Der Absturz ist tief und macht Indien-, aber auch Emerging-Markets-Investoren nervös. Innerhalb von nur drei Wochen büßten die sieben zur Adani Group zählenden Unternehmen zusammen über 120 Milliarden Euro an Börsenwert ein
Die dramatischen Kursverluste zwangen Gautam Adani, Gründer und Chef des Firmenkonglomerats, eine geplante Kapitalerhöhung von 2,5 Milliarden Euro bei Adani Enterprises abzusagen.
Adani Group, zu der Flughäfen, Kraftwerke und erneuerbare Energien gehören, ist mit einer Gewichtung von sechs Prozent ein Dickschiff an der Börse in Mumbai. Adani-Aktien sind -zudem in vielen Schwellenländer-Portfolios prominent gewichtet.
Kernschmelze im Privatvermögen
Erheblich geschrumpft ist auch das Privatvermögen von Gautam Adani. Vor Kurzem noch rangierte der 60-Jährige in der Tabelle der reichsten Menschen mit rund 150 Milliarden Euro auf Platz 3. Nun aber ist er mindestens 66 Milliarden Euro ärmer und findet sich nur noch auf Platz 21 wieder. Wegen der langjährigen Freundschaft des Tycoons zu Ministerpräsident Narendra Modi ist der Fall Adani längst auch ein Politikum. Hat Modi Adani gezielt Aufträge zukommen lassen? Fakt ist: Adani Group profitierte bislang von Milliardeninvestitionen, die die Regierung in die Infrastruktur steckt. Ein von der Opposition angestrengter Untersuchungsausschuss zu den engen Verbindungen von Adani und Modi scheiterte bislang am Widerstand der Regierungspartei Bharatiya Janata. Die Kongress-Partei ruft nun ihre Anhänger zu Protesten auf. In den kommenden Monaten finden in mehreren Bundesstaaten Wahlen statt. Sie gelten als wichtige Vorentscheidung für die gesamtindischen Parlamentswahlen im Mai 2024.
Und: Werden Deutsche Bank und Siemens in den Adani-Absturz hineingezogen?
"Böswillige Desinformation"
Nate Anderson hat das Kursbeben ausgelöst. Der Gründer von Hindenburg Research — der Name bezieht sich auf das 1937 durch eine Explosion zerstörte deutsche Luftschiff — ist auf Shortselling fokussiert. Das heißt, die US-Investmentgesellschaft wettet darauf, dass die Aktienkurse eines Unternehmens nach unten tendieren. Die dazu notwendigen Gründe liefert Hindenburg Research gleich mit. Anderson warf Ende Januar Adani in einem 100 Seiten umfassenden Bericht vor, bereits seit Jahrzehnten Bilanz- und Börsenmanipulation im großen Stil betrieben und hochgelaufene Aktien als Sicherheit für Kredite eingesetzt zu haben. Adani wiederum streitet alle Beschuldigungen ab und nennt die Vorwürfe eine „böswillige Kombination aus selektiver Desinformation und grundlosen und veralteten Behauptungen“. Um die Investoren zu beruhigen und um seine Finanzkraft zu demonstrieren, zahlte er einen ihm eingeräumten Milliardenkredit 20 Monate vor Fälligkeit zurück.
Ausländische Investoren verunsichert
Adani-Aktien zogen daraufhin wieder an. Zweifel an den Geschäftspraktiken bleiben dennoch. Anderson hat bereits mehrmals Unternehmen Fehlverhalten nachweisen können. Großbanken wie Credit Suisse und Citigroup akzeptieren daher laut Bloomberg News inzwischen keine Adani-Anteile mehr als Sicherheit für eine Kreditvergabe.
Und je länger die Krise dauert, desto mehr droht auch der Finanz- und Wirtschaftsstandort Indien Schaden zu nehmen. Die indische Finanzministerin, die Notenbank sowie die Börsenaufsicht versuchen zu beruhigen und versprechen Aufklärung. Doch ausländische Investoren ziehen Kapital ab. Seit Jahresanfang weist der iShares MSCI India ETF ein Minus von über vier Prozent auf.
Tief in den Miesen
Anleger fürchten Auswirkungen auf Indiens Finanzinstitute wie etwa die State Bank of India. Sie hat dem Konzern viel Geld geliehen. Auch europäische Kredithäuser — darunter die Deutsche Bank, BNP Paribas und Société Générale — engagierten sich, um Adani die Verwirklichung von weitreichenden -Expansionsplänen, etwa ins Zementgeschäft, zu ermöglichen. Wie hoch die Summen sind, darüber schweigen sich die Banken aus. Insgesamt soll die Adani Group Schulden von 30 Milliarden Dollar angehäuft haben.
Nur ein Einzelfall
Der Fall Adani zeigt einmal mehr, dass die Notierungen an Schwellen-länderbörsen immer wieder kräftig schwanken. Die langfristige Kursfantasie für den Subkontinent und seine 1,4 Milliarden Einwohnern bleibt nach Meinung von Mark Mobius, Chef der auf Emerging Markets fokussierten Gesellschaft Mobius Capital Partners, jedoch intakt. Ansteckungsgefahren fürchtet er nicht. Adani sei ein Einzelfall und werde den Gesamtmarkt nicht nachhaltig belasten, meint der Schwellenländer-Guru Mobius.
Auch indische Unternehmer wie Anand Mahindra, Chef der ebenfalls als Mischkonzern aufgestellten Mahindra Group, machen derzeit Werbung für ein Börsenengagement. Erdbeben, Dürreperioden, Kriege und Terroranschläge hätten Indien in den vergangenen Jahren nicht vom Wachstumspfad verdrängen können. Er könne Investoren daher nur warnen: „Wetten Sie niemals gegen Indien!“
Starke Unternehmen
Zur Mahindra Group gehört unter anderem Mahindra Lifespaces. Die Aktie des Immobilienentwicklers legte in den vergangenen fünf Jahren rund 140 Prozent zu. Auch Mahindra Automotive ist ein starker Wert. Innerhalb eines Jahres stieg die Aktie über 100 Prozent. Das Kapital kräftig vermehrt haben Investoren auch mit Infosys. Die Aktie des IT-Unternehmens erzielte in fünf Jahren fast 150 Prozent. Ähnlich stark entwickelt haben sich das Konsumunternehmen Hindustan Unilever, der Gesundheitswert Dr. Reddy’s und die beiden IT-Titel Tata Consultancy und Bharti Airtel.
Auf der Überholspur
Neben den hochkreativen Fähigkeiten indischer Firmenmanager und einer zahlenmäßig immer stärker werdenden Mittelschicht ist der starke Konjunkturmotor ein weiterer kräftiger Treiber der Börse. Schon in der Vergangenheit erzielte Indien hohe Wachstumsraten. Der Trend hält an. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 6,1 und im kommenden Jahr um 6,8 Prozent zulegen. Das sind die höchsten Zuwachsraten, die der IWF einem Schwellenland zutraut.
Vorbei an Deutschland
Dank der Dynamik verdrängte Indien im vergangenen Jahr die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien und ist nun weltweit die fünftgrößte Volkswirtschaft. Die Ratingagentur S & P geht davon aus, dass der Subkontinent im Jahr 2030 auch an Japan und Deutschland vorbeiziehen wird. Der Aufstieg sollte sich an der Börse widerspiegeln.
Mit dem iShares MSCI India können Investoren am Aufstieg des Subkontinets partizipieren. Der EXchange Traded Fund umfasst 113 Positionen. Zu den größten Einzelwerten zählen Reliance Industries, Hindustan Unilever und Tata Consultancy.