Jetzt bricht der Lärm los. Über Lautsprecher tönt Rockmusik, eine Bandansage setzt ein: "Ladies and Gentlemen, begrüßen Sie mit uns das neueste Mitglied der Harley-Davidson-Familie!" Mitarbeiter versammeln sich um einen Endfünfziger mit Baseballkappe und ausgewaschenen Levis-Jeans, das weinrote Shirt spannt überm Bauch. Manche drücken auf die Hupen der umstehenden Motorräder, andere klatschen. Ein Countdown beginnt: "Drei, zwei, eins!" Der Endfünfziger schwingt einen Klöppel gegen einen wagenradgroßen Gong. Die Gruppe klatscht, der Mann strahlt: Er ist stolzer Besitzer einer neuen Harley-Davidson.
"Das passiert hier vier bis fünf Mal am Tag", sagt Doug Roessing. Er ist General Manager des weltweit größten Harley-Davidson-Stores in Scottsdale, Arizona. Auf einer Fläche von drei Fußballfeldern blitzt der Chrom von mehreren Hundert Maschinen neben Motorradkleidung und Harley-Fanartikeln für Männer, Frauen und Kinder. In der "Rumble Zone" saugt eine große Ablufthaube die Abgase der Maschinen aus dem Laden, wenn Kunden auf der Suche nach einem Auspuff mit dem perfekten Sound am Gaszug drehen. Wenige Schritte weiter verbauen Mechaniker die ausgestellten Ersatzteile oder warten die Maschinen. Durch eine Glaswand können Kunden ihnen bei der Arbeit zusehen.
Harleys Auslaufmodelle
Der Store ist ein Aushängeschild für Harley-Davidson. Mit außergewöhnlichen Erlebnissen will der US-Motorradhersteller neue Kunden gewinnen. Die Traditionsmarke muss ihre Geschäftsstrategie nachjustieren. Das geht auch BMW Motorrad, Honda, Ducati oder Yamaha so - weltweit sehen sich Hersteller neuen Herausforderungen gegenüber. In westlichen Märkten altert die Kundenbasis. Nischenmärkte nehmen zwar Fahrt auf, doch in Asien sind Mopeds und Scooter gefragt, und der Trend zu Elektromotoren macht auch vor Zweirädern nicht halt.
Fünf Jahrzehnte nachdem der Film "Easy Rider" das Image von grenzenloser Freiheit auf zwei Rädern schuf, wird die Jugend von damals zu alt für ihre schweren Maschinen und verkauft sie. Die vielen Gebrauchten am Markt sind für Harley-Davidson ein Riesenproblem. Die klassischen Touring-Modelle mit großen Motoren kosten neu zwischen 17.000 und 25.000 Euro, limitierte Editionen sogar 40.000 Euro. "Viele Kunden, die von einer Harley träumen, können sie sich neu einfach nicht leisten. Aber es gibt unzählige gebrauchte Bikes, die sie günstig kaufen können", sagt Gleb Mytko, der für das Marktforschungsinstitut Freedonia den weltweiten Motorradmarkt beobachtet.
Kopfschmerzen bereitet den Herstellern, dass die ab 1980 Geborenen wenig Zug zum fahrbaren Statussymbol haben. Ältere Biker kauften Motorräder als Hobby und weil sie cool seien, 21- bis 34-Jährige sähen sie als Transportmittel, so Robin Farley, Analystin bei der Schweizer UBS. Laut der US-Handelskommission USITC wurden 2017 in den USA 12 000 Motorräder weniger angemeldet als 2013. Vor allem schwere Maschinen sind weniger gefragt.
Bikes mit Umwelttouch
Mit Elektromodellen wollen BMW Motorrad und Harley umweltbewusste Kunden ansprechen. Vergangenen Juni präsentierten die Bayern das elektrische Konzept-Bike Vision DC Roadster. Statt des charakteristischen Boxermotors verbauten die Ingenieure einen Elektromotor mit etwa 150 Kilometern Reichweite. Drum herum kreierten die Designer ein aggressiv und dynamisch aussehendes Bike. "Es ist das gleiche Konzept, aus dem Tesla Kapital schlägt: Es geht nicht um die höchste Performance, sondern um den Coolness-Faktor und darum, Aufmerksamkeit zu erregen", sagt Mytko.
Konkurrent Harley-Davidson rollte nach siebenjähriger Entwicklung 2019 die LiveWire aus, deren Elektromotor das Röhren durch ein hochtöniges Zischen ersetzt. Die Reichweite liegt bei 225 Kilometern. Der Preis für das Elektromotorrad: gut 26.000 Euro. Nachfragen, wie viele Vorbestellungen eingegangen sind, lässt Harley-Davidson unbeantwortet.
Hersteller, die an einen Autokonzern gebunden oder Teil einer erfolgreichen Unternehmensgruppe sind, haben es leichter. "BMW kann es sich leisten, wenn Motorräder einen kleineren Teil der Geschäftseinnahmen ausmachen. Investoren von Harley-Davidson, für die Motorräder ihr ganzes Geschäft sind, erwarten hingegen, dass der Ertrag ständig wächst", sagt Marktforscher Mytko.
Die größten Wachstumspotenziale liegen derweil in Asien. Mehr als 80 Prozent der Haushalte in Südostasien besitzen ein motorisiertes Zweirad, so das Marktforschungsunternehmen Pew Research 2015, in China waren es demnach 60 Prozent. Zum Vergleich: In Europa bewegt sich die Quote zwischen sieben Prozent in Großbritannien und 26 Prozent in Italien. In Asien ist der Scooter König: Im chronisch verstopften Großstadtverkehr und durch enge Gassen garantiert der Motorroller schnelles Fortkommen. Allein in Indonesien stieg der Anteil der Scooter 2017 auf 84 Prozent, zehn Jahre zuvor waren es 20 Prozent.
Nach Asien brausen
Nachdem japanische Hersteller wie Honda, Yamaha, Kawasaki und Suzuki den Markt lange nur mit heimischer Konkurrenz teilten, drängen Europas Premiumhersteller nach Asien. BMW ist mit Modellen unter 500 Kubikzentimeter Hubraum erfolgreich. Die berühmte Vespa des italienischen Herstellers Piaggio gilt in Asien dank ihres Designs und ihrer Qualität als Statussymbol. Harley-Davidson will noch im laufenden Jahr gemeinsam mit dem chinesischen Hersteller Qianjiang einen Scooter auf den Markt bringen.
Unterdessen haben überfüllte Straßen und Emissionen Regierungen auf den Plan gerufen, die E-Mobilität auf zwei Rädern zu beschleunigen. Taiwan etwa forciert den Wechsel auf E-Modelle, investiert dazu in Scooter-Mietstationen und subventioniert elektrische Motorräder und Fahrräder. Um die Reichweite zu verbessern, erprobt der Staat Stationen, an denen Fahrer ihre leere Batterie gegen eine volle tauschen und sofort weiterfahren können.
Die Unternehmensberatung Roland Berger prognostiziert der geschäftlichen Nutzung von E-Scootern gute Wachstumschancen. Ausgerüstet mit zusätzlicher Gepäckfläche und Ladestationen fürs Handy bieten sie sich als Leihmodelle an. Und mit höherer Reichweite könne man damit auch Pakete oder Essen ausliefern. Die Zukunft der Branche röhrt nicht. Sie zischt.
Investor-Info
Piaggio
Spritzige Italiener
Im Heimatmarkt konnte Piaggio den Marktanteil auch in der Eurokrise halten, vor allem wegen der kultigen Vespa-Roller. Jetzt rückt Asien immer stärker in den Fokus der Marketingstrategen. Die Vespa gilt dort als Premiumroller, ist für die aufstrebende Mittelschicht attraktiv. Die Umsätze wachsen 2020 und 2021 um geschätzte sechs Prozent, der Gewinn soll je rund 20 Prozent zulegen.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 2,60 Euro
Stoppkurs: 1,5 Euro
Harley-Davidson
Stotternder Motor
Im Zukunftsplan "More Roads To Harley-Davidson" will das Unternehmen bis 2027 zwei Millionen neue Biker anziehen, und das nicht nur mit großen Motorrädern, sondern auch mit leichten Maschinen. Käufer weichen wegen hoher Preise auf gebrauchte Harleys aus. Das lässt Umsätze und Gewinne seit Jahren sinken. Wegen Dividende haltenswert.
Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 33,00 Euro
Stoppkurs: 24,50 Euro