Der Besprechungsraum der Luxemburger Börse wird vom Widerschein eines goldglänzenden Tores erhellt. Das protzige Portal hat Börsenchef Robert Scharfe vom einstigen Sitz des Handelsplatzes beim Umzug 2014 an den Boulevard Joseph II so prominent im Raum positionieren lassen. Das bronzene Glanzstück ist die einzige Reminiszenz an frühere Zeiten.
Denn in dem nach neuesten energetischen Standards gebauten Glaspalast stehen die Ampeln dauerhaft auf Grün: "Wir sind die erste grüne Börse weltweit", beschreibt Scharfe sein Nachhaltigkeits-Credo. "Wir sind überzeugt, dass sich die Finanzwelt grundsätzlich ändern muss, sich dem Thema Nachhaltigkeit widmen muss, denn das hat einen großen Einfluss aufs Geschäft", erklärt Scharfe mit Blick auf die Diskussion um CO2-Steuern oder die "Fridays for Future"-Bewegung.
Praktisch soll die Grünwerdung des Handelsplatzes über die Festlegung von Standards erfolgen, welche die Emittenten der Wertpapiere erfüllen müssen. Während die EU-Kommission noch unter dem Stichwort "Taxonomie" an der Ausarbeitung dieser Kriterien arbeitet, wollen die Luxemburger ihr mit eigenen gesetzlichen Regelungen zuvorkommen.
Flankiert wird die Entwicklung von der Börse, die einen eigenen Marktplatz für sogenannte grüne Anleihen geschaffen hat und demnächst einen Index dazu präsentieren will. Robert Scharfe: "Im ersten Semester haben wir den 100-Millionen-Euro-Markt für grüne Bonds überschritten." Die Sustainable-Bonds machen bisher zwar nur zwei Prozent der gelisteten Anleihen aus, doch Scharfe strebt eine Erhöhung auf mindestens fünf Prozent an: bei derzeit 32 483 in Luxemburg notierten Anleihen ein ambitioniertes Ziel.
Geht es nach den Plänen von Carole Dieschbourg, der einzigen grünen Umweltministerin in der EU, soll das Land bis zum Jahr 2050 sogar gänzlich "nachhaltig" sein. Kein kleines Vorhaben, denn ursprünglich verdankt Luxemburg seinen Reichtum der Eisen- und Stahlindustrie - und die ist keineswegs als besonders umweltfreundlich bekannt. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden im Süden des Großherzogtums Eisenerzvorkommen entdeckt. Mit der Mosel als kostengünstigem Transportweg entstand in der Region das Herz der europäischen Stahlindustrie. 1960 erwirtschafteten die Hüttenwerke 31 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts. 1974, im letzten der 30 "goldenen Eisenjahre" in Luxemburg, arbeiteten rund 25 000 Menschen in der Branche, was etwa 16 Prozent der nationalen Beschäftigungsquote ausmachte.
Doch die erste Ölkrise 1973 sägte schon schwer an den Stützpfeilern von Luxemburgs Stahlindustrie. Staatliche Interventionen konnten den Niedergang zwar etwas verlangsamen, aber nicht verhindern. Der letzte Hochofen des Landes erlosch 1997. Immerhin haben die Stahlunternehmen ArcelorMittal, Aperam sowie der Ausrüster Paul Wurth noch ihren Sitz in Luxemburg.
Dass es Luxemburg geschafft hat, wirtschaftlich nicht nur zu überleben, sondern sich auch an die Spitze der EU-Länder zu setzen, verdankt es klugen politischen Entscheidungen. 1952 wurde der Ardennenstaat Sitz der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und war 1957 eines der sechs Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, aus der letztlich die EU entstand. Auch der Finanzplatz Luxemburg verdankt seine Bedeutung der Politik. In den 60er-Jahren lockte man internationale Banken durch eine lockere Gesetzgebung im Devisenbereich an. In den 80er-Jahren nahm dann die Bedeutung des Privatkundengeschäfts zu. Vor allem bei den europäischen Vorgaben für Investmentfonds, heute unter dem Kürzel UCITS bekannt, setzte sich die luxemburgische Regierung an die Spitze und sorgte so dafür, dass immer mehr Fonds ihr Domizil und die Verwaltung ins Großherzogtum verlegten.
Heute macht der Finanzplatz ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts, ein Zehntel der nationalen Beschäftigung sowie ein Drittel der Steuereinnahmen des Staates aus. Neben den zahlreichen Institutionen der EU wie dem Europäischen Gerichtshof oder der Europäischen Investitionsbank sorgen die Fondsgesellschaften und Banken, große Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien für neue Jobs, die längst nicht mehr durch die heimische Bevölkerung abgedeckt werden können. So pendeln jeden Tag mindestens 185 000 Menschen aus den Nachbarländern nach Luxemburg, fast die Hälfte davon Franzosen. Deutsche und Belgier decken den Rest zu gleichen Teilen ab.
Trotz der gewaltigen Kapitalmengen, die über Luxemburg verwaltet werden, spielt der Aktienhandel an der Börse praktisch keine Rolle: "Wir sind eine Notierungsbörse", erklärt deren Chef Robert Scharfe das Geschäftsmodell, das für 80 Prozent des Umsatzes sorgt. Dennoch sind in der Stadt an der Alzette auch Aktien gelistet, 28 Titel, von denen neun den LuxX-Index bilden.
Ein echtes Schwergewicht im LuxX ist ArcelorMittal. Der Stahlkonzern entstand 2006 aus der feindlichen Übernahme des spanisch-französisch-luxemburgischen Stahlgiganten Arcelor durch den indischen Konkurrenten Mittal. Ebenfalls mit einem Fünftel gewichtet ist SES. Die Holding hat mehr als 50 Satelliten im Orbit und erreicht damit 99 Prozent der Erdbevölkerung. Während viele das Geschäftsmodell, also die Vermietung von Sendekapazitäten, durch die 5G-Technologie für überholt halten, sieht der Konzern genau da seine Chancen: Besonders in den Schwellenländern dürfte die digitale Kluft zwischen Stadt und Land durch Satelliten viel schneller geschlossen werden als durch ein Glasfasernetz.
Der dritte Luxemburger Bluechip ist vom Namen her wenigen bekannt: Reinet Investments. Dabei steckt hinter dem Unternehmen der Schweizer Luxusgüterkonzern Richemont. 2008 verkaufte der seine Anteile an British American Tobacco und gründete dafür Reinet als reines Investmentvehikel, das Beteiligungen in unterschiedlichsten Branchen hält.
Mit rund 16 Prozent gewichtet ist im LuxX die RTL Group, Europas größter Betreiber von Privatfernsehen und -radiosendern. 75 Prozent der Aktien gehören dem Bertelsmann-Konzern. Der strukturelle Wandel in der Medienlandschaft macht dem Luxemburger Aushängeschild zunehmend zu schaffen, besonders die neuen Streamingdienste von Netflix oder Amazon werben RTL Zuschauer ab. In den vergangenen fünf Jahren hat RTL mehr als 40 Prozent seines Börsenwerts eingebüßt. Nummer 5 in der Indexgewichtung ist Aperam, eine Abspaltung von ArcelorMittal, einer der größten Edelstahlproduzenten der Welt. Wie der Mutterkonzern leidet Aperam unter der globalen Überproduktion von Stahl und verliert zunehmend die Gunst der Investoren.
Ähnlich wie Reinet ist auch Brederode eine reine Beteiligungsgesellschaft, die in Aktien wie auch Private Equity investiert. Die Wurzeln des Unternehmens gehen auf die unrühmliche Herrschaft des belgischen Königs Leopold II. im Kongo zurück, der seinen Financier Albert Thys mit Minenkonzessionen in Afrika belohnte. Und den Brederode-Großaktionär Stichting aus den Niederlanden - ebenfalls eine Beteiligungsgesellschaft - soll schon der libysche Diktator Muammar Gaddafi genutzt haben, um illegale Ölgeschäfte zu verschleiern. Doch auch wenn die Eigentumsverhältnisse wenig transparent sind (immerhin 40 Prozent Streubesitz), die Geschäfte sind es. Brederode steigert seit vielen Jahren Umsatz und Gewinn.
Ein äußerst verschachteltes Beteiligungskonstrukt ist auch Luxempart, das Anteile an Medienfirmen oder Energieversorgern hält. Allerdings werden die Luxempart-Aktien kaum gehandelt und verdanken ihre Notierung wohl eher den luxemburgischen Steuergesetzen. Auch die zwei übrigen Titel im LuxX, Socfinaf und Socfinasia, gehen historisch auf die Kongo-Ausbeutung des belgischen Monarchen zurück, da die Ursprungsgesellschaft im Herzen Afrikas Gummi- und Palmölplantagen betrieb. Auch heute noch ist die Produktion von Agrargütern das Geschäft der beiden Unternehmen.
Anleger sollten wohl besser auf das Geschäft mit in Luxemburg domizilierten grünen Anleihen setzen, kostengünstig und flexibel per ETF. Denn das Fondsgeschäft, das haben die Luxemburger gezeigt, das können sie.