapp erspart geblieben. Das Eis wird dünner - in den USA sehen wir die Wahrscheinlichkeit einer Rezession 2019 bei 20 Prozent, in Europa jedoch schon bei 35 Prozent.

Auf der Habenseite ist festzuhalten, dass China mit fiskalischen und geld­politischen Maßnahmen enorme Anstrengungen unternimmt, das eigene Wachstum in Schwung zu halten. Zudem hat die US-Notenbank mit ihrem geldpolitischen Schwenk Unternehmen und Märkten die Sorge genommen, sie könnte mit ihren Bremsmanövern überziehen und die Konjunktur abwürgen. Allerdings: Würde die sich jetzt abzeichnende Verlangsamung des Wachstums tatsächlich in eine Rezession übergehen, wären die Märkte nicht auf diesen Schock vorbereitet, da weder die Stimmung der Anleger noch die Vermögenspreise dieses Risiko angemessen ­widerspiegeln. Insofern ist es durchaus berechtigt, dass die Auguren ihren Fokus auf das Wirtschaftswachstum und die Fähigkeit der Unternehmen legen, ihre Gewinne weiter zu steigern.

Das Risiko, über das mindestens genauso viel gesprochen wird, sind die Handelsspannungen zwischen den USA und China. Wir sind in dieser Beziehung allerdings weniger besorgt, vor allem weil wir denken, dass der Markt dieses Risiko (zumindest teilweise) eingepreist hat. Zudem haben die Unternehmen bereits damit begonnen, ihre Produktion anzupassen, Bestände aufzubauen und neue Lieferketten zu entwickeln. Was die Wirtschaft definitiv weiter bremsen wird, ist die Hängepartie des Brexit. Er hängt wie ein Damoklesschwert über Investitionsentscheidungen, dem britischen Pfund und der Stimmung der Verbraucher.

Dies schlägt sich auch an der Börse nieder. Anleger ziehen sich aus britischen Papieren zurück, die Bewertungen britischer Aktien sind im Vergleich zu europäischen Papieren gesunken. In einer globalen Umfrage unter Fonds­managern erweist sich Großbritannien als die meistgemiedene Region. Viele Fondsmanager und Anleger ignorieren den Markt inzwischen komplett. Insofern ist vieles eingepreist - nur vielleicht noch nicht das Worst-Case-Szenario, dass Großbritannien die EU ohne jede Regelung verlässt. Ein solcher "No ­Deal"-Brexit, der mit Boris Johnson als nächstem Premierminister deutlich wahrscheinlicher wird, würde auch an den kontinentaleuropäischen Märkten nicht spurlos vorübergehen.

Das Gezänk in der US-Politik führt zu Stillstand


Soweit zu den Risiken, die offen zutage liegen - vor allem für europäische Investoren. Es gibt aber auch solche, die die Märkte bislang weniger im Blick haben. Und die liegen vor allem in der US-amerikanischen Politik begründet.Wir halten den politischen Dauerstreit in den USA für ein wirtschaftliches Risiko. Sicher: Es hat immer wieder parteipolitisches Gezänk um die Schuldenobergrenze gegeben, und die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen des bisher letzten Shutdowns im Zuge des Haushaltsstreits waren bescheiden. Aber mit 35 Tagen war er der längste in der Geschichte, und die Trump’sche Antwort, den Notstand zu erklären, zeugt nicht von einem wirklichen Frieden in Sachen Haushalt.

Und die nächste Schuldenobergrenze rückt näher. Wie beim Brexit könnte es auch hier angesichts der schlechten Erfahrungen des Januars zu einem "politischen Unfall" kommen. Die Erhöhung der Schuldenobergrenze ist unter der Trump-Regierung und mit dem von den Demokraten dominierten Repräsen­tantenhaus jedenfalls kein Non-Event mehr. Ist das Risiko gering? Ja, vielleicht fünf bis zehn Prozent - aber nicht null. Hinzu kommt, dass mit jeder Erhöhung der Schuldenobergrenze auch eine ­Herabstufung der Bonität möglich wird. Und dagegen wären die Märkte wahrscheinlich nicht immun.

Ähnlich sieht die Sache aus, wenn es den Demokraten 2020 gelänge, einen sauberen Schnitt zu machen und Trump abzulösen. Dann kämen von der politischen Seite neue Unwägbarkeiten auf die Märkte zu. Zwar würde ein Risiko - der Unsicherheitsfaktor Trump - entfallen. Aber der Effekt, wenn beispielsweise die Steuersenkungen zurückgenommen werden sollten, wäre stärker und würde US-Aktien am stärksten treffen. Bis zur Wahl im nächsten Jahr sehen wir den Schlagabtausch zwischen den Demokraten und der Trump-Ad­ministration als volatile Ablenkung, aber nicht als Impuls für eine Baisse, der wir derzeit nur eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent einräumen.

Regierungen bedrohen den Wert von Daten


Ein letztes Risiko sehen wir in zunehmender Regulierung von Datensicherheit und -vertraulichkeit. 2019 könnte sich als das Jahr erweisen, in dem die Regierungen ernsthaft beginnen, die Verwendung personenbezogener Daten einzuschränken. Wenn nach der Allgemeinen Datenschutzverordnung der EU (DSGVO) auch der US-Kongress Unter­suchungen einleiten würde, zeigt dies, dass das Thema nicht wieder weggeht. So wichtig der Persönlichkeitsschutz ist - der wirtschaftliche Impact von Big Data beruht nun einmal auf der Monetarisierung dieser Daten; sei es durch den Verkauf personenbezogener Daten oder durch die Verwendung für die Feinsteuerung von Werbegeldern. Das zeigt - völlig wertfrei - das Spannungsfeld: Zunehmende staatliche Kontrolle kann es für Unternehmen in Zukunft schwieriger machen, von diesen Daten zu profitieren.

Sicher wird im politischen Prozess ein Interessenausgleich gesucht werden. Dennoch sehen wir eine Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent, dass die Regulierungsbehörden den Big-Data-Hype tatsächlich abwürgen. Die Auswirkungen wären erheblich. Schon die großen Techfirmen wie Facebook, Amazon, Google und Konsorten stehen für etwa 20 Prozent der Marktkapitalisierung in den großen Indizes. Damit nicht genug: Datenschutzfragen gehen - in unterschiedlichem Ausmaß - fast alle Unternehmen an. Das Risiko, dass der Wert von Daten abnimmt, wird weithin unterschätzt.

Kurzvita

David Lafferty
Chefstratege von Natixis Investment Managers
Laffertys Team bei Natixis ist verantwortlich für die Einschätzung von Trends am Kapitalmarkt und die Entwicklung innovativer Produkte. Er arbeitet seit 2004 bei der Investmentbank der französischen Sparkassen und Genossenschafts­banken. Zuvor war ­Lafferty bei State Street und MetLife.