Yellen löste mit ihren Äußerungen zunächst einen weiteren Rekord beim US-Aktienindex S&P 500 aus, der die Werte der größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen umfasst. "Ich denke, diese Hausse ist noch nicht zu Ende", meint Steven Einhorn vom Hedgefonds Omega Advisors. Dieses Jahr seien noch Kurssteigerungen von drei bis fünf Prozent möglich. Selbst wenn die Märkte nicht mehr weiter steigen sollten, könnte die Wall Street Ende 2015 auf die besten drei Börsenjahre seit Ende des vorigen Jahrhundert zurückblicken. "Wir glauben weiter daran, dass wir mitten in einem der größten Bullenmärkte unseres Lebens sind", prophezeit Börsianer Rich Bernstein.
Die aktualisierten Projektionen der US-Notenbanker haben Investoren zudem die Sorge genommen, dass die Federal Reserve (Fed) wegen der jüngst angezogenen Inflation die Zinswende früher einleiten und damit die Partystimmung stören könnte. Nur ein Fed-Führungsmitglied peilt eine geldpolitische Straffung in diesem Jahr an, zwölf Fed-Banker wollen bis 2015 warten und drei weitere streben eine Zinswende sogar erst 2016 an. Zugleich blickt Yellen recht optimistisch auf die Wirtschaft, die von der Ausgabefreude der Verbraucher und einem zusehends stabileren Arbeitsmarkt profitiere. Auch wenn das erste Quartal wegen der ungewöhnlichen Kältewelle in den USA einen Konjunktureinbruch brachte, stehen die Zeichen somit weiter auf Aufschwung.
Auf Seite 2: MÄRKTE WIE IN WATTE GEPACKT
MÄRKTE WIE IN WATTE GEPACKT
Dies dürfte den Firmen sprudelnde Gewinne bescheren: Mittlerweile wird am Markt ein Plus von 9,1 Prozent erwartet, wie Daten von Thomson Reuters belegen. Im April waren "nur" 8,7 Prozent veranschlagt worden. Auch US-Ökonom Einhorn erwartet, dass es weiter nach oben geht: "Dieser Aufschwung ist einfach noch zu jung für Höchstkurse der Aktien." Seit Wochen wirkt der Markt wie in Watte gepackt und bewegt sich in einem engen Kurskorridor: Der S&P 500 hat an 43 Handelstagen in Folge nicht mehr als ein Prozent höher oder tiefer geschlossen. Der Investment-Manager Antony Filippo in Toronto hat lange in den Datenbanken kramen müssen, um eine längere Phase solcher Ruhe zu entdecken und ist im Jahr 1995 fündig geworden.
Irren die Skeptiker, die vor einer von den Milliardenspritzen der Notenbank erzeugten Blase an den Märkten warnen? "Wir sind anfällig für einen Schock", räumt Russ Koesterich vom Vermögensverwalter Blackrock ein. Sollte die Fed rascher als erwartet auf eine straffere geldpolitische Linie umschwenken, werde der Markt ins Schlingern geraten. "Das würde ein abruptes Ende der niedrigen Schwankungsanfälligkeit bedeuten", sagt er im typischen Börsenjargon.
Auf Seite 3: "YELLENS WIEGENLIED"
"YELLENS WIEGENLIED"
Ulrike Rondorf vom Bankhaus Lampe verweist darauf, dass sich trotz der anziehenden Konjunktur und des Inflationssprungs von 1,5 Prozent auf 2,1 Prozent im Frühjahr die Sorgen um die Auswirkungen höherer Zinsen derzeit in Grenzen halten: Yellen wiege die Marktteilnehmer in Sicherheit, dass sie sehr behutsam vorgehen und ihre "medizinische Versorgung" erst normalisieren werde, wenn der "Patient US-Wirtschaft" wieder alleine laufen könne. Doch diese Kommunikationsstrategie dürfte schon bald ins Wanken geraten, falls die Geldpolitik die Wirtschaft gehörig auf Trab bringe, warnt die Ökonomin.
Hinzu kommt, dass die Fed die in der Krise durch Konjunkturprogramme auf 4,3 Billionen Dollar aufgeblähte Bilanz künftig wieder auf Normalmaß stutzten muss. Das Rezept für diese Schrumpfkur will Yellen noch in diesem Jahr präsentieren. Doch viele Marktteilnehmer wollen die Party noch so lange genießen, wie die Ära des billigen Geldes währt. Grund zur Sorge sieht auch Karyn Cavanaugh vom Finanzhaus Voya Investment Management nicht: "Derzeit gibt es nichts, was den Markt aus der Spur bringen könnte."
Reuters