Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine neue Entscheidung zur Erstattung ausländischer Quellensteuer veröffentlicht. Steuerexperte Jürgen Nagler erklärt die Folgen für Anleger.
Der entschiedene Fall:
Am 19. Dezenber 2024 hat der EuGH in der Rechtssache C-601/23 auf die Klage der im Vereinigten Königreich ansässigen Credit Suisse Europe Ltd. entschieden, dass - entgegen der spanischen Gesetzeslage - die europäische Kapitalverkehrsfreiheit die spanische Steuerverwaltung dazu zwingt, spanische Kapitalertragsteuer (KESt) die bei an die Credit Suisse Ltd. ausgeschütteten Dividenden einbehalten wurde, zu erstatten. Da sich die Credit Suisse Ltd. im Jahr 2017 in einer Verlustsituation befand und ihr im Falle ihrer hypothetischen Ansässigkeit in Spanien die KESt erstattet worden wäre, hat der EuGH der „Credit Suisse Ltd.“ aus dem "Inländergleichbehandlungsgebot " der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit einen KESt-Erstattungsanspruch gegen die spanische Steuerverwaltung zugesprochen.
Börse Online: Wie bewerten Sie die neue Entscheidung des EuGH – ist das ein Grundsatzurteil oder eher Rechtsprechung im Einzelfall?
Jürgen Nagler: Die Entscheidung reiht sich ein in die seit dem Jahr 2006 ergangene EuGH-Rechtsprechung zu Quellensteuern, die regelmäßig nur auf Ausschüttungen ins Ausland erhoben worden sind und damit ausländische Dividendenempfänger diskriminiert haben.
Was ist hier der rechtliche Hintergrund?
Grundsätzlich verpflichtet die europäische Kapitalverkehrsfreiheit die Mitgliedstaaten der EU sowie die Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums Island, Norwegen und Lichtenstein zur steuerlichen Gleichbehandlung grenzüberschreitender Besteuerungssachverhalte mit Inlandssachverhalten. Nur wenn ausnahmsweise für die nachteilige Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte vom Unionsrecht anerkannte Rechtfertigungsgründe vorliegen, besteht dieser Gleichbehandlungsanspruch nicht. Mit dem Urteil in der Rechtssache Credit Suisse Ltd. hat der EuGH diese Rechtsprechung erneuert – und damit auf Grundlage der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit in anderen Staaten ansässigen Anlegern bei Verlustsituationen einen Kapitalertragsteuer-Erstattungsanspruch gegen den Quellenstaat eröffnet.
Erstritten hat das Urteil die Credit Suisse Securities (Europe). Inwieweit können von dem Urteil auch Privatanleger profitieren?
Sie können von dieser Entscheidung profitieren, wenn sie sich, auch nach dem Steuerrecht des Quellenstaats, in einer Verlustsituation befinden, keine Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Anlegerstaat auf Basis eines Doppelbesteuerungsabkommens erfolgt und der Quellenstaat den auf seinem Territorium ansässigen Anlegern in einer entsprechenden Verlustsituation die Kapitalertragsteuer erstatten würde. Betroffene Anleger müssen aber bedenken, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Quellensteuererstattung nach dem Recht des Quellenstaates zu ermitteln sind, da man die Gleichstellung mit Quellenstaatsangehörigen anstrebt. Das Recht des Anlegerstaates spielt nur insoweit eine Rolle, als im Anlegerstaat keine Besteuerung der aus dem Quellenstaat stammenden Dividenden erfolgt und damit die Möglichkeit der DBA-Steueranrechnung entfällt.
Ist es unter Berufung auf die aktuelle EuGH-Entscheidung für Steuerpflichtige nun möglich, die vollständige Erstattung der Quellensteuer zu beantragen?
Da nur Mitgliedstaaten der EU- und des Europäischen Wirtschaftsraumes aus der Kapitalverkehrsfreiheit verpflichtet sind, ist eine Quellensteuererstattung nur dann möglich, wenn es sich beim Quellenstaat um einen EU- oder EWR-Staat handelt. Wenn sich aber nun ein Anleger in einer Verlustsituation befindet, aus einem EU- oder EWR-Quellenstaat mit Quellensteuer belastete Dividenden bezieht und ihm bei hypothetischer Ansässigkeit in diesem (EU- oder EWR-Staat) die Kapitalertragsteuer erstattet worden wäre, so trifft aus der Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich den Quellenstaat die Verpflichtung, den Antrag auf Erstattung der Kapitalertragsteuer positiv zu verbescheiden. Eine solche Erstattung setzt zudem voraus, dass der Erstattungsantrag bei der nach dem Recht des Quellenstaats zuständigen Behörde rechtzeitig innerhalb der nach dem Verfahrensrecht des Quellenstaats geltenden Antragsfristen gestellt worden ist.
Welche konkreten rechtliche Schritte können vergleichbar betroffene Anleger jetzt in die Wege leiten?
Wenn sich ein in Deutschland ansässiger Anleger in einer Verlustsituation befindet und im Verlustveranlagungsjahr mit Kapitalertragsteuer belastete Dividenden aus einem EU- oder EWR-Staat bezogen hat, so sollte er klären, ob ihm für den Fall seiner hypothetischen Ansässigkeit im Quellenstaat nach dem dort geltenden Recht die Kapitalertragsteuer erstattet worden wäre. Wird diese Frage bejaht, so kann der Anleger nach den Grundsätzen des neuen EuGH-Urteils im Quellenstaat eine Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragen.

Zur Person
Jürgen Nagler ist Rechtsanwalt und Steuerberater bei KPMG in Frankfurt am Main. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf internationalen Steuerfragen, insbesondere im Bereich der Quellensteuer-Services und EU-basierten Erstattungsansprüche.
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