Der Bundesfinanzhof hält nach einem heute veröffentlichten Beschluss die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste für verfassungswidrig. Was für Aktionäre jetzt wichtig ist. Von Stefan Rullkötter
Der Hintergrund:
Verluste aus dem Verkauf von Aktien sowie aktienähnlichen Wertpapieren wie REITs und Risikozertifikaten mit Andienungsrecht können Anleger seit Einführung der Abgeltungsteuer 2009 nur noch mit Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnen. Verluste aus dem Verkauf anderer Wertpapiere dürfen sie dagegen mit sämtlichen anderweitig erzielten positiven Kapitalerträgen steuermindernd ausgleichen. Die Ver lustverrechnung ist zunächst Aufgabe der Depotbank. Sie verrechnet automatisch Kursgewinne und Kursverluste aus allen Wertpapiergeschäften nach den gesetzlichen Vorgaben. Die Verlustverrechnung erfolgt auch unterjaährig, ohne dass sich Depotkunden darum küm mern müssen. Bei Aktienverkäufen werden Verluste so lange vorgetragen, bis der Anleger bei der gleichen Bank steuerpflichtige Gewinne aus Aktiengeschäften vorweisen kann. Erst dann nimmt die Bank automatisch eine Saldierung vor.
Das Verfahren:
Gegen die eingeschränkte Verlustverrechnungsmöglichkeit bei Aktiengeschäften klagte ein betroffener Anleger vor dem Bundesfinanzhof (Az. VIII R 11/18). Er erkenne keinen guten Grund, warum diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich in Ordnung sei, monierte der Kläger.
Die Entscheidung:
Der BFH schießt sich der Argumentation des Klägers weitestgehend an und hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste für verfassungswidrig. Nachfolgend die Details des am 4. Juni veröffentlichten Beschlusses vom 17.11.2020 ( VIII R 11/18)
Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist, dass nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912) Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen.
Das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat die Besteuerung von Kapitalanlagen, die dem steuerlichen Privatvermögen zuzurechnen sind, grundlegend neu gestaltet. Durch die Zuordnung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (u.a. Aktien) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG) unterliegen die dabei realisierten Wertveränderungen (Gewinne und Verluste) in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung.
Da Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich abgeltend mit einem speziellen Steuersatz von 25% besteuert werden, sieht § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG vor, dass Verluste aus Kapitalvermögen nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden dürfen. Eine zusätzliche Verlustverrechnungsbeschränkung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Diese dürfen nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden. Nach der Gesetzesbegründung sollen dadurch Risiken für den Staatshaushalt verhindert werden.
Nach Auffassung des BFH bewirkt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, weil sie Steuerpflichtige ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben. Eine Rechtfertigung für diese nicht folgerichtige Ausgestaltung der Verlustausgleichsregelung für Aktienveräußerungsverluste ergibt sich weder aus der Gefahr der Entstehung erheblicher Steuermindereinnahmen noch aus dem Gesichtspunkt der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen oder aus anderen außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen.