Die politische Situation im Baltikum
ist fragil. Russland beunruhigt: Nach
der Annexion der ukrainischen
Halbinsel Krim könnte den drei ehemaligen
Sowjetrepubliken Estland, Lettland
und Litauen eine Aggression bevorstehen.
Amerika demonstriert: Für Manöver im
Baltikum lassen die Amerikaner Panzer
auffahren und demonstrieren Nähe zum
erweiterten Euroraum. Denn seit diesem
Jahr wird nun auch im dritten Balten-Staat
Litauen mit dem Euro bezahlt.
Es werde nun ein "neues Zeitalter" beginnen,
sagte der litauische Ministerpräsident
Algirdas Butkevičius, als er den ersten Euroschein
aus einem heimischen Bankautomaten
zog. Wohl nicht Musik in den Ohren
des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
"Die derzeitige Sicherheitslage wird uns
noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Das
ist nicht nur eine Schlechtwetterperiode,
das ist ein Klimawandel", kommentierte der
estnische Ministerpräsident Taavi Rõivas
im Dezember die Lage. Bei den Parlamentswahlen
Anfang März wurde seine Reformpartei
zwar wieder stärkste, doch die russlandfreundliche
Zentrumspartei erneut
zweitstärkste Kraft im Land. Trotz der politischen
Konfliktsituation "zählen Estland,
Lettland und Litauen auch 2015 zu den dynamischsten
Volkswirtschaften in der Eurozone",
sagt Torsten Pauly von German
Trade and Invest.
Auf Seite 2: Besser als der Rest der EU
Besser als der Rest der EU
Mit prognostizierten Wirtschaftswachstumsraten
zwischen zwei und drei Prozent
liegen sie deutlich über dem EU-Durchschnitt
von 1,5 Prozent. Sie profitieren von
der erheblichen Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit
im Zuge der Krise 2009.
Zwar reflektierte zwischen März und Dezember
vorigen Jahres der Leitindex OMX
Baltic Benchmark, der die größten und am
meisten gehandelten Werte der Börsen in
Tallinn, Vilnius und Riga umfasst, mit
minus 9,9 Prozent die Annexion der Krim
durch Russland und die sich verschärfende
Krise in der Ukraine. Doch seit Jahresbeginn
ist der Index wieder auf Vor-Krim-
Niveau gestiegen. Zumindest die Situation
an der Börse hat sich also entspannt. Die
seit August 2014 geltenden Einfuhrbeschränkungen
des wichtigsten Außenhandelspartners
Russland kompensierten die
baltischen Staaten teilweise durch Hinwendung
zu anderen Märkten, sagt Kristofer
Vähi, Baltikum-Analyst bei der Bank SEB.
Risikofreudige Anleger stoßen auf einige
aussichtsreiche Aktien. So könnte der niedrige
Ölpreis der Tallink Grupp, dem estnischen
Marktführer im Ostsee-Fährbetrieb,
Schub verleihen. Der Konzern konnte im
vierten Quartal 2014 seine Treibstoffkosten
deutlich senken. Allerdings stand den Einsparungen
ein heftiger Preiskrieg mit dem
stärksten Konkurrenten Viking Line aus
Finnland gegenüber. 2014 fielen die durchschnittlichen
Ticketpreise um bis zu sechs
Prozent im Vergleich zu 2013. Nach Einschätzung
von Analysten wird Tallink dieses
Jahr den Preisverfall zurückdrehen und Einnahmen aus dem Chartergeschäft generieren.
Zum prognostizierten Gewinn
von 46 Millionen Euro soll das Chartern
der Fähre Silja Europa durch Chevron rund
20 Millionen Euro beitragen. Der US-Energiekonzern
will das Schiff als Hotel für
seine Arbeiter in Australien nutzen. Zudem
setzt Tallink auf energieeffizienten Flottenzuwachs.
In Turku wird eine Fähre mit
LNG-Antrieb (verflüssigtes Erdgas) gebaut,
die 2017 fertiggestellt werden soll.
Auf Seite 3: Bauboom an der Ostsee
Bauboom an der Ostsee
Die Experten der Swedbank erwarten
einen weiteren Anstieg der Bauaktivitäten
in Riga und Tallinn. Gute Zahlen für das
vierte Quartal, Umsatzsteigerungen von
acht Prozent durch 60 Prozent mehr verkaufte
Wohnungen beflügelten den Aktienkurs
des estnischen Bauunternehmens
Merko Ehitus. Nach dem starken Kursplus
empfiehlt sich derzeit kein Einstieg. Anleger
sollten das Unternehmen aber im Auge
behalten. Ende des Jahres 2015 wird der
Sektor von EU-Fördergeldern profitieren.
Die EU-Strukturfonds legen ihre Budgets
für die Periode 2014 bis 2020 fest, und die
baltischen Bauunternehmen erwarten,
dass sie Förderungen erhalten werden.
Dies dürfte dem profitablen Bauwert neuen
Schwung geben.
"Online first" - also Vorfahrt für das
Internet, heißt es auch im Baltikum. Dies
beflügelt die Aussichten des Medienunternehmens
Ekspress Group, das neben Printmedien
auch Online-Content anbietet. So
liefert die Tochter Delfi Group als einziges
Unternehmen für alle drei baltischen Staaten
entsprechende Inhalte. Allein in Estland
besuchen rund 900 000 Menschen
wöchentlich Delfi-Websites. Delfi Estland
trug maßgeblich zum um 30 Prozent auf
4,5 Millionen Euro gesteigerten Ergebnis
bei. Die Swedbank-Analysten erwarten
daher weiteres konzernweites Wachstum.
Unter anderem starke Konkurrenz in der
Slowakei belasteten die estnische Olympic
Entertainment, einen Casino- und Hotelbetreiber.
Das Ergebnis sank 2014 von 25,7 im
Jahr 2013 auf 21,6 Millionen Euro. Nun eröffnet
das Unternehmen auf Malta ein Casino
der Superlative. In der zweiten Hälfte des Jahres 2015 soll ein 3000 Quadratmeter
großer Komplex mit diversen Spielautomaten
und Spieltischen die Touristen anlocken.
Die Analysten erwarten vom maltesischen
Spieltempel ein Umsatzplus von
3,8 Millionen Euro im Jahr 2015 und 15,2
Millionen Euro 2016.
Flexibel reagierte der lettische Pharmakonzern
Olainfarm auf die politische Krise.
Das Unternehmen, das Medikamente
gegen Tuberkulose, Allergien und Herzrhythmusstörungen
herstellt, steigerte
trotz Rubelschwäche und Veränderungen
in Kernmärkten wie Russland und
Weißrussland den Umsatz um
19 Prozent auf 93,79 Millionen
Euro. In den Niederlanden,
wo ein WHO-Programm gegen Tuberkulose
läuft, stieg der Umsatz um 192 Prozent.
Für dieses Jahr prognostiziert Olainfarm
ein Umsatzplus von neun Prozent auf
100 Millionen Euro. Der Medikamentenverkauf
in Russland und in der Ukraine soll
wieder forciert werden. Zudem will die
Firma 9,6 Millionen Euro in neue Anlagen
und Labors investieren.
Eine Alternative ist die Aktie der Swedbank.
Das schwedische Kreditinstitut ist
seit 2005 alleiniger Besitzer der Hansabank,
der ehemals größten Bank der
drei baltischen Staaten. Über das Papier
nimmt man daher indirekt an deren Entwicklung
teil. Erfreulich: Die Bank wird im
April die Dividende von 10,10 Schwedischen
Kronen auf 11,35 Kronen anheben.
Wer Engagements in einzelne Aktien
scheut, greift zum Zertifikat auf den
OMX Baltic 10 Tradable Index. Das Papier
ermöglicht es, an der Entwicklung der
zehn liquidesten Aktien der Region
teilzuhaben.
So interessant baltische Aktien sein
mögen: Anleger sollten immer die bestehenden
politischen Risiken einkalkulieren.
Auch müssen sie die teils geringen
Handelsvolumina und hohen Spreads der
Werte beachten. Nur wer auch mal abwarten
kann, wenn ein Kauf oder Verkauf aufgrund
des wenig liquiden Handels nicht
gleich gelingt, sollte eine Spekulation
wagen.
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