Flüchtlingskrise: Die Auffanglager sind voll, es gibt erste Zwangseinquartierungen. Doch die rechtlichen Hürden dafür sind hoch. Welche es sind, was Immobilien-Besitzer wissen müssen. Von Markus Hinterbergerund Simone Gröneweg
Unsicherheit und Angst
Angesichts des anschwellenden Flüchtlingsstroms herrscht bei vielen Wohnungseigentümern Unklarheit und Angst. Vorsichtige Schätzungen gehen inzwischen von über 1,5 Millionen Menschen aus, die hierzulande Asyl suchen, einige Politiker schon von sieben Millionen. Die Hamburger Bürgerschaft hat bereits beschlossen, dass leer stehende Gewerbeimmobilien leichter beschlagnahmt werden können. In Berlin schaffte die Verwaltung Fakten: Vier Bürogebäude wurden beschlagnahmt. Inzwischen hat alles seine Ordnung, es gibt Mietverträge, die Besitzer erhalten die ortsübliche Vergleichsmiete.
Doch nicht nur in den Stadtstaaten greifen Beamte zu radikalen Mitteln. Im nordrhein-westfälischen Nieheim wurde Mietern einer städtischen Wohnanlage gekündigt. Einheimische fänden leichter eine Wohnung, hieß es.
Aber noch sind solche Maßnahmen nicht an der Tagesordnung. Am häufigsten gibt es Zwangseinquartierungen in leer stehenden Büros. "Kommunen fragen bei Firmen an, ob sie in leer stehenden Gebäuden Flüchtlinge unterbringen könnten. Primär sollte das einvernehmlich geschehen", so Sebastian Schmitz, Rechtsanwalt bei der Kanzlei CMS Hasche Sigle. Die Kommunen drohen im Vorfeld regelmäßig mit Zwangs-beschlagnahme.
Eine Firma habe sich sogar bewusst dafür entschieden, sagt Schmitz. Sie wollte nicht auf Schäden sitzen bleiben und die Haftung möglichst auf die Nutzer übertragen. Falls einer der Einquartierten im Haus einen Unfall hat, soll die Kommune verantwortlich sein.
Natürlich sind auch Wohnungen als Unterkünfte sehr begehrt. Doch sind die Hürden hoch, vor allem wenn die Besitzer Privatleute sind. Zwangsmaßnahmen ziehen lange Gerichtsprozesse nach sich. Es gibt keine einheitliche Regelung, wann ein Flüchtlingsheim "nur" als Wohnung und wann als Anlage für soziale Zwecke gilt.
"Beschlagnahmungen sind das allerletzte behördliche Mittel", sagt Winfried Kluth (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Uni Halle-Wittenberg). Sie sind laut Ländergesetzen nicht verboten, aber bislang nur bei Wohnungskündigungen etwa von Sozialhilfeempfängern üblich.
Das allerletzte Mittel
Die Kommune, die den Wohnraum beschlagnahmt, muss beweisen können, dass es tatsächlich keine andere Unterkunft gibt. "Das halte ich aus juristischer Sicht für sehr schwierig, und es ist im Fall von Flücht-lingen, die in Privatwohnungen ziehen sollen, noch nie ausprobiert worden", meint Kluth. Auch ohne den Bedarf der Flüchtlinge werden bundesweit jährlich 400.000 neue Wohnungen gebraucht - vor allem in Ballungsräumen mit vielen Jobs und starkem Zuzug.
2014 wurden lediglich 245.000 neue Einheiten gebaut. Laut Immobilienverband IVD stehen in strukturschwachen Regionen allerdings eine Million Wohnungen leer. "Diese Wohnungen sollten nicht abgerissen werden, sie werden jetzt benötigt", so IVD-Präsident Jürgen Michael Schick.