Die Notenbank in Japan hält an ihrer ultralockeren Geldpolitik fest. Im Sinn der Investoren ist auch der „neue Kapitalismus“ der Regierung in Tokio. Doch wie investieren Anleger am besten mit Fonds und ETFs in Japan? Von Jörg Billina
Japans Regierung lässt nichts unversucht, um Geld in die Staatskasse zu bekommen. Das Budget ist hochdefizitär: Die Neuverschuldung beträgt fast acht Prozent, die Gesamtverschuldung ist auf 263 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen. Kein anderes Industrieland ist tiefer in den Miesen. Über die jüngste Initiative Tokios, den Haushalt ins Lot zu bringen, wird im Land der aufgehenden Sonne kontrovers diskutiert.
So sollen jugendliche Erwachsene mehr Alkohol trinken. Nicht nur in Bars, sondern in Zeiten von Corona und Lockdowns auch zu Hause. Japans Getränkeindustrie leidet unter der schwachen Geburtenrate. Seit ihrem Höchststand von 128 Millionen Einwohnern im Jahr 2010 ist die Bevölkerungszahl Japans um etwa zwei Millionen Einwohner zurückgegangen. Der konjunkturschwächende demografische Trend hält an. Sinken bei immer weniger jungen Konsumenten die Umsätze, nimmt der Staat weniger ein.
Virtuelle Gäste
Das soll sich nun ändern. Japans Steuerbehörde NTA hat das Projekt „SakeViva!“ gestartet. Junge Erwachsene zwischen 20 und 39 Jahren sind aufgerufen, bis zum 9. September Vorschläge einzuschicken, wie man die Nachfrage nach Reiswein, aber auch Whiskey, Wein und Bier steigern könnte. Die besten Konzepte werden im November prämiert und von Marketingexperten anschließend in Werbekampagnen umgesetzt. An innovativen Anregungen fehlt es laut „Japan Times“ nicht: Filmstars könnten ja als virtuell-reale Hostessen verkleidet in digitalen Clubs eingeloggte Gäste zum Mittrinken animieren, lautet eine der bislang eingegangenen Ideen.
Das alles klingt skurril, die Lage aber ist ernst: Im Jahr 1995 lag der Alkoholkonsum in Japan pro Person noch bei 100 Litern, im Jahr 2020 waren es nur mehr 75 Liter. Der Entwicklung entsprechend gingen die Steuereinnahmen zurück. 1980 trug die Getränkeindustrie fünf Prozent zum Staatshaushalt bei, mittlerweile sind es laut NTA nur noch 1,7 Prozent.
Die Anteilseigner von Asahi Group Holding hoffen, dass „SakeViva!“ wirkt. Japans größte Brauerei, zu der Marken wie Asahi Super Dry oder Carlton Draught zählen, meldete trotz einer guten Entwicklung in den Auslandsmärkten Australien und Neuseeland im ersten Halbjahr einen deutlichen Gewinnrückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Binnennachfrage fiel deutlich schwächer aus. Der Aktienkurs verlor daher seit Jahresanfang über vier Prozent.
CEO Atsushi Katsuki will aber schon im kommenden Jahr wieder schwarze Zahlen schreiben. Zum ersten Mal seit 14 Jahren erhöhte die Holding jüngst die Preise, zugleich wurden Kostensenkungsmaßnahmen noch einmal intensiviert. Analysten halten lauf Bloomberg eine Gewinnsteigerung von 15 Prozent im Jahr 2023 für möglich. Das sollte sich positiv auf den Kurs auswirken.
Etwas stärker als Asahi Group Holding verlor der Nikkei 225. Japans Leitindex gab seit Jahresanfang fünf Prozent ab. Mittlerweile erkennen Investoren jedoch eine Bodenbildung und beginnen, Positionen aufzubauen. Für den Einstieg sprechen nicht zuletzt die niedrigen Bewertungen. Im Schnitt weisen die Werte ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von gerade mal 13 auf — so günstig waren japanische Aktien zuletzt vor zehn Jahren. Der S&P 500 ist dagegen mit 21 bewertet.
Kalkül der Notenbank
Ausländische Investoren schätzen zu dem die Zinspolitik der Notenbank. Im Gegensatz zur Fed oder der Europäischen Zentralbank gehen Experten davon aus, dass die Bank of Japan (BoJ) an ihrer ultralockeren Geldpolitik vorerst festhalten wird. Der japanische Leitzins liegt seit Anfang des Jahres 2016 bei minus 0,1 Prozent. „Obwohl es in Japan aufgrund höherer Rohstoffpreise und der Weitergabe von Unternehmenspreisen Anzeichen für eine Inflation gibt, erwarten wir nicht, dass die Preise allzu weit über das Zwei-Prozent-Ziel der BoJ steigen werden“, sagt Shintaro Harada, Leiter des Japan Equity Active Growth Teams bei der Fondsgesellschaft Nomura. Im Juli betrug die Teuerung im Vergleich zum Vorjahresmonat 2,6 Prozent. Das ist zwar der höchste Wert seit acht Jahren, im internationalen Vergleich fällt die Inflationsrate jedoch moderat aus. In der Eurozone wurden zuletzt 8,9 Prozent gemessen.
Erst wenn das Lohnniveau in Japan steigen sollte, will Notenbank-Chef Haruhiko Kuroda an der Zinsschraube drehen. Die Regierung hat bereits den Mindestlohn erhöht, doch bis auch die Unternehmen die Gehälter spürbar anheben, dürfte es noch dauern. Dennoch werden bis dahin Japans Verbraucher aus Sorge, die Preise könnten weiter steigen, Anschaffungen vorziehen und die Konjunktur zum Laufen bringen, so Kurodas Kalkül. Es scheint aufzugehen. Im zweiten Quartal des laufenden Jahres zogen die Verbraucherausgaben schon mal um 0,5 Prozent an. Das wirkt sich positiv auf die Aktienkurse aus. „Wir haben eine solide Performance von Titeln gesehen, die trotz der Weitergabe der höheren Preise an die Verbraucher ihr Absatzvolumen gesichert haben“, sagt Fondsmanager Harada.
Von Kurodas lockerer Geldpolitik profitiert vor allem aber der Export. Im zweiten Quartal des Jahres legten die Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahresquartal um 3,7 Prozent zu. Der Yen ist aufgrund der Zinsdifferenz im Vergleich zum Dollar um über 20 Prozent gefallen. Das verschafft Unternehmen wie dem Autobauer Toyota oder dem Mischkonzern Hitachi auf dem Weltmarkt Vorteile. Beide Konzerne haben zudem — wie viele andere Unternehmen des Landes auch — umfangreiche Aktienrückkäufe angekündigt. Insgesamt wollen Japans Firmenchefs in diesem Jahr umgerechnet 32 Milliarden Euro in eigene Aktien investieren. Auch dies kommt bei in- und ausländischen Investoren gut an.
Zurück zur Kernkraft
Weitere Maßnahmen der Regierung sorgen für zusätzliche Kursfantasie: Elf Jahre nach der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima will Tokio vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Energiepreise neue Atomreaktoren entwickeln und bauen. Davon profitiert der AKW-Betreiber Tepco. Aber auch grüne Energien erfahren einen kräftigen Schub. Bis zum Jahr 2030 soll ihr Anteil am gesamten Strom-Mix bei 36 bis 38 Prozent liegen. Aktuell sind es nur 24 Prozent. Mitsubishi Holding trägt dazu bei, das Klimaziel zu erreichen. Das Unternehmen entwickelt Technologien zur deutlichen Reduzierung von CO2Emissionen in Gebäuden.
Die grünen Investments sind Teil der von Ministerpräsident Fumio Kishida auf den Weg gebrachten Initiative „neuer Kapitalismus“. Dazu zählt etwa die Förderung von Startup-Unternehmen. Darüber hinaus möchte die Regierung die Einnahmen verdoppeln, die Japans Haushalte durch Finanzinvestitionen generieren. Ein ambitioniertes Ziel, das den Beifall der Anleger findet. Auch die Zahl berufstätiger Frauen soll steigen. Der Anteil liegt derzeit bei rund 44 Prozent, in Deutschland sind dagegen rund 76 Prozent der Frauen erwerbstätig. Treffen sich berufstätige Frauen nach getaner Arbeit, wie von Japans Regierung gewünscht, noch auf einen oder zwei Drinks, dann hat die Regierung ein wichtiges Etappenziel schon mal erreicht.