Der "Small-Cap-Effekt", also die Vorstellung, dass kleine Aktienwerte tendenziell über die Jahre besser abschneiden als große, ist in Anlegerkreisen eine Binsenweisheit. Aber trifft er auf mittelgroße europäische Aktien, Mid Caps genannt, auch wirklich zu? Tatsächlich sind die Gewinne von Nebenwerten in den vergangenen 17 Jahren, in denen es die verschiedensten Konjunkturlagen gab, weitgehend parallel zu denen von Large Caps gewachsen. Zugleich war dieses Gewinnwachstum deutlich stärkeren Schwankungen unterworfen als bei großen Aktiengesellschaften. Wir meinen daher, dass sich Anleger bei der Verwaltung eines Mid-Cap-Portfolios nicht allein auf den Small-Cap-Effekt verlassen und wahllos in Aktien eines Mid-Cap-Index investieren sollten.

Gewinnschwankungen, massive Kursverluste wie zuletzt wegen der Corona-Pandemie sowie eine sehr hohe Streuung zwischen dem höchsten und niedrigsten Performance-Dezil sind gute Gründe für eine sehr selektive Titelauswahl bei europäischen Nebenwerten. Besser abschneiden und zugleich die starken Schwankungen der Anlageklasse reduzieren - darauf kommt es bei Anlagen in mittelgroße Aktienwerte an.

Anders, als der Small-Cap-Effekt suggerieren mag, generieren europäische Nebenwerte über einen längeren Zeitraum betrachtet nicht immer ein höheres Gewinnwachstum als Standardwerte. In den vergangenen 17 Jahren belief sich zum Beispiel das durchschnittliche Gewinnwachstum (CAGR) im MSCI Europe Mid Cap Index auf jährlich 6,2 Prozent, während es beim MSCI Europe Large Cap Index 5,3 Prozent waren.

Gesundheits- oder IT-Aktien im Index nicht stark vertreten

In dieser Zeit mussten Anleger mit allen erdenklichen Konjunkturlagen zurechtkommen. Neben dem "Superzyklus" mit überschäumendem Wachstum von 2003 bis 2007 erlebten sie in den Jahren 2008 bis 2010 eine von der Finanzkrise ausgelöste Rezession. Es folgten Phasen zwischen 2011 und 2015 mit Niedrigwachstum und mit Konjunkturabschwung in den Schwellenländern sowie eine schleppende Erholung von 2016 bis 2019. Und nun die Corona-Krise, deren Ende noch nicht absehbar ist.

Auch wenn viele Wissenschaftler argumentieren, dass Aktien kleinerer Unternehmen tendenziell besser abschneiden: Die Daten der letzten 17 Jahre für europäische Mid Caps stützen diese These nicht. Europäische Nebenwerte haben ihre größeren Wettbewerber keineswegs um Längen geschlagen. Es kommt eben sehr stark auf den Betrachtungszeitraum an. Dafür waren ihre Gewinne deutlich volatiler, wofür es diverse Gründe gibt. Seit Anfang der 2000er-Jahre sind die Branchen Industrie, Finanzen und Rohstoffe im MSCI Europe Mid Cap Index stark vertreten im Gegensatz zu Gesundheits-, nicht zyklischen Konsumgüter- und IT-Aktien. Anders als Large Caps sind die Unternehmen aus der zweiten Reihe dem Auf und Ab des Konjunkturzyklus stärker ausgesetzt. Das verstärkt tendenziell die Volatilität von Mid Caps, die sich oft in der frühen Phase ihrer strategischen Entwicklung befinden, was bei den stabileren Large Caps nicht der Fall ist.

Unternehmen mit mittlerer Börsenkapitalisierung können zwar wegen ihrer hohen Konjunkturempfindlichkeit und geringen Größe überproportional von einem Konjunkturaufschwung profitieren. Andererseits droht manchen in Zeiten wie der Rezession 2008 oder der aktuellen Pandemie die Pleite oder sie geraten leicht in finanzielle Schieflage.

Zu den stärker schwankenden Gewinnen der Nebenwerte passt auch ihre im Allgemeinen volatilere Kursentwicklung. Verstärkt wird Letztere noch durch die geringere Liquidität, die sich indes als Vorteil erweist, wenn Mid Caps bei Anlegern hoch im Kurs stehen. Bei einem Ausverkauf an den Märkten verkehrt sich dieser Vorteil wegen der massiven Drawdowns allerdings in einen erheblichen Nachteil. So auch während der globalen Finanzkrise und der noch anhaltenden Corona-Pandemie.

Volatile Gewinne und Kurse sowie das über längere Zeiträume Fehlen eines ausgeprägten Small-Cap-Effekts sprechen dafür, bei der Auswahl von Titeln für europäische Mid-Cap-Portfolios sehr wählerisch zu sein. Die schwankende Performance des MSCI Europe Mid Cap Index bedeutet indes nicht, dass es in ihm nicht auch Unternehmen mit kontinuierlichem und dynamischem Wachstum gibt. Es gilt, bei der Anlage in Nebenwerte zwei Faktoren im Auge zu behalten: ihr Potenzial für eine Outperformance gegenüber der Benchmark, gestützt auf die hohe Renditestreuung bei Mid-Cap-Aktien, und die Notwendigkeit, ihre starke Volatilität zu reduzieren.

Anders als ihre großen Wettbewerber werden Unternehmen aus der zweiten Reihe von weniger Analysten beobachtet, sodass sie in Anlegerkreisen insgesamt weniger Beachtung finden. Zum Mid-Cap-Markt gibt es daher möglicherweise nicht so detaillierte Informationen wie zum Large-Cap-Markt.

Nebenwerte haben eine höhere Volatilität als Large Caps

Fügt man all diese Puzzleteile zusammen, spricht für eine Anlage in Mid Caps aus unserer Sicht vor allem ihr hohes Alpha-Potenzial, das heißt eine bessere Wertentwicklung gegenüber einer Benchmark bei zugleich niedrigem Beta, das die hohe Volatilität der Anlageklasse im Vergleich zu Large Caps verringert. Mid-Cap-Anleger sollten deshalb bestrebt sein, die Rendite je Marktrisikoeinheit zu optimieren.

Würden Anleger einfach die im MSCI Europe Mid Cap Index enthaltenen Aktien kaufen, wäre das Ergebnis ein volatiles Investment mit höherer Konjunkturabhängigkeit, geringerer Liquidität und höheren Geschäftsmodellrisiken als bei Standardwerten. Anleger werden über einen Konjunkturzyklus betrachtet aber nicht immer mit einer höheren Rendite für die mit Nebenwerten verbundenen Risiken mit einem solchen passiven Investment belohnt.

Das abrupte Ende des zehnjährigen Bullenmarkts während der Covid-19-Krise zeigt einmal mehr, wie entscheidend die Titelauswahl ist, um Kursverluste zu begrenzen. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt zwar keine Rückschlüsse auf die künftige Performance zu. Aber unser Mid-Cap-Portfolio zum Beispiel weist während der Finanzkrise 2008 und im Verlauf der aktuellen Pandemie erheblich geringere Verluste vom Höchst- zum darauffolgenden Tiefststand auf und lässt seinen Vergleichsindex, den MSCI Europe Mid Cap Index, durch eine andere Wahl der Aktien sowie Gewichtungen hinter sich. Über die vergangenen zehn Jahre betrachtet, summiert sich die jährliche Outperformance des Fonds nach Gebühren auf 9,9 Prozentpunkte.

Wolfgang Fickus

 


Mitglied des Investmentkomitees bei Comgest

Fickus studierte an der Universität in Köln sowie der London Business School. Seine Karriere begann er 1995 bei Paribas Asset Management im Fondsmanagement für europäische Aktien. Anschließend leitete er unter anderem das Mid- und Small-Cap-Research bei der West LB. 2012 kam Fickus zu Comgest.

Comgest ist ein unabhängiger, internationaler Assetmanager mit Hauptsitz in Paris.