Dazu müsse Großbritannien neue Vorschläge vorlegen und die britische Premierministerin Unterstützung für ihre Position in London erreichen, sagte ein EU-Diplomat. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte nach den Beratungen, dass er weiter vorsichtig optimistisch bleibe, den britischen EU-Austritt Ende März 2019 einvernehmlich zu klären. Man müsse sich aber auch auf die Möglichkeit vorbereiten, dass es keine Vereinbarung mit London, also einen sogenannten harten Brexit oder No-Deal gebe.
Auf dem EU-Gipfel hatte May ihren 27 Noch-EU-Partnern am Abend den Verhandlungsstand aus britischer Sicht vorgestellt und Fortschritte der vergangenen Wochen betont. Die EU-Partner hätten darauf sehr freundlich reagiert, hieß es. Nach Angaben des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, machte May dabei aber keine neuen Angebote. Dann tagten die EU-27 unter sich. Barnier gab einen Überblick über die Gespräche mit London, bevor EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Regierungschefs über die nötigen Vorbereitungen für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen briefte. Dieses fürchten die Regierungen, aber auch die europäischen Unternehmen wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit am meisten.
Bis zum vergangenen Wochenende hatte es die Hoffnung gegeben, dass auf diesem EU-Gipfel die Einigung über den Austrittsvertrag mit Großbritannien besiegelt würde. Barnier sagte am Mittwochabend, dass man "viel mehr Zeit" benötige. Deshalb rückte man am Abend davon ab, einen für Mitte November angedachten weiteren Brexit-Gipfel einzuberufen. Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel hatte schon vor dem Gipfel betont, er sei bereit zu allen Brexit-Gesprächen, wolle aber nicht nur "für eine Tasse Kaffee" nach Brüssel kommen. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sagte, in den Gesprächen sei erneut die Geschlossenheit der EU-27 deutlich geworden.
Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie einige andere EU-Regierungschefs lobten die Fortschritte der vergangenen Wochen. Knackpunkt ist aber weiter vor allem die Frage, wie sich eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland vermeiden lässt. Macron hatte auf eine Einigung gedrängt. "Das wäre für alle Seiten besser", sagte auch Merkel. Ähnlich äußerte sich May. Diese sagte in den abendlichen Beratungen Teilnehmerangaben zufolge, dass sie das Angebot einer längeren Übergangsfrist für Großbritannien nach 2020 prüfen werde. "In der Endphase brauchen wir Mut, Vertrauen und Führungsstärke auf beiden Seiten", sagte May nach Angaben eines britischen Regierungsbeamten.
"Jeder, der schon einmal internationale Verhandlungen geführt hat, weiß natürlich, dass das schwierigste bekanntermaßen zum Schluss kommt - und die Tücke liegt hier sehr im Detail", hatte Merkel am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung erklärt. "Zugleich gehört es selbstverständlich ebenso zu einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Regierungsführung dazu, dass wir uns auf alle Szenarien vorbereiten - das heißt einschließlich der Möglichkeit, dass Großbritannien ohne ein Abkommen die Europäische Union verlässt." Die Gefahr eines No-Deals wächst, weil die Zeit bis zum Ausscheiden des Königreichs immer knapper wird. Nach einer Einigung mit der EU müssen noch sowohl das britische als auch das europäische Parlament einen Austrittsvertrag ratifizieren.
LÄNGERE ÜBERGANGSFRIST ODER NICHT?
Die EU-Regierungen sowie May zeigten sich offen für einen Vorschlag der EU-Kommission, für Großbritannien nach dem Brexit Ende März notfalls die Übergangsperiode über 2020 hinaus zu verlängern, in der das Land noch Mitglied des EU-Binnenmarktes ist. Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar erklärte in Brüssel, dass diese längere Periode schon deshalb nötig sein könnte, weil das Aushandeln eines weiteren Vertrages über das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien sowie die dann ebenfalls nötige Ratifizierung länger als zwei Jahre dauern würden. Er pochte erneut auf eine rechtliche verbindliche Zusage Großbritanniens, Backstop genannt, dass es in Zukunft keine harte Grenze auf der irischen Insel geben werde.
Die britische Autoindustrie warnte unterdessen, ein ungeregelter Brexit könne die Branche zwei Jahrzehnte zurückwerfen. Die "Just-in-Time"-Produktion sei von einem reibungslosen Handel zwischen der EU und Großbritannien abhängig, erklärten der Auto-Verband ACEA, der Zuliefer-Verband CLEPA sowie der Autobauer BMW und der Bremsenhersteller Brembo.
Auch der Chef des irischen Billigfliegers Ryanair, Michael O'Leary, bezeichnete die Aussicht auf einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU als besorgniserregend. Es sei möglich, dass Flugzeuge dann für bis drei Wochen am Boden bleiben müssten, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.
rtr