Durch die gesunkene Inflation hoffen viele Anleger auf eine Zinswende – das treibt die Börse an. Doch Ökonomen warnen nun bereits vor einer neuen Gefahr...
In Europa und in Deutschland ist die Inflation überraschend deutlich auf dem Rückzug. Im Euroraum lag sie im November bei nur noch 2,4 Prozent und damit nicht mehr weit vom EZB-Inflationsziel von zwei Prozent entfernt. Selbst Bundesbank-Präsident Joachim Nagel bezeichnete die Entwicklung der vergangenen Monate als „ermutigend“, wollte aber noch keine Entwarnung an der Inflationsfront geben.
Doch die jüngsten Zahlen haben an den Börsen längst Erwartungen an eine rasche Lockerung der Geldpolitik aufkeimen lassen. Demnach könnte es bereits im Frühjahr 2024 zu ersten Zinssenkungen der EZB kommen. DAX und MDAX legten am Donnerstag und am Freitag weiter zu, die Jahresendrally ist in vollem Gang, und der Leitindex nicht mehr weit vom Rekordhoch von 16529 Punkten entfernt. Doch auch EZB-Chefin Christine Lagarde versucht die Euphorie an den Märkten zu bremsen. In den nächsten Quartalen sei angesichts anhaltender Inflationsrisiken noch keine Lockerung zu erwarten. Es sei noch „zu früh für Siegesfeiern“. Die EZB will zudem um jeden Preis vermeiden, dass sie mit ihren Aussagen an den Märkten verfrühte Zinssenkungs-Erwartungen schürt. Denn auch damit würde sie neue Inflationsrisiken befeuern.
Inflationsrate könnte wieder zulegen
Experten verweisen darauf, dass die Inflationsrate demnächst sogar wieder etwas ansteigen könnte. Das hängt zum einen mit sogenannten Basiseffekten zusammen, die die Inflationsrate zuletzt gedrückt haben, nun aber wegfallen und somit ihre inflationsdämpfende Wirkung nicht mehr ausüben.
Zum anderen dürften auch die stark steigenden Löhne zeitverzögert die Teuerungsrate weiter antreiben. Vor allem rückläufige Teuerungsraten bei Dienstleistungen hätten zum überraschend starken Inflationsrückgang im November beigetragen, erläuterte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer . „Aber dieser Abwärtstrend wird sich auf Dauer nicht fortsetzen, weil sich der Lohnanstieg im Euroraum massiv beschleunigt hat. So sehen die zuletzt abgeschlossenen Tarifverträge ein Plus von sechs Prozent vor. Es ist verfrüht, einen Sieg über die Inflation zu verkünden.“
Deflation - der neue Gegner?
Einige Ökonomen sehen allerdings die Gefahr, dass die Notenbank schon wieder den gleichen Fehler machen könnte, den sie beim Inflationsanstieg gemacht hat - nämlich zu spät auf diese Entwicklung zu reagieren. Dazu zählen beispielsweise VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel und der Ökonom Jens Südekum von der Uni Düsseldorf, der vor den großen konjunkturellen Risiken hoher Zinssätze warnt.
Eine gänzlich andere Gefahr hat der Vermögensverwalter Jens Ehrhardt im Blick: Die Deflation. „Die Frage ist: Beginnt jetzt bald der Kampf gegen die Deflation?“ schreibt Ehrhardt in seiner „Finanzwoche“. „Dieser ist deutlich schwieriger zu kämpfen, weil die Waffen nicht so wirksam sind. Sinkt die Inflation unter Null, ist das eine gute Botschaft für Sparer, aber den Unternehmensgewinnen dürfte das nicht helfen, denn fallende Preise führen zu Einsparungen, Entlassungen, Konsumzurückhaltung und aufgeschobenen Investitionen“.
In China ist die Gefahr schon konkret, das Deflationsgespenst spukt dort bereits. Denn in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sind die Preise im Oktober bereits um 0,2 Prozent gesunken. Der Preisverfall auf breiter Front ist deshalb so gefährlich, weil er die Erholung der Wirtschaft gefährdet.