Die Besteuerung von vererbten und verschenkten Immobilien ist Spielball von Politik und Gerichten. Die Expertin für Vermögensnachfolge Françoise Dammertz erklärt im Interview die Hintergründe Von Stefan Rullkötter
Börse Online: Der Gesetzgeber hat die Bewertungsverfahren für bebaute Grundstücke seit diesem Jahr verschärft. Sind deshalb viele Immobilienübertragungen noch rasch vor dem Jahresende 2022 vollzogen worden?
Françoise Dammertz: Die durch das Jahressteuergesetz 2022 verschärfte Bewertung hat dazu geführt, dass Ende 2022 eine deutliche Steigerung bei unentgeltlichen Grundstückstransaktionen innerhalb von Familien zu verzeichnen war.
Welche rechtlichen Gestaltungen haben die Beteiligten dafür genutzt?
Es wurden beispielsweise Vorbehaltsnießbrauch und auch Kettenschenkungen gewählt, um die Schenkungsteuer zu reduzieren.
Was ist nun in puncto Steuerstrategie für die Vermögensnachfolge ratsam?
Man sollte frühzeitig mit der Umsetzung von Schenkungen beginnen - und nicht bis ins hohe Alter warten. Durch das mehrfache Ausnutzen der Freibeträge alle zehn Jahre lassen sich im engsten Familienkreis signifikant Steuerbelastungen bei Schenkungen reduzieren.
Gibt es akuten Reformbedarf bei der Erbschaft-und Schenkungsteuer ?
Die Freibeträge sind trotz der Wertveränderungen bei Immobilien seit 2008 unverändert geblieben und sollten daher vom Gesetzgeber angepasst werden. Derzeit liegen dem Bundesverfassungsgericht zu dieser Thematik zwei Verfahren – eine abstrakte Normenkontrolle durch Bayern und eine Verfassungsbeschwerde – vor. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen sich für die Freibeträge, aber auch für die Besteuerung von Privat- und Betriebsvermögen ergeben.
Wie sind die Erfolgsaussichten dieser abstrakten Normenkontrolle?
Das Bundesland Bayern ist der Ansicht, dass die Höhe der im Erbschaftsteuergesetz geregelten persönlichen Freibeträge angesichts der hohen Inflation und der stark gestiegenen Immobilienpreise nicht mehr angemessen ist. Das Jahressteuergesetz 2022 führte zu deutlich höheren Immobilienbewertungen und damit einer massiven höheren Belastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer. Eine entsprechende Erhöhung der persönlichen Freibeträge und Senkung der Steuersätze erscheint somit geboten, da die Freibeträge einen großen Teil ihrer Entlastungswirkung eingebüßt haben.
Was müsste hier konkret geändert werden?
Die Freibeträge der Steuerklasse I sollen sich an den Werten durchschnittlicher Einfamilienhäuser orientieren, wie das Bundesverfassungsgericht in einer früheren Entscheidung postuliert hat. Diese Vorgabe hat der Gesetzgeber zwar mit der Erbschaftsteuerreform im Jahr 2008 berücksichtigt, jedoch hat er seitdem nicht mehr auf die Entwicklung der Wertverhältnisse reagiert. Damit kann die ursprünglich geäußerte Forderung des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück „Omas ihr klein Häuschen soll steuerfrei bleiben“ nicht mehr gehalten werden.
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Und wie sind die Erfolgsaussichten bei der Verfassungsbeschwerde einzuschätzen?
Hier sind zunächst rein formelle Voraussetzungen streitgegenständlich. Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Nichtzulassung der Revision durch den Bundesfinanzhof gegen das zugrundeliegende Urteil des Finanzgerichts Münster vom 6. Mai 2021 (Aktenzeichen 3 K 3532/19 Erb). Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde sehen sicherlich sehr gut aus, da der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt wurde.
Wie würde es nach einem steuerzahlerfreundlichen Urteil weitergehen?
Sollte der Beschwerdeführer gewinnen, müsste sich der Bundesfinanzhof im zweiten Schritt mit dem materiellen Recht und der eigentlichen Frage der Verfassungskonformität der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln auseinanderzusetzen. Hier geht es im Kern darum, ob es verfassungsgemäß ist, das Privatvermögen anders erbschaftsteuerlich behandelt wird als Betriebsvermögen. Erst dann, wenn der Bundesfinanzhof zur Verfassungswidrigkeit käme, würde er die Frage erneute Karlsruhe im Wege der Richtervorlage vorlegen. Diese Erfolgsaussichten betrachte ich eher als offen, so dass aus meiner Sicht die derzeitige Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Erbschaftsteuergesetzes etwas übertrieben wirkt.
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Zur Person:
Rechtsanwältin Françoise Dammertz ist Partnerin der Mazars Rechtsanwaltsgesellschaft und am Standort Berlin für den Bereich der Vermögens- und Unternehmensnachfolge tätig. Als Fachanwältin für Steuerrecht berät sie bei der Vertrags- sowie Testamentsgestaltung, begleitet die steuerliche Deklaration und ist als Testamentsvollstreckerin tätig.
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